Abgeschossenes ukrainisches Militärflugzeug nahe Kiew
Russland-Ukraine-Konflikt

Russland startete groß angelegten Angriff auf Ukraine

Russland hat in der Nacht über mehrere Flanken einen groß angelegten Angriff auf die Ukraine gestartet. Liveblog zum Krieg in der Ukraine:

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Militärflugplatz nahe Kiew von russischer Armee eingenommen

Die russische Armee hat nach Angaben der ukrainischen Regierung einen Militärflugplatz nahe Kiew eingenommen. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Donnerstag, es handle sich um den wenige Kilometer von der nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt gelegenen Flughafen Hostomel. Er habe die ukrainische Armee angewiesen, den Flughafen zurückzuerobern. Zuvor waren bereits Kämpfe auf dem Gebiet des zerstörten Atomreaktors von Tschernobyl gemeldet worden.

Die russischen Angreifer wollten die Atomanlage einnehmen, twitterte Selenskyj. Nach Angaben aus dem Innenministerium in Kiew tobten die Kämpfe nahe des Atommüll-Lagers in Tschernobyl.

Die dort stationierten Soldaten der ukrainischen Nationalgarde leisteten "hartnäckigen Widerstand", teilte der Ministeriumsmitarbeiter Anton Geraschtschenko im Onlinenetzwerk Telegram mit. Selenskyj erklärte, die ukrainischen Soldaten in Tschernobyl "geben ihr Leben", um eine "Tragödie wie 1986" zu verhindern. Er wollte damit offenbar davor warnen, dass ein russischer Beschuss der Atomanlage erneut große Mengen Radioaktivität freisetzen könnte. Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 36 Jahren sind weite Teile des Gebiets radioaktiv verseucht.

Teile der Provinz Cherson im Süden der Ukraine sind unterdessen nicht mehr unter Kontrolle der Regierungstruppen, wie die örtlichen Behörden mitteilen. Cherson liegt direkt nördlich von der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim.

Russland startete groß angelegten Angriff

Russland hat in der Nacht über mehrere Flanken und mit Bodentruppen einen groß angelegten Angriff auf die Ukraine gestartet. Nach Angaben des ukrainischen Grenzschutzes drangen russische Bodentruppen mit Panzern und weiterem schweren Gerät aus mehreren Richtungen in die Ukraine ein, unter anderem von Belarus aus. Begleitet wurde der Einmarsch von massivem Beschuss aus der Luft. Russische Truppen bewegten sich auf die Hauptstadtregion Kiew zu, meldete der Grenzschutz.

Laut einem Berater des ukrainischen Präsidialamts gab es bis zu Mittag mehr als 30 russische Angriffe auf zivile Ziele und militärische Infrastruktur. Schwere Gefechte gebe es auch am Militärflughafen Hostomel bei Kiew. Es könnte sein, dass russische Fallschirmspringer über Kiew abspringen und versuchen in das Regierungsviertel einzudringen, so der Berater.

Bei den Gefechten am Flugplatz Hostomel wurden laut ukrainischem Verteidigungsministerium mindestens drei russische Hubschrauber abgeschossen. Beim Absturz eines ukrainischen Militärflugzeugs südlich von Kiew wurden nach offiziellen Angaben mindestens fünf Menschen getötet worden. Die Absturzursache war zunächst unklar.

Explosionen waren auch in der Hauptstadt Kiew, in Charkiw und der Hafenstadt Mariupol zu hören. Unter anderem in Kiew wurden nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums militärische Kommandozentralen angegriffen. Viele Menschen versuchten, die Hauptstadt zu verlassen, auf den Ausfallstraßen bildeten sich kilometerlange Staus. Nach den Worten von Außenminister Dmytro Kuleba griff das russische Militär von mehreren Seiten aus massiv an. Er sprach von einer groß angelegten russischen Invasion.

Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte das Kriegsrecht

In Donezk im Osten des Landes, die von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird, war laut Augenzeugen Artilleriefeuer zu hören. Pro-russische Separatisten brachten nach eigenen Angaben zwei Orte in der Region Luhansk unter ihre Kontrolle, wie die russische Nachrichtenagentur Ria berichtete. Die Ukraine dementierte, dass die Frontlinie in der Ostukraine durchbrochen worden sei.

