Wissenschaft

King Charles: Thron gegen Lehrstuhl

König Charles hat ein Faible für Homöopathie, Akupunktur und Chinesische Medizin. Der Mediziner Edzard Ernst prüfte die Alternativmedizin auf ihre Wirksamkeit. Die Folge war eine Kollision der Weltbilder.

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Die beiden Herren haben durchaus einige Gemeinsamkeiten, auch wenn diese schnell aufgezählt sind: Beide kamen im Jahr 1948 zur Welt und haben deutsche Vorfahren, beide waren eher mittelmäßige Schüler, schätzen den britischen Lebensstil und waren von frühester Kindheit an mit alternativer Medizin konfrontiert. In beiden Elternhäusern war es üblich, homöopathische Präparate anzuwenden.

Damit ist das Verbindende ziemlich erschöpfend beschrieben. Deutlich weiter ausholen muss man, wenn es darzulegen gilt, was die beiden Männer trennt: Edzard Ernst, Mediziner und emeritierter Professor der Universität Exeter, und Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor, nunmehr König Charles III. Es sind ohne Übertreibung Welten beziehungsweise Weltsichten, die hier aufeinanderprallen. Der eine, Edzard Ernst, ist Verfechter von Vernunft und rationalem Denken, der sich mit der nüchternen Attitüde des Naturwissenschafters auf Evidenz und Experiment stützt, um sich ein Urteil zu bilden; der Schwärmerei und persönliche Vorlieben für gänzlich ungeeignet hält, um wichtige Entscheidungen zu treffen, besonders wenn sie den sensiblen Bereich der Gesundheit betreffen.

König Charles hat ein starkes Interesse an Alternativmedizin und Spirituelles. 

Der andere, vormals längstdienender Prinz des Planeten, hat ein Faible für das Spirituelle und Mystische, träumt von ganzheitlicher Wissenschaft, intuitiver Forschung sowie altem Wissen und fühlt sich geschmeichelt, wenn man ihn als Feind der Aufklärung bezeichnet. Seine Überzeugungen hielt Charles 2010 in einem Buch fest. Das Werk heißt "Harmony" und beklagt, dass der "wissenschaftliche Rationalismus die Menschen jeder Form der Spiritualität" beraube.

Auch finden sich darin aus physiologischer Sicht denkwürdige Behauptungen wie jene, dass "Flüsse fließen wie unser Blut, mit der Kraft von Spiralen".

Ein Kritiker meinte damals: Wer Charles' Buch gelesen habe, könne nicht bezweifeln, dass die "größte Gefahr für die britische Krone in den kommenden Jahrzehnten in diesem wohlmeinenden, versponnenen, wirren Kopf liegt".

Edzard Ernst hat ebenfalls ein Buch geschrieben, das erst heuer erschien, im Frühjahr, als Charles noch Thronfolger war. Es trägt den Titel "The Alternative Prince", versteht sich als "unautorisierte Biografie" und konzentriert sich auf einen speziellen Aspekt in Charles' Leben: seine Haltung zur Alternativmedizin (siehe Seite 61).Das weite Feld alternativer Behandlungsmethoden ist ein Bereich, der Ernst und Charles gleichzeitig verbindet und gedanklich ganze Galaxien voneinander entfernt. Der Job des Arztes war es zwei Jahrzehnte lang, Alternativmedizin mit den unsentimentalen Methoden der evidenzbasierten Wissenschaft zu untersuchen; eine zentrale Ambition von Charles besteht seit Dekaden darin, für Homöopathie, Akupunktur und Osteopathie sowie selbst abstruse Untersuchungsmethoden wie Irisdiagnostik zu werben, auf politischer Ebene dafür zu lobbyieren und alternative Verfahren ins chronisch marode britische Gesundheitssystem zu schleusen.

Edvard Ernst hat ein Buch über König Charles geschrieben. Es trägt den Titel "The Alternative Prince" und konzentriert sich auf seine Haltung zur Alternativmedizin. 

Bei der konsequenten Verfolgung ihrer jeweiligen und krass divergierenden Ziele kreuzten sich die Wege der beiden Proponenten zwangsläufig. Das konnte nicht gut gehen.

