Großbritannien

König der Schmerzen: die Backstage-Dramen vor dem Krönungsspektakel von Charles III.

„Grandpa Wales“, wie ihn seine Enkel nennen, wird am 6. Mai zu König Charles III. gekrönt. Die britischen Medien machen sich deswegen schon „seit Wochen in die Hosen“ (meint der „Guardian“). Viel unterhaltsamer als das Spektakel selbst sind die Soaps und Dramolette hinter den Kulissen.

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Die etwas unglamourös wirkende Spinat-Quiche, die kürzlich als offizielles Krönungsgericht präsentiert wurde, amüsiert nicht alle. Bei einer ersten Verkostung nach einer Messe mit Vertretern der Kirche zeigte der besorgniserregend abgemagerte Duke of Edinburgh (Charles jüngster Bruder Edward erbte den Titel seines Vaters Philip) überschaubare Begeisterung. Sentimentale Erinnerungen an das Krönungshühnchen der Queen (Hühnerbrust mit Karotten in einer sämigen Currysauce), vor 70 Jahren bei Volksfesten und Straßenpartys rund um ihre Krönung serviert, wurden bei einigen Gourmet-Kolumnisten wach. Aber die Gemüse-Quiche, die von Charles und Gattin Camilla selbst in Zusammenarbeit mit dem Chefkoch des Buckingham Palace entwickelt wurde, symbolisiert natürlich auch mit ihren weiteren Zutaten (Cheddarkäse, Saubohnen, frischer Estragon) alles, wofür der 74-jährige Neo-König steht: Nachhaltigkeit, saisonale Produkte, patriotischer Stolz, ökologisches Bewusstsein, Vegetarismus. Die kulinarischen Ambitionen der Queen Consort (auf der floral-bunten Krönungseinladung läuft sie bereits als Queen Camilla) beschrieb sie selbst als so überschaubar wie „Bohnen auf Toast“. Charles selbst, dessen fanatisches Gesundheitsbewusstsein seiner Mutter manchmal auf die Nerven gehen konnte, isst nur zwei Mal die Woche Huhn oder Fisch, einen Tag verzichtet er gänzlich auf Milchprodukte, und die Einnahme eines Lunchs hält er für so „überflüssig“ wie „lästig“.

Fit mit Philip

Seine Leibwächter kommen regelmäßig aus der Puste, wenn der älteste Neo-König der Welt das, was er „einen entspannten Spaziergang“ nennt (so der „Telegraph“), absolviert: hurtigen Stechschritts rund um seinen Landsitz Highgrove House in der Grafschaft Gloucestershire oder auf der schottischen Sommerresidenz Balmoral zu gehen. Morgens steigert er seine Fitness (danach gibt’s „Pas Vogelfutter“, wie Prinz William die Obsession seines Vaters mit Weizenkleie und Nüssen beschrieb) mit einem Gymnastikprogramm, das von der Kanadischen Air Force in den 1950er-Jahren entwickelt wurde und bereits zur Morgenroutine seines verstorbenen Vaters, Prinz Philip, gehört hatte. Kein Wunder, dass der ehemalige Prince of Wales (mit einem Bodymass-Index von 22,8) seine Maßanzüge aus dem Hause Anderson & Sheppard von der Londoner Schneidermeile Savile Row seit über 30 Jahren trägt, was bei einem Kostenpunkt von 22.000 Euro pro Outfit aus der Nachhaltigkeitsperspektive durchaus gerechtfertigt erscheint.

