Lampedusa und kein Ende

Lampedusa und kein Ende

Europa. Der Schock über 360 ertrunkene Bootsflüchtlinge brachte kein Umdenken in der Immigrationspolitik

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Nur zwei Monate nach der Flüchtlingstragödie vor Lampedusa, bei der mehr als 500 Flüchtlinge von einem brennenden Boot ins Meer stürzten, sorgt die Insel südlich von Sizilien wieder für negative Schlagzeilen: In einem kurzen Handy-Video, das der italienische Sender TG2 vergangene Woche ausgestrahlt hat, ist zu sehen, wie sich männliche Migranten in dem italienischen Flüchtlingscamp zur Desinfektion nackt im Freien aufstellen müssen – angeblich um der Verbreitung von Krätze vorzubeugen. Weitere Flüchtlinge, darunter auch Frauen, werden Zeugen der erniedrigenden Prozedur. Die kurze Sequenz sorgt für Empörung, die EU-Kommission hat Italien wegen vermuteter Missstände in Flüchtlingslagern mit rechtlichen Schritten gedroht. Italienischen Medien zufolge waren unter den Opfern der entwürdigenden Behandlung auch Menschen, die das Unglück am 3. Oktober überlebt haben.

Ein 20-Meter-Boot mit Flüchtlingen aus Nordafrika an Bord hatte damals vor der italienischen Insel Feuer gefangen und war anschließend gekentert. Mindestens 360 Menschen starben bei dem Bootsunglück. Die öffentliche Empörung nach der Katastrophe war groß: Papst Franziskus, der den Insassen der Lager im Sommer zuvor einen Besuch abgestattet und gemahnt hatte, die Flüchtlinge nicht länger im Stich zu lassen, sprach von „Schande“. Die Europäische Union reagierte mit Bestürzung und setzte flugs eine „Arbeitsgruppe für das Mittelmeer“ ein, deren Ziel hauptsächlich darin bestand, die richtigen Lehren aus Lampedusa zu ziehen.
Anfang Dezember wurde ihr Bericht veröffentlicht. „Infolge der Tragödie von Lampedusa – eine der vielen, die Europa in den letzten Jahren erlebt hat – haben die Staats- und Regierungschefs sowie die Bürger der EU in noch nie da gewesener Weise Maßnahmen gefordert“, heißt es da gleich zu Beginn. Die nun ausgearbeiteten Vorschläge, so die EU-Kommissarin für Innenpolitik Cecilia Malmström bei der Präsentation, seien „eine wirkliche europäische Antwort, die einen Unterschied machen kann“.

Das war durchaus etwas hoch gegriffen. Konkret wurde Malmström nur, als es um weitere Schutz- und Abschottungsmaßnahmen für die europäischen Grenzen ging. Die bisher einzig umgesetzte Forderung: Die Mittelmeerstaaten, in denen besonders viele Flüchtlinge ankommen, sollen bei der Aufnahme und Versorgung stärker unterstützt werden. Dafür stellt die EU-Kommission 50 Millionen Euro bereit, von denen Italien 30 Millionen für Grenzüberwachungsaktionen erhält. Der Kampf gegen Schlepperbanden wird durch eine größere Rolle und mehr Ressourcen für die europäische Polizeibehörde Europol verschärft.

Am Ende aber sah die Europäische Union bei aller Bestürzung keinen Anlass zu einer Änderung im Umgang mit Asylwerbern. Kurz nach dem Flüchtlingsdrama stimmte das EU-Parlament mit großer Mehrheit für das Überwachungssystem Eurosur, das unter anderem dafür sorgen soll, über das Mittelmeer fliehende Menschen früher zu orten.

Weder die Abschottung Europas noch die Schiffstragödien scheinen Einwanderer aus Afrika abzuschrecken. In den vergangenen 25 Jahren sind zwischen 17.000 und 20.000 Flüchtlinge aus Afrika bei dem Versuch umgekommen, die europäische Küste zu erreichen. Die meisten dieser Migranten stammen aus Eritrea, Ghana und Nigeria. Fast täglich verlassen Schiffe die libysche Küste, um Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa zu bringen. 32 Transporte mit 4619 Menschen an Bord waren es laut dem UN-Flüchtlingswerk alleine im September dieses Jahres. Im Jahr zuvor traten im gleichen Monat 775 Personen diese gefährliche Reise an.
Denn die alten Wege über Marokko, Mauretanien und Tunesien werden von den dortigen Behörden mittlerweile stärker kontrolliert. Im postrevolutionären Libyen ist diese Kontrolle nicht mehr möglich, weswegen in der Zwischenzeit auch viele vor dem Bürgerkrieg fliehende Syrer nach Libyen reisen, um sich von dort aus Richtung Europa aufzumachen.