Ernst verlor am Ende der Kontroverse seinen Lehrstuhl an der Universität Exeter und ging früher in Pension als geplant. Es ist nicht allzu gewagt, zu spekulieren, dass er beim Königshaus mit Äußerungen in Ungnade gefallen war, die man nicht im engeren Sinn als untertänig bezeichnen kann. Er nannte Charles einen "Schlangenölverkäufer" und kritisierte, immerhin beinahe ein Understatement, Charles äußere sich "regelmäßig öffentlich zu Themen, die er nicht vollständig durchdringt".Generell habe er ein ausgeprägtes Talent dafür, sich mit ungeheurem Elan ausgerechnet für jene alternativen Methoden starkzumachen, die nicht funktionieren oder schlicht Humbug seien.

Die Geschichte begann im Jahr 1993. In jenem Jahr wurde an der britischen Universität Exeter der weltweit erste Lehrstuhl für Komplementärmedizin eingerichtet, mit dem Ziel, alternativmedizinische Heilverfahren mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen und hinsichtlich ihrer Plausibilität, ihres Nutzens und allfälliger Risiken zu prüfen. Prinz Charles war indirekt an der Etablierung des Lehrstuhls beteiligt und damit-aus heutiger Sicht ironischerweise-zunächst ein Förderer von Edzard Ernst: Denn dieser, der zuvor am Wiener AKH tätig war, wurde zum Professor in Exeter berufen und sollte die Studien zur Alternativ-und Komplementärmedizin leiten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Charles schon eine lange leidenschaftliche Affäre mit der Alternativmedizin. Seine Großmutter hatte ihm gerne Globuli verabreicht, und die Royals beschäftigten einen eigenen Hofhomöopathen-eine Tradition, die bis 1832 zurückreicht. Später, am College, entwickelte Charles ein starkes Interesse an Spiritualität und Vitalismus sowie eine Abneigung gegen die kühle Naturwissenschaft und ihre unromantische Sicht auf die Welt. Womöglich war Charles' Aversion gegen die etablierte Medizin seine Art des jugendlichen Aufbegehrens. Seine Altersgenossen protestierten gegen das Establishment, was ihm als Spross des Königshauses schlecht möglich war. Er rebellierte vielleicht deshalb gegen die "orthodoxe Medizin".Bald geriet er außerdem unter den Einfluss eines Scharlatans, der ein wildes Geflecht aus Lügen und Legenden um sein Leben spann. Charles hielt dem Mann über Jahrzehnte die Treue und fühlte sich inspiriert von seinen Ausführungen über Mystizismus und Esoterik.

1982 wurde Charles als erst 34-Jähriger zum Präsidenten der British Medical Association gewählt, wohl eine Eigenart des monarchistischen Systems. Bei seiner Antrittsrede hinterließ er die versammelten Medizinprofessoren eher irritiert. Charles konstatierte, dass die konventionelle Medizin ins Wanken geraten sei, und hielt ein Plädoyer für alternative Heilmethoden, die Patienten "beträchtliche Erleichterung" verschaffen könnten. Ein Arzt müsse Intuition besitzen sowie die Fähigkeit des "feel and touch".

2022 erschien Edzard Ernsts "unautorisierte Biographie" über den neuen König Charles. 

Societas. 206 S.,

EUR 18,92

Der Prinz hatte gesprochen, und in der folgenden Zeit wurden Debatten abgehalten, Berichte geschrieben, Kolloquien initiiert, um die Frage zu erörtern, inwiefern Alternativmedizin ein Pfeiler des Gesundheitssystems sein könne. Am Schluss stand die Überzeugung, dass eine Voraussetzung dafür die wissenschaftliche Untersuchung derartiger Methoden sein müsse.

Als Edzard Ernst seinen Job in Exeter antrat, hatte er schon einige Karrierestationen hinter sich. Als junger Arzt arbeitete der Deutsche in einer bayerischen Naturheilklinik, in der regelmäßig Homöopathika eingesetzt wurden. Später wechselte er ans Wiener AKH, wo er ebenfalls teils alternativmedizinische Methoden anwandte. Als er nach Exeter kam, hatte er also private wie auch berufliche Erfahrung mit alternativer Heilkunde und stand ihr aufgeschlossen gegenüber.

Fortan ging es jedoch nicht um persönliche Sympathie, sondern um wissenschaftliche Prüfung. Wobei Ernst mit der Vermutung an die Arbeit ging, viele komplementäre Behandlungen würden ihr Potenzial gewiss unter Beweis stellen.

Es sollte anders kommen, und das war die Wurzel der Kollision zweier Weltbilder.