Problemprinz Harry

Um seine Rückenschmerzen zu lindern, wie wir aus der Autobiografie des Problemprinzen Harry („Spare“, deutscher Titel: „Reserve“) wissen, stellt sich der König von England und das Oberhaupt der Church of England schon gerne einmal „nur mit seinen Boxershorts bekleidet“ in einen Kopfstand oder „baumelt von einer Stange, wie ein geschickter Akrobat“. Die Anwesenheit des 38-jährigen „Ersatzmanns“ (wie Lady Diana, ihren Zweitgeborenen gerne nannte) bei der Krönung veranlasste die britischen Medien quer durch alle Lager zu wilden Spekulationen. Sämtliche Weltkatastrophen hatten im Vergleich dazu nur geringen Stellenwert. Wahrscheinlich hat die mediale Besessenheit mit Dianas Jüngstem auch damit zu tun, dass die Nation ihn noch immer als emotional unterversorgten Halbwaisen sieht, der im Alter von zwölf Jahren vor einem Milliardenpublikum hinter dem Sarg seiner Mutter hergehen musste. Außerdem wird der sich immer wieder um den Planeten sorgende Herzog von Sussex am 6. Mai (Anreise im Privatjet) zum ersten Mal offiziell wieder britischen Boden betreten, seit er in Form seines Enthüllungsbuches und einer sechsteiligen Netflix-Serie „Handgranaten gegen die Royals geworfen hatte“, so Tina Brown, Autorin des Sippengemäldes „Palace Papers“. Einmal war Harry unentdeckt nach London gekommen und hatte bei Freunden übernachtet. In der Serie hatte Meghan nicht nur gewagt, sich über das Hofzeremoniell eines Knickses vor der Königin lustig zu machen, sondern auch beteuert, dass sie „nicht nur den Wölfen zum Fraße vorgeworfen, sondern auch an sie verfüttert“ worden sei. Die Queen selbst, so der Autor der neuen Charles-Biografie „Our King“ Robert Jobson, kommentierte den Megxit „als völlig närrisch“ und attestierte ihrem Lieblingsenkel „ein vernebeltes Urteilsvermögen“.

Medialer Meghan-Hass

Ob mit den Wölfen nun die Boulevardpresse oder doch „The Firm“, wie schon Prinzessin Diana das System Monarchie gerne genannt hatte, gemeint war, wurde damals nicht deutlich. Schon einmal, 14 Monate nach dem „Megxit“, im Jänner 2020, hatte die Herzogin in einem Interview mit TV-Talkstar Oprah Winfrey die britische Monarchie als rassistisch, xenophob und selbstmordgefährdend dargestellt. Mediale Seufzer der Erleichterung quer durch alle Lager, als vergangene Woche feststand, dass die Mutter von Charles’ Enkeln Lilibeth, 2, und Archie, 4, dem Krönungsbrimborium fern bleiben wird. Fadenscheinige Begründung: Sie wolle den vierten Geburtstag ihres Sohnes, der auf den Tag der Krönung fällt, in Ruhe

feiern. Die Anti-Meghan-Fraktion von „The Sun“ wusste natürlich sofort mehr: Rupert Murdochs Boulevardblatt identifizierte eine Angst vor konzertierten Buhrufen und die Zuweisung billiger Plätze in der Westminster Abbey als die wahren Ursachen für ihr Fernbleiben. Auf „Sky“-News brüllte die Royal-Kommentatorin: „Was für eine Erleichterung für uns alle, dass sie wegbleibt! Aber sie wird sich mit Sicherheit etwas einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Der rechtspopulistische Moderator und Gründer der Brexit-Partei „UK Independence Party“ Nigel Farage stimmte ein: „Und Harry kann gleich wieder nach Hause fahren. Amerika, nimm ihn so schnell wie möglich wieder zurück.“ Dass der Wahlkalifornier den Canossagang aus Montecito antritt, sieht die „Sun“ auch als dringende PR-Maßnahme für seine „Marke“, denn ohne die Verbindung zu den Royals sei er „als Promi nicht sehr viel wert“.

