Menschenmassen bei der Pride in Budapest trotz Verbot

Rekordzahlen bei verbotener Pride in Budapest

Ungarn ist das erste Land in der EU, in dem eine Pride verboten wurde. Heute Samstag findet sie trotzdem statt. Ein Bericht aus Budapest.

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Dorottya Réda steht vor einem Theatercafé in der Innenstadt von Budapest und rollt mit ihren Mitstreiterinnen ein pinkes Transparent aus. Die lesbische Aktivistin nimmt seit Jahren an Regenbogenparaden in Ungarn Teil, zum ersten Mal 2003. Sie erinnert sich an Paraden, die von rechtsextremen Gruppen gestört wurden und an Absperrungen, in denen sich die Teilnehmenden wie in einer Festung fühlten.

Noch nie, sagt Dorottya Réda, wurde eine Parade von Politik und Polizei als illegal erklärt. Bis jetzt. Ihr Land, Ungarn, ist 2025 das erste EU-Mitgliedsland, das eine Parade der sogenannten LGBTQ-Gemeinde verboten hat, die wichtigste Versammlung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, transidenten und queeren Menschen.

Heute Samstag sind in Budapest trotzdem Zehntausende laut Medienberichten bis zu 200.000 Tausend auf die Straße gegangen. Noch gibt es keine offiziellen Zahlen, aber die Vermutung liegt nahe: Es ist vermutlich die größte Pride, die in 30 Jahren je in Ungarn stattgefunden hat. „Wir gehen davon aus, dass 180.000 bis 200.000 Menschen teilnehmen“, sagte die Präsidentin der Pride, Viktoria Radvanyi, am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Eine genaue Schätzung sei schwierig.

Trotz Verbot demonstrieren in Budapest Zehntausende

Das liegt auch an der großen Solidarität aus ganz Europa. Mehr als 70 Europaabgeordnete aus verschiedenen Ländern haben ihre Teilnahme angekündigt. Auch mehrere Nationalrats- und Europaabgeordnete von SPÖ, Grünen und NEOS waren bei der Pride dabei.

Das österreichische Außenministerium kommentierte das Verbot auf Social Media mit den Worten: „Friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung sind Grundrechte und zentrale europäische Werte. Die Regierungen müssen sie respektieren und schützen - für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig davon, wen sie lieben. Österreich steht an der Seite aller, die ihre Stimme für Gleichheit und Würde erheben.

Wie groß die Menge ist, merkt man, wenn man über die berühmte Elisabethbrücke auf das andere Ufer der Donau geht. Auch wenn man einen Kilometer weiter läuft und zurückblickt, sieht man immer noch Menschenmassen die Brücke überqueren. Der Strom reißt nicht ab. Es sind so viele, dass sie nicht auf das Gelände passen, wo am Abend die Abschlussreden stattfinden.

"Love cannot be banned"-Banner bei der Pride in Budapest

Trotz Verbot haben sich unterschiedliche Gruppen angeschlossen. Nicht nur Mitglieder der LGBTQ Gemeinde und junge Menschen, sondern auch Personen, die mit der Szene wenig gemein haben. Bis auf die Empörung, dass in Ungarn im Jahr 2025 eine friedliche Versammlung kurzerhand verboten werden kann.

Im Schatten eines Kastanienbaumes sitzt eine Gruppe ungarischer Rentner. Eine Frau erzählt, warum sie alle hier sind. „Aus Trotz und aus Protest gegen diese Regierung“, sagt sie. Es ist das erste Mal überhaupt, dass sie auf einer Pride ist, sagt sie. Niemand von ihnen sei schwul oder lesbisch. Aber alle wollen ihre Solidarität mit der Community ausrücken. Es sei unglaublich, dass die ungarische Regierung glaubt, dass solche Veranstaltungen einen schlechten Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben.

Genau das ist aber das Argument der Regierung.

Wie kam es zu dem Verbot?

In einer Rede zur Lage der Nation im Februar 2025 kündigte Viktor Orbán das Verbot mit den folgenden Worten an: „Ich schlage sogar vor, dass die Organisatoren der Pride sich nicht die Mühe machen, die diesjährige Parade vorzubereiten. Das ist Geld- und Zeitverschwendung.“ 

Aus dem Nichts kam diese Ankündigung nicht. Sie war viel mehr der Höhepunkt einer Reihe von homophoben und transphoben Gesetzen. Unter dem Vorwand des Kinderschutzes schränkt die rechtskonservative Regierung in Ungarn seit Jahren die Rechte der LGBTQ-Gemeinde ein. So etwa 2021 mit einem Gesetz, das Darstellungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder von Transidentität im Fernsehen, der Werbebranche aber auch an Schulen verbietet (Lesen Sie mehr dazu hier). Die EU leitete deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Doch anstatt einzulenken ging Orbán in die Offensive. Im März 2025 änderte das ungarische Parlament das Versammlungsgesetz. Fortan können öffentliche Veranstaltung, die gegen das „Propaganda Gesetz“ aus dem Jahr 2021 verstoßen, verboten werden. Also auch Regenbogenparaden. Die Regierung behauptet, dass derartige Versammlungen „schädlich“ für Kinder seien. Im April wurde das Verbot auch noch zusätzlich auf Verfassungsebene festgeschrieben. Das Pride-Verbot ist nicht das erste Gesetz in Ungarn, das nicht konform mit EU-Recht geht. 