Die Naturwissenschaft nimmt die Ergebnisse wiederholter, sorgfältiger Prüfung möglichst emotionsfrei zur Kenntnis, einerlei, ob sie zu den eigenen Wunschvorstellungen passen oder nicht. Hat man indes eine tiefe, vielleicht ideologisch gefärbte Überzeugung entwickelt, entfalten unliebsame Fakten oft wenig Wirkung. Der Konflikt zwischen Edzard Ernst und King Charles bildet damit auch die hitzige gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen zwei zunehmend unversöhnlichen Fraktionen ab: medizinische Evidenz und trockene Studien versus imposante individuelle Fallgeschichten und Heilungsberichte; systematische Experimente versus altes Erfahrungswissen.

In Bezug auf Ernsts Arbeit sind zwei Umstände hervorzuheben. Zum einen ist dies die schiere Produktivität: Fast zwei Jahrzehnte lang führte ein rund 20-köpfiges Forschungsteam Dutzende Studien durch und publizierte mehr als 1000 Fachartikel. Kein Institut der Welt hat Homöopathie, Akupunktur, Osteopathie, Chiropraktik-,Kräuter-und Pflanzenmedizin umfassender untersucht als die Leute in Exeter. Ernst belegt im Ranking die Nummer eins unter allen Forschern in der Kategorie Komplementär-und Alternativmedizin und Nummer 107 der meistzitierten Wissenschafter aller Disziplinen weltweit.

Zum anderen gelang in Exeter etwas, das zuvor als undurchführbar gegolten hatte: das Anlegen der Standards klinischer Prüfung an die Alternativmedizin, basierend auf Vorgaben wie Placebokontrolle und Doppelverblindung (was bedeutet, dass weder Ärzte noch Patienten wissen, wer den Wirkstoff und wer ein Placebo bekommt, um Objektivität zu garantieren).So entwickelte das Forschungsteam Techniken der "Scheinakupunktur",um eine Placebokontrolle bei Tests der Akupunktur einzurichten.

In Summe waren die Resultate ernüchternd. Zwar erbrachten einzelne Studien vielversprechende Ergebnisse, speziell bei Pflanzen-und Kräuterheilkunde. Doch die Mehrheit alternativmedizinischer Methoden versagte, darunter besonders beliebte wie die Homöopathie. Immer wieder zeigte sich, dass deren Wirkung nicht über den Placeboeffekt hinausgeht.

Anfangs interessierte sich Charles durchaus für die Arbeit in Exeter, ließ sich etwa Ernsts Antrittsvorlesung schicken. Hauptsächlich jedoch verfolgte er seine eigene Agenda. Im selben Jahr, als Ernst seine Professur antrat, gründete Charles die "Foundation of Integrated Health".Die Stiftung-letztlich eliminiert, nachdem Buchhaltungsunregelmäßigkeiten publik wurden-setzte sich für eine Integration alternativmedizinischer Methoden ins öffentliche Gesundheitssystem ein. Ebenso ventilierte Charles die Idee von "Modellspitälern" mit komplementärmedizinischem Schwerpunkt und verschickte Briefe an Gesundheitspolitiker und Tageszeitungen, in denen er sich für eine "nationale Strategie für Komplementärund Alternativmedizinforschung" starkmachte.

Gerne benutzte er Begriffe wie "integrative" oder "ganzheitliche" Medizin, die der "orthodoxen" Heilkunde gegenüberstehe, das "Beste aus beiden Welten" sowie "alte und moderne Zugänge" vereine. In Reden und Stellungnahmen warb er dafür, ein "möglichst breites Angebot" medizinischer Verfahren anzubieten. Und man dürfe sich nicht nur auf "kontrollierte Studien" verlassen, sondern müsse auch die Wünsche der Konsumenten berücksichtigen.

Edzard Ernst wurde 1948 geboren, hat deutsche Vorfahren, bekam als Kind Globuli und widmet einen erheblichen Teil seines Lebens der Alternativheilkunde. Er war Inhaber des weltweit ersten Lehrstuhls für Komplementär-und Alternativmedizin und untersuchte die Wirksamkeit alternativer Verfahren nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin. Er vertraut auf Vernunft, rationales Denken, Evidenz und Experiment.

Ernst entgegnete gerne, dass all die Begriffe zwar nett und sympathisch klängen, im Grunde aber sinnbefreit seien. Schließlich behandle jeder gute Arzt ganzheitlich, betrachte also stets den gesamten Patienten-und wenn nicht, sei er eben kein guter Arzt. Überdies gebe es nur eine Art von Medizin, nämlich solche, die wirkt, egal ob alt oder neu, natürlich oder synthetisch. In dem Sinne gehe es auch nicht um das Angebot möglichst vieler Methoden, sondern derjenigen, die erwiesenermaßen mehr Nutzen als Schaden stiften. Und außerdem sei Medizin keine Frage der Beliebtheit, sondern der Wirksamkeit.

Allmählich gewann die Kontroverse an Fahrt, und je enttäuschender Ernsts Studienresultate ausfielen, desto vehementer schien Charles zugunsten der Alternativmedizin zu opponieren. Im Jahr 2008 beispielsweise bot ein vom Prinzen gegründetes Unternehmen Detox-Präparate an: Nahrungsergänzungsmittel, die angeblich der Entgiftung dienen-und damit den Irrglauben stützten, man müsse den Körper entschlacken wie einen Hochofen. Diese Tinkturen, die Ernst veranlassten, Charles als "Schlangenölverkäufer" zu bezeichnen, mussten später wegen unzulässiger Werbeversprechen vom Markt genommen werden. Enthusiastisch bewarb Charles aber auch die Gerson-Therapie, eine obskure und lebensgefährliche Form der Krebsbehandlung, die unter anderem aus Einläufen besteht. Über die Jahre engagierte sich der Prinz mit viel Elan für annähernd 20 alternative Verfahren, was Ernst wiederum dazu bewog, ihn den "unumstrittenen Champion der Alternativmedizin" zu nennen.

Zur Eskalation kam es, als Charles eine Erhebung beauftragte, die Sparpotenziale im Gesundheitssystem durch Alternativmedizin ausloten sollte. Hier ging es interessanterweise keineswegs um die "integrative" Verbindung des "Besten aus beiden Welten", sondern schlicht um den Ersatz von konventioneller durch alternative Medizin (anders ließe sich ja nichts sparen).Praktischerweise fand der Abschlussbericht eine Vielzahl an wunderbaren Beispielen, darunter Homöopathie gegen Asthma. In einem wütenden offenen Brief bezeichnete dies der Herausgeber der Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" als lebensgefährliche Empfehlung.

Auch Edzard Ernst replizierte darauf. Seine Antwort fand sich auf der Titelseite der "Times" und führte dazu, dass der erste Privatsekretär von Charles auf offiziellem Briefpapier ein Beschwerdeschreiben an das Rektorat der Universität Exeter absetzte, in dem Ernst des Vertrauensbruchs bezichtigt wurde. Die Folge war eine einjährige Untersuchung über mögliche Verfehlungen des Professors, wobei er schließlich entlastet wurde. Allerdings: Zugleich stockte, wer weiß, warum, plötzlich die Finanzierung der Forschung. Die Mittel schrumpften immer weiter, bis Ernsts Abteilung 2011 geschlossen wurde. Ihm selber wurde die Rente nahegelegt.

King Charles III. wurde 1948 geboren, hat deutsche Vorfahren, bekam als Kind Globuli und widmet einen erheblichen Teil seines Lebens der Alternativheilkunde. Er misstraut der konventionellen Medizin, sehnt sich nach Spiritualität und mehr Intuition. Als Prinz warb er massiv für Verfahren wie Homöopathie, Osteopathie und auch abstruse Verfahren wie Detox, Irisdiagnostik und die Gerson-Therapie. Er freut sich, wenn man ihn einen Feind der Aufklärung nennt.

In seinem Ruhestand pendelt Ernst zwischen England und Frankreich. Er hält Vorträge, schreibt Medizin-Blogs und Bücher (auch solche, die erklären, für welche alternativmedizinischen Verfahren es solide Evidenz gibt).Er sagt, er sei dem nunmehrigen König nicht böse und hege auch keinen Groll. Er gesteht Charles zu, nur die allerbesten Absichten zu verfolgen. Charles meine es eh nur gut, was aber bei gleichzeitig fundamentaler Ahnungslosigkeit, enormem Sendungsbewusstsein samt breitem öffentlichem Echo und einer auffälligen Tendenz, sich mit den falschen Beratern zu umgeben, leider wenig nütze.

King Charles III. müsste sich von nun an kraft seiner neuen Rolle mit Einflussnahmen jedweder Art deutlich mehr zurückhalten. Sollte er es nicht tun, rät Ernst dazu, ihn an seine verfassungsmäßigen Grenzen zu erinnern. Denn das sei die einzige Kritik, die ihn richtig in Rage bringe.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft