Ob das eigentliche Kriegsziel, die Vernichtung des iranischen Atomprogramms, erreicht wurde, ist umstritten. Trumps euphorischer Einschätzung widerspricht ein vorläufiger Bericht der Defense Intelligence Agency, des militärischen Nachrichtendienstes der US-Streitkräfte, demzufolge die Bombardierungen das iranische Atomprogramm um weniger als sechs Monate zurückgeworfen hätten. Die CIA, der Auslandsgeheimdienst der USA, schätzt den Effekt der Bombardierungen wiederum deutlich größer ein und spricht von „schwerem Schaden“.
Der ehemalige US-Außenminister Antony Blinken, ein Demokrat, erklärt in einem Gastbeitrag für die „New York Times“, weshalb der ganze Krieg ein „Fehler“ gewesen sei. Seine Argumentation beginnt mit Trumps Entscheidung von 2018, den damals geltenden Atom-Deal mit dem Iran einseitig aufzukündigen. Bis dahin nämlich hatte sich der Iran an die Regeln dieses Abkommens gehalten, wodurch er der Produktion von waffenfähigem Uran zeitlich nie näherkommen konnte als ein Jahr. Erst als Trump aus dem Deal ausstieg, beschleunigte der Iran die Urananreicherung, weil sich das Regime nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlte. All das hätte man sich ersparen können, und den Krieg hätte es nie gebraucht, urteilt Blinken rückblickend. Zudem hätte Trump einen neuen Deal aushandeln können – etwas, das er nun ohnehin tun muss.
Doch jetzt ist der Krieg zu Ende, die USA und Israel betrachten ihn als vollen Erfolg, was also soll noch schiefgehen? Eine ganze Menge. Das negative Szenario, das aus dem Zwölftagekrieg folgen kann, benötigt bloß ein wenig Skepsis in Bezug auf die Lernfähigkeit des iranischen Regimes. Es geht so:
Versetzt man sich für einen Moment in die Lage von Irans Oberstem Führer Ajatollah Ali Khamenei, so bewies der Zwölftagekrieg endgültig, wie dringend der Iran eine Atomwaffe benötigt. Hätte er eine gehabt, wäre er den Raketenangriffen Israels und der USA nicht schutzlos ausgeliefert gewesen. Die krachende militärische Niederlage könnte deshalb in Teheran jene Kräfte stärken, die längst schon zum Bau einer Atomwaffe drängten – eine Entscheidung, die das Regime bisher nicht getroffen hatte. Mit dem – möglicherweise – in Sicherheit gebrachten angereicherten Uran, unbeschädigten Zentrifugen und einem unscheinbaren Hangar, in dem eine Rakete vorbereitet wird, könnte der Iran zumindest eine kleine Menge an ungetesteten Nuklearwaffen produzieren.
Ähnliche Gedanken und Pläne könnten übrigens noch einige weitere Staatsführer wälzen, die sich in ihrer geopolitischen Lage nicht sicher fühlen. Der Umgang mit dem Iran, der keine Atombombe hat, im Vergleich zu Nordkorea, das über eine unbekannte Zahl atomarer Sprengköpfe verfügt, kann Regime durchaus dazu motivieren, Atomwaffen besitzen zu wollen.
Ein Wettlauf nach Atomwaffen im Iran und anderswo kann eine desaströse Folge des Zwölftagekrieges sein.
Es kann aber auch viel besser kommen. Für ein optimistisches Szenario braucht es allerdings ein wenig Glauben an die Vernunft von Trump, Netanjahu – und von Khamenei. Das geht so:
Der Iran ist militärisch gedemütigt und jeglicher Abschreckung beraubt. Israel hingegen hat seine militärische Reputation, die nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 schwer beschädigt war, wieder hergestellt. Trump hat seinerseits bewiesen, dass er bereit ist, sein Wahlversprechen, keine Kriege zu führen, zu brechen, wenn er es für richtig hält.
Wenn das iranische Regime klug ist, verzichtet es endgültig auf Atomwaffen und auf bedrohliche Vorbereitungsaktivitäten und schließt mit dem Westen einen entsprechenden Deal. Die USA und Israel verhandeln dabei aus einer Position der Stärke. Allerdings muss Israels Premier Netanjahu einen solchen Deal auch wollen. In der Vergangenheit zeigte er daran kein Interesse, denn Teheran werden im Gegenzug die Wirtschaftssanktionen erlassen, und das stabilisiert die islamistische Theokratie.
Tatsächlich aber braucht es ein Atomabkommen, damit die Internationale Atomenergiebehörde überprüfen kann, dass der Iran in Zukunft über kein angereichertes Uran verfügt. Der Krieg und die potenzielle Zerstörung des Atomprogramms haben diese Möglichkeit nur um eine unbekannte Zeitspanne verschoben.
Israel und die USA könnten ihre aktuelle Machtposition noch weiter nützen. Sie wollen eine Ausweitung der Abraham-Abkommen (Erklärungen zur diplomatischen Annäherung) zwischen Israel und arabischen Staaten, vor allem Saudi-Arabien. Auch das scheint denkbar, denn die Schwächung des gemeinsamen Feindes Iran verschafft den arabischen Machthabern Handlungsspielraum.
Doch aus deren Sicht liegt ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem Aussöhnungsvertrag: das ungelöste Palästina-Problem, aktuell in Form des längsten und blutigsten Krieges, den Israel je geführt hat – jenem in Gaza.
Wenn die Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln die Kampfhandlungen in Gaza einstellt und von Vertreibungen der Bevölkerung absieht, werden Abraham-Abkommen mit arabischen Staaten folgen. Es ist möglich, dass Präsident Trump dies von Ministerpräsident Netanjahu als Gegenleistung für die militärische Hilfe einfordert – oder längst eingefordert hat.
Ob der Zwölftagekrieg zur historischen Wende im Nahen Osten wird oder nicht, hängt davon ab, was die genannten Player daraus machen.