Beziehungskitter Charles

Charles, ein Mann der Versöhnung, ließ via PR-Abteilung verkünden, dass „man sich über Prinz Harrys Teilnahme sehr freue“ und Meghans Abwesenheit bedauere. Tatsächlich plant Harry, nur der öffentlichen Zeremonie beizuwohnen. Charles’ geplante „Olivenzweig“-Aktion (so die „Daily Mail“ über die versöhnliche Geste) beim großen Lunch-Event danach, nämlich ein Toast auf seinen Enkel Archie, wird deswegen wohl wieder verworfen werden müssen. Die Protokoll-Manager haben indessen alle Hände damit zu tun, den Thronfolger William und Harry, der seinen Bruder in „Spare“ als gewalttätig und cholerisch geoutet hat, in gebotenem Sicherheitsabstand voneinander zu positionieren. Für „Grandpa Wales“ wird die Nummer 2 in der Thronfolge, der neunjährige George, gemeinsam mit drei Enkeln von Camilla als Ehrenpage agieren. Von einer Annäherung zwischen Wales und Sussex wird unter dem Stress des Ereignisses keine Rede sein. „Beide Fraktionen trachten nur danach, dass die Angelegenheit glimpflich vorübergeht“, wird einer der vielen Palastflüsterer im „Telegraph“ zitiert. Obwohl William und seine Frau Catherine skandalreine und „fast etwas zu spießige“ (Tina Brown) Häuslichkeit verströmen, gehen die Beliebtheitswerte der braven Vorzeigefamilie nicht durch die Decke. William verlor laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos im Vergleich zum Vorjahr acht Prozentpunkte an Sympathiewerten; seine Frau nur sieben. Möglicherweise haben die in „Spare“ geouteten Gewalteskalationen ihren Teil dazu beigetragen. Auch die Krönung selbst bringt die britische Bevölkerung, gemessen an der medialen Hysterie, nicht völlig aus dem Häuschen: Eine Umfrage des Instituts YouGov fand heraus, dass 29 Prozent der Befragten das Spektakel egal ist; 35 Prozent konstatierten, dass es sie nicht sonderlich kümmere. Als eine Art Mediator und Stimme der Dehysterisierung machte sich der linksliberale „Guardian“ bemerkbar: „Diese Obsession mit den Sussexes in der Öffentlichkeit ist wirklich absurd. Warum machen sich ständig alle seit Wochen deswegen in die Hose? 1953 verbot Winston Churchill dem Herzog von Windsor (Anm.: dem ehemaligen König Edward VIII., der wegen Wallis Simpson abgedankt hatte), der Krönung von Elizabeth beizuwohnen. Haben sich die Medien damals wegen eines solchen Details nassgemacht? Allein die ,Daily Mail‘ hat gestern auf ihrer Website 44 Artikel zu dem Thema gebracht, unter anderem mit der Aussage, dass die Marke der Sussexes an einer Überlebensmaschine hänge.“

Die britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo, die erste schwarze Booker-Preisträgerin für ihren Roman „Girl, Woman, Other“, schüttelte bei ihrem Wien-Besuch im März nur den Kopf: „Ich bin Team Meghan. Dieses Mädchen hat nichts falsch gemacht. Sie wäre eine große Chance für die Monarchie gewesen Der rassistisch untermauerte Hass, der ihr aus der Presse entgegenschlug und -schlägt, ist ekelerregend.“

Problemgast Andrew

Tatsächlich ist es erstaunlich, dass der zweite große royale Problemgast der auf drei Tage anberaumten Feierlichkeiten angesichts der H&M-Aufgeregtheit im Vorfeld medial erstaunlich ungeschoren davonkommt. Prinz Andrew, Charles’ mittlerer Bruder, muss allerdings außer Sichtweite der Kameras in der Westminster Abbey verparkt werden. Der Lieblingssohn der Queen kostete seine Mutter 2022 mehrere Millionen Euro aus der Privatkasse; insgesamt betrug der Preis für eine außergerichtliche Einigung mit Virginia Giuffre 16 Millionen Euro. Die Amerikanerin hatte Andrew beschuldigt, im Rahmen von dessen Bekanntschaft mit dem verurteilten Mädchenhändler Jeffrey Epstein (der 2019 in seiner Zelle Selbstmord begangen hatte) im Alter von 17 Jahren zum Sex mit dem Duke of York gezwungen worden zu sein. Nach dem Deal wurde Andrew von seinen royalen Pflichten entbunden und musste seine Orden abgeben.