Koordinierte Angriffe gab es vor allem im Osten der Ukraine. Im Süden würden ukrainische Stellungen mit Raketensystemen und Hubschraubern attackiert, erklärte der Grenzschutz. Die Ukraine meldete, dass mehr als 40 Soldaten getötet worden seien. Es gebe auch Opfer unter den Zivilisten, hieß es. Bei einem Angriff im Osten der Ukraine wurde den Rettungsdiensten zufolge ein Bub getötet. In der Region des ukrainischen Schwarzmeer-Hafens Odessa gab es den örtlichen Behörden zufolge bei einem Raketenangriff mindestens 18 Tote. In der Stadt Browary bei Kiew starben laut dem dortigen Bürgermeister mindestens sechs Menschen. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.

"Militäroperation" in der Ukraine

Der russische Staatschef Wladimir Putin hatte in der Nacht zum Donnerstag in einer Fernsehansprache eine "Militäroperation" in der Ukraine befohlen. Wenig später waren in mehreren ukrainischen Städten, darunter auch in der Hauptstadt Kiew sowie den Hafenstädten Mariupol und Odessa, Explosionen zu hören.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, Ziel der Angriffe in der Ukraine sei "die militärische Infrastruktur". Nach den Worten des russischen UN-Botschafters Wassili Nebensia soll aber auch gegen die Regierung in Kiew, die er "Junta" nannte, vorgegangen werden. Russlands Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin nannte eine vollständige Entmilitarisierung der Ukraine als Ziel des russischen Angriffs. Dies sei der einzige Weg, einen Krieg in Europa zu vermeiden, schrieb Wolodin im Nachrichtenkanal Telegram.

"Die Welt muss Russland zum Frieden zwingen"

Wenige Stunden nach dem Beginn der Offensive erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau, die russische Armee habe die Luftabwehr sowie die Luftwaffenstützpunkte in der Ukraine außer Gefecht gesetzt. Kiew meldete den Abschuss von fünf russischen Kampfjets und einem Hubschrauber.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte das Kriegsrecht über die gesamte Ukraine und rief seine Landsleute zur Verteidigung des Landes auf. Der ukrainische Präsident forderte eine weltweite "Anti-Putin-Koalition". "Die Welt muss Russland zum Frieden zwingen", erklärte er nach Krisentelefonaten mit seinen westlichen Partnern. Die diplomatischen Beziehungen mit dem Nachbarland Russland brach die Ukraine ab.

Das ganze Ausmaß des russischen Angriffs war zunächst nicht zu überblicken. Putin sagte aber, Ziel sei nicht, ukrainisches Territorium zu besetzen. Es gehe darum, die Menschen zu schützen. Das ukrainische Militär solle die Waffen niederlegen.

Die Ukraine schloss ihren Luftraum komplett, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk meldete. Die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA warnte Fluglinien davor, über die Ukraine zu fliegen.

US-Präsident Joe Biden, die westlichen Verbündeten, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie die Europäische Union und die NATO verurteilten Putins Vorgehen scharf und kündigten umgehend weitere Sanktionen an. Russland hat nach den Worten von Biden "vorsätzlich" einen "Krieg" gegen die Ukraine begonnen.

Vertreter der 30 NATO-Staaten kamen zu einer Krisensitzung zusammen. Militärische NATO-Unterstützung für die Ukraine gilt weiter als ausgeschlossen, weil dadurch ein noch größerer Krieg zwischen der NATO und Russland ausgelöst werden könnte.

Die EU wird nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel umgehend ein neues Sanktionspaket beschließen. Dieses werde "massive und schwerwiegende Folgen" für Russland haben. Für den Abend ist ein EU-Krisengipfel in Brüssel geplant. Die USA, die EU und weitere Verbündete haben bereits Sanktionen verhängt.

Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Der Kremlchef plant zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine.

Österreich verhängte am Donnerstag eine Reisewarnung für die gesamte Ukraine. "Vor allen Reisen in die Ukraine wird aufgrund der unvorhersehbaren Sicherheitssituation eindringlich gewarnt. Es wird dringend geraten, die Ukraine unverzüglich zu verlassen", so das Außenministerium auf seiner Homepage.