Was sagt Orbán ?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich in einem Video solidarisch mit der Pride. Sie fordert die ungarischen Behörden auf, das Verbot der Pride-Parade in Budapest aufzuheben und den Umzug stattfinden zu lassen. Orbán, der Brüssel seit Jahren als Feindbild aufbaut, konterte sofort. In einer Radiosendung am Freitag (hier eine englische Zusammenfassung) verglich Ungarns Ministerpräsident die EU mit der ehemaligen Sowjetunion. Auch Moskau habe Ungarn früher als „untergeben“ angesehen und den Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben hätten. Wer an der Pride teilnehme, müsse „mit den gesetzlichen Konsequenzen rechnen“, so Orbán in dem Radio-Interview. Gleichzeitig schloss er aus, dass es am 28. Juni zu Polizeigewalt kommen werde, denn Ungarn sei „schließlich ein zivilisiertes Land“ und „Teil einer bürgerlichen Welt.“ Es sei „der ungarischen Kultur fremd“ körperliche Gewalt anzuwenden. Auch wenn sich Menschen „in völlig schändlicher Weise“ im öffentlichen Raum zeigen. „Natürlich gibt es Fälle, in denen die Polizei Gewalt anwenden muss – etwa gegenüber Kriminellen. Aber darum geht es hier nicht“, so Orbán in dem Radio-Interview am Freitagmorgen. 

Überwachung mit Gesichtserkennung 

Das Gesetz erlaubt es den Behörden außerdem, Organisatoren und Teilnehmer von Veranstaltungen wie der Pride-Parade mit Geldstrafen von bis zu 500 Euro zu belegen. Dabei darf auch digitale Gesichtserkennung eingesetzt werden. Ob diese Strafen tatsächlich verhängt werden, ob nur gegen ungarische Staatsbürger oder auch Teilnehmende aus dem Ausland, ist unklar. Der deutsche EU-Abgeordnete Daniel Freund, der am Samstag ebenfalls auf der Pride anwesend war und als einer der lautesten Orbán-Kritiker in Brüssel gilt, hält den Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung für illegal: „Das widerspricht europäischem Recht. Beispielsweise verbietet das kürzlich verabschiedete KI-Gesetz den Einsatz von KI und Gesichtserkennung für solche Zwecke. Wenn er eine Strafe für die Pride zugeschickt bekommen würde, dann würde er sie nicht bezahlen, sagt Freund. Denn der Einsatz der Gesichtserkennung sei illegal. Mehr als 60 Abgeordnete aus dem EU-Parlament haben die EU-Kommission dazu aufgerufen zu prüfen, ob die ungarische Regierung mit dem Pride-Verbot gegen die neue KI-Verordnung verstößt. Darunter auch Thomas Waitz von den österreichischen Grünen. 

Budapest Bürgermeister unterstützt die Pride 

Der Bürgermeister von Budapest Gergely Karacsony, ein grün-liberaler Politiker der Opposition, hat schon frühzeitig angekündigt, das Pride-Verbot ignorieren zu wollen. Nachdem die Polizei die Pride untersagte, erklärte der Bürgermeister sie zu einem „Fest der Freiheit auf kommunaler Ebene“. Seine Argumentation: Wenn die Pride eine „städtische Veranstaltung“ ist, brauche es keine Genehmigung der Behörden. In seiner Stadt gäbe es keine Bürger und Bürgerinnen erster und zweiter Klasse, erklärte er. Weder die Freiheit noch die Liebe könne in Budapest verboten werden. 

Aus Sicht der Orbán-Regierung gilt das Verbot aber weiterhin. Ungarns Justizminister hat in einem Schreiben an die Botschaften mehrerer EU-Länder klargestellt, dass die Pride „eine gesetzlich verbotene Versammlung“ sei. 

Fidesz steht politisch unter Druck 

Das Pride-Verbot lässt sich auch mit der innenpolitischen Lage in Ungarn erklären. Denn mit dem Oppositionellen Péter Magyar, der selbst einmal Teil der Fidesz war, ist Orbán ein mächtiger Gegenspieler entwachsen. Laut einer jüngsten Umfrage liegt Magyars Partei „Tisza“ mit 15 Prozentpunkten vor der Fidesz. Die nächsten Wahlen sollen im kommenden Frühjahr stattfinden. Mit dem Pride-Verbot, so Beobachter, versucht Orbán seinem Gegenspieler Péter Magyar eine Falle zu stellen und die Opposition zu spalten. Diese Taktik ist laut dem ungarischen Investigativ-Journalisten Szabolcs Panyi nicht aufgegangen. In einem Newsletter schreibt er: „Magyar ist nicht in die Falle getappt. Stattdessen verfolgte er weiterhin seine eigene Agenda und konzentrierte sich auf Inflation, Armut, marode Infrastruktur und Ungarns verfallendes Gesundheitssystem. Infolgedessen ist das Pride-Verbot für Orbán nicht nur politisch obsolet geworden, sondern stellt auch eine zunehmende Belastung dar." 

Laut Szabolcs Panyi bleiben der Regierung in Ungarn zwei „schlechte Optionen“, wie er schreibt. Entweder sie setzen auf Polizeigewalt und treten damit Unruhen und Massenproteste los. Oder aber sie lassen die Pride friedlich über die Bühne gehen und signalisieren damit Schwäche. 

Dieser Artikel wird laufend aktualisiert.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.