Dem Horror setzte er noch ein Sahnehäubchen auf, indem er in einem TV-Interview zu einer „stotternden Form der Selbstzerfleischung“ (so Tina Brown) angetreten war. Dass er sich nach dem Skandal vermehrt dem Reitsport widmete, kommentierte die „Palace Papers“-Autorin mit den Worten: „Wahrscheinlich ist das einzige Wesen, das noch mit ihm spricht, sein Pferd.“ Pikantes Detail: König Charles warf Andrew, der mit seiner geschiedenen (und nicht zur Krönung geladenen) Frau Sarah die „Royal Lodge“ bei Schloss Windsor bewohnte, aus dem Anwesen und verpflanzte ihn ins „Frogmore Cottage“, die weit weniger schicke Residenz, die Harry und Meghan räumen mussten. Ebenso wie Harry ist auch Andrew vom traditionellen Gewinke vom Balkon des Buckingham-Palasts entbunden.

Chillen in Balmoral

„Manchmal fühle ich mich wie in einer griechischen Tragödie“, soll Charles einmal im Zuge des Scheidungskrieges mit Diana geseufzt haben, „ohne Hoffnung und ohne Ausweg.“ Auf Schloss Balmoral, dem schottischen Rückzugsort der Queen, wird Charles mit seiner 75-jährigen, seit 2005 mit ihm vermählten Gattin Camilla (er nennt sie gerne „my darling wife“) eine Woche vor der Krönung Kräfte sammeln und dort seiner Mutter gedenken. Die Frau, die 33 Jahre lang als seine inoffizielle Geliebte fungierte und am Gipfel der Diana-Empathie Schmähnamen wie „Frau Rottweiler“ oder „Prinzessin Lederstrumpf“ ertragen musste, wird „Freddie“ (so ihr Kosename für ihn) auf den Boden bringen. Charles hatte jahrzehntelang darunter gelitten, aufgrund seiner ökologischen Visionen, seines Faibles für biologische Landwirtschaft und seiner seit 50 Jahren geäußerten Bedenken über die Klimakatastrophe als schrulliger Exzentriker abgetan zu werden. Heute hat er sich damit als Visionär erwiesen. Die österreichischen Gault&Millau-Herausgeber Martina und Karl Hohenlohe hatten den damaligen Thronfolger 2022 auf seinem Landsitz Highgrove besucht, um ihm die Urkunde zum „Gourmet des Jahres“ zu überreichen. „Er ist extrem humorvoll und machte Witze darüber, wie man seine grünen Ambitionen früher lächerlich gemacht hatte. Es schüttete, als er uns seinen Gemüsegarten zeigte“, erzählt Karl Hohenlohe.

Das Ambiente im „offiziellen“ Gebäude wirke „sehr gemütlich“: „Offene Bücher lagen herum, überall standen Familienfotos. Man merkte, dass er durch diese häusliche Atmosphäre den Besuchern die Scheu nehmen wollte. Er hat eine unglaubliche Gabe: Er vermittelte einem in der Sekunde das Gefühl, dass man in diesem Augenblick eine Bedeutung in seinem Leben hat. Der Besuch dauerte viel länger als geplant und endete mit einem Tee in den privaten Gemächern. Doch irgendwann wusste man, ohne dass es unangenehm wurde, dass es Zeit war, sich zu verabschieden.“ Dass Charles, trotz aller Abgehobenheit, die ein Leben mit sich bringt, in dem einem die Kammerdiener die Zahnpasta auf die Tube drücken und sogar das Glasröhrchen bei der Urinprobe halten müssen, ein moderner und intellektueller Monarch sein wird, scheint unbestritten. Allein seine kürzliche Rede vor dem Deutschen Bundestag, in der er von der Band Kraftwerk bis zu Lord Byron und Monty Python Brücken schlug, zeugt von seiner geistigen Wendigkeit. Durchaus im Gegensatz zu seinen Söhnen – laut Tina Brown kann William bis auf „Guten Tag“ ohne Spickzettel nicht frei reden. Einen überraschenden Fan hatte Charles in der verstorbenen Punk-Queen Vivienne Westwood, die in einem profil-Interview konstatierte: „Charles ist ein wirklich kluger Kopf. Er hat schon grün gedacht, als das noch niemand interessierte. Die Monarchie ist ihr Geld wert und der Zement, der unser Land zusammenhält. Ich mag nur nicht, wenn die Royals Volksnähe simulieren und mit ihren Hunden auf dem Rasen herumkugeln. Dafür haben sie einfach so überhaupt kein Talent.“

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort