Tom Vilsack soll erneut US-Landwirtschaftsminister werden

Tom Vilsack soll der neue US-Landwirtschaftsminister werden - das war er bereits unter Barack Obama. profil hat ihn 2015 interviewt: Ein Gespräch darüber, ob Hunger eine Frage der nationalen Sicherheit ist, woran TTIP scheitern könnte und über gentechnisch veränderte Äpfel und Christbäume.

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Dieses Interview erschien erstmal in der profil-Ausgabe Nr. 10 / 2015 vom 02.03.2015.

profil: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon kündigte im Rahmen seiner Zero Hunger Challenge an, den Hunger noch innerhalb unserer Lebensspanne zu besiegen. Das klingt optimistisch.

Tom Vilsack: Das ist nicht so weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass 30 bis 40 Prozent der Nahrungsmittel weltweit verschwendet werden. Hier liegt eine Möglichkeit, den Hunger zu bekämpfen. Wir müssen angemessene Transportsysteme für Nahrungsmittel schaffen. Das erfordert ein hohes Maß an internationaler Kooperation. Wie der UN-Generalsekretär bin ich aber optimistisch, dass wir die Zahl hungernder Menschen in der Welt weiter verringern können.

profil: Sie haben mehrfach gesagt, Hunger sei nicht nur eine moralische und ökonomische Frage, sondern auch eine der nationalen Sicherheit.

Vilsack: Handelspartner führen keine Kriege gegeneinander. Das lehrt die Geschichte. Wenn wir Bauern in Entwicklungsländern helfen, dann stärken wir auch unsere außenpolitischen Beziehungen. Hungernde Menschen sind oft ohne Hoffnung. Hoffnungslose Menschen entwickeln gewisse Ansichten über die Ursache ihrer Situation. Kann man Menschen ernähren, kann man ihnen auch Bildungszugänge verschaffen. Erhalten sie Zugang zur Bildung, haben sie neue Möglichkeiten. Am Ende schafft man so Stabilität.

profil: Die UN-Ernährungsorganisation FAO sagt einen Anstieg der Erdbevölkerung auf neun Milliarden Menschen bis 2050 voraus, was eine 60-prozentige Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion erfordert.

Vilsack: Unsere Regierung hat einen umfassenden Zugang. Nahrungsmittelproduzenten in den Entwicklungsländern müssen ihre Produktivität erhöhen, um den Hunger zu bekämpfen. Dazu stellen wir ihnen die notwendigen Technologien zur Verfügung. Außerdem müssen wir die Verluste nach den Ernten reduzieren, vor allem durch moderne Lagerungsmöglichkeiten.

profil: Die Methode Ihrer Regierung zielt allein auf Liberalisierungen ab, die Bauern in Entwicklungsländern mehr Wettbewerbsfähigkeit verschaffen soll.

Vilsack: Wir haben keine bestimmte Methode. Unser Fokus liegt auf erhöhter landwirtschaftlicher Produktivität in den Entwicklungsländern. Und auf Handel. Die Überproduktion in einem Land sollte in einem anderen verkauft werden. Dazu benötigen wir bessere Marktanalysen und bessere statistische Daten. Ein weiterer wichtiger Punkt sind zusätzliche Forschungsmittel, um etwa die Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten zu verbessern.

profil: Diese Forschungen betreffen auch genetisch veränderte Organismen, Saatgut und Nahrungsmittel, die auch ein umstrittenes Thema bei den laufenden TTIP-Verhandlungen sind. Vor zwei Wochen hat Ihr Ministerium einen genetisch veränderten Apfel zugelassen, dessen Spalten nicht mehr braun werden. Haben Sie schon einen probiert?

Vilsack: Nein.

profil: Bisher sollte die Gentechnologie die Landwirtschaft unterstützen. Nun richtet sie sich direkt an die Konsumenten. Ist das die Zukunft?

Vilsack: Schon jetzt konzentriert sich die Gentechnologie auch auf die Konsumenten, etwa bei der Herstellung von mit Vitaminen angereicherten Reissorten. Konsumenten in den USA und in der EU wünschen sich günstige und sichere Lebensmittel. Als verantwortliche Politiker müssen wir alles daransetzen, dass sie diese bekommen und dass gleichzeitig die in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide reduziert werden. Die Wissenschaft kann uns dabei helfen.

profil: Brauchen wir wirklich Apfelspalten, die nicht braun werden?

Vilsack: Wir brauchen sie. Viele Leute verzichten auf einen an sich gesunden Apfel, nur weil er schlecht aussieht. Das verursacht Abfall. Der Abfall landet auf der Mülldeponie. Dort entsteht Methangas. Das Gas löst die Klimaprobleme aus, mit denen wir heute konfrontiert sind. Da gibt es eine direkte Verbindung.

profil: Franklin D. Roosevelt sagte: "Mensch und Natur müssen Hand in Hand zusammenarbeiten.“ Heutzutage scheint der Mensch der Natur ins Handwerk zu pfuschen.

Vilsack: Nein.

profil: Konsumenten in Deutschland und Österreich sehen genetisch veränderte Lebensmittel sehr kritisch, was auch einer der Gründe für die Ablehnung von TTIP ist.

Vilsack: Ich will nicht darüber sprechen, was Konsumenten in Europa denken. Ich sage bloß, dass die Wissenschaft ganz klar Gesundheitsrisiken in Zusammenhang mit gentechnologisch veränderten Organismen und Lebensmitteln ausschließt. Den Prozess, dass sich das Erbgut von Pflanzen ändert, gibt es ja seit Jahrtausenden. Es ist wichtig, dass wir die Wissenschaft respektieren und sie nützen, wenn wir auch in Zukunft hinreichend Lebensmittel produzieren wollen. Der Klimawandel könnte uns stärkere Stürme, längere Dürren und neue Schädlinge und Krankheiten bringen. Dank der Wissenschaft können wir diese Bedrohungen bekämpfen oder zumindest abmildern.

profil: Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt sagt, nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse würden zählen, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Und die ist im Falle gentechnisch veränderter Lebensmittel in manchen Ländern nicht gegeben.

Vilsack: Wenn es um unser Essen geht, kann man bei Konsumenten leicht subjektive Reaktionen auslösen. Das macht es schwierig, einen fairen und effektiven Handel zu fördern. Jede Seite kann Handelshemmnisse für neue Produkte schaffen, weil man diese einfach nicht mag, oder auch weil man um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produzenten fürchtet. Wenn wir einen freien Austausch von Handelsgütern und Dienstleistungen über unsere Grenzen wollen, müssen wir ein System schaffen, das auf objektiven Fakten und Wissenschaftlichkeit basiert.

profil: Sie halten die Europäer also für irrational oder gar für arrogant.

Vilsack: Das liegt mir fern. Ich denke aber, dass es in manchen Ländern Sorgen um die eigenen Produzenten gibt. Es ist meine Aufgabe, Herstellern in den USA und in Europa von den Möglichkeiten zu überzeugen, die der internationale Handel bietet. Europäische Anbieter erzeugen viele hochwertige agrarische Produkte, die von Konsumenten in den USA stark nachgefragt werden. Dieser Markt wird weiter wachsen. Auf der anderen Seite müssen auch wir die gleichen Möglichkeiten haben, in Europa Handel zu treiben. Wenn wir das erreichen, werden beide Seiten, Europa und die USA, von TTIP profitieren.
 

profil: Zwischen den Verhandlern von EU und USA gibt es Meinungsverschiedenheiten über unterschiedliche Standards in der Lebensmittelproduktion. Das Chlorhuhn wurde zum Symbol für den Widerstand gegen TTIP.

Vilsack: Natürlich sorgen sich Verbraucher um die Sicherheit ihrer Lebensmittel. Wir haben unsere Sicherheitssysteme. Die EU hat andere. Es ist Zeit, diese Systeme gegenseitig anzuerkennen. Und dann soll der Markt entscheiden. Wenn die Konsumenten ein Produkt ablehnen, wird es nicht mehr angeboten. Aus meiner Sicht sollte der Markt entscheiden, nicht die Politik.

profil: Wird es überhaupt ein TTIP-Abkommen geben?

Vilsack: Es ist aus unserer Sicht kein einfacher Prozess. Vor allem die Landwirtschaft ist ein kompliziertes Kapitel, nicht nur wegen der Gentechnik, sondern auch wegen des Hormoneinsatzes in der Rinderzucht oder der Herkunftsbezeichnungen, die für manche EU-Mitgliedsstaaten sehr wichtig zu sein scheinen.

profil: Etwa für Italien und Frankreich, die gegen amerikanischen Parmesan oder kalifornischen Champagner kämpfen.

Vilsack: Handelsabkommen werden nie geschlossen, wenn jemand eine Grenze im Sand zieht und sagt: "So nicht.“

profil: Das tun etwa die Italiener.

Vilsack: Wir müssen eine kreative Lösung finden. Das wird nicht einfach sein. Wir sind dazu bereit, aber ich kann auch nicht zu viel versprechen. Wenn das Landwirtschaftskapitel in TTIP nicht fair und angemessen verhandelt wird, wird eine Zustimmung von der US-Seite nur schwer zu bekomen sein.

profil: Es gibt bereits Überlegungen über eine Art TTIP light ohne Landwirtschaft.

Vilsack: Ohne Landwirtschaft wird der Kongress einem solchen Abkommen nie zustimmen.

profil: 2006 kündigten Sie an, demokratischer Präsidentschaftskandidat werden zu wollen. Im Februar 2007 zogen Sie sich aus Geldmangel wieder zurück. Eine Präsidentschaftskandidatur verschlingt mittlerweile eine Milliarde Dollar. Eine Fehlentwicklung?

Vilsack: Das wird sich nicht ändern. Vielleich schaffen die sozialen Medien neue Möglichkeiten für Kandidaten mit begrenzten Mitteln. Aber generell werden Wahlen über die finanziellen Ressourcen geführt. Da gibt es verschiedene Zugänge. Manche Kandidaten sammeln sehr viel Geld bei ein paar Leuten ein, andere kleine Beträge bei sehr vielen Leuten. Ich für meinen Teil würde Zweiteres bevorzugen, weil es breitere Unterstützung beweist.

profil: Sie werden 2016 nicht mehr kandidieren?

Vilsack: Nein.

profil: 2008 haben Sie bei der Wahl des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton unterstützt. Wird sie es erneut versuchen?

Vilsack: Ich habe nicht mit ihr gesprochen, sodass ich den aktuellen Stand nicht kenne. Die Demokratische Partei hat viele geeignete Kandidaten, die auch schon ihr Interesse bekundet haben. Hillary Clinton wäre eine außergewöhnliche Präsidentin, sollte sie sich für eine Kandidatur entscheiden.

profil: Stünden Sie als ihr Vizepräsident zur Verfügung. Entsprechende Spekulationen gab es ja beim letzten Mal.

Vilsack: Ja, das Spiel kenne ich schon. In dieser Frage sind sogar hypothetische Überlegungen überflüssig.

profil: War es eine Ehre, anlässlich der State-of-the-Union-Rede von Präsident Obama 2012 als sogenannter Designated Survivor bestimmt zu werden, der im Falle eines Attentats auf die Regierung den Oberbefehl übernimmt?

Vilsack: Unsere Nachfolgeregelungen besagen, dass ein Regierungsmitglied bei solchen Anlässen sich als möglicher Nachfolger im Falle einer Katastrophe an einem anderen Ort bereithalten muss. 2012 wählte der Präsident mich aus.

profil: Wo waren Sie denn, als der Präsident, der Vizepräsident und alle anderen Kollegen im Kapitol waren?

Vilsack: Das kann ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen, aber es war eine interessante Erfahrung.

profil: Ihr Job ist ziemlich umfangreich. Einerseits kümmern Sie sich um den Hunger in der Welt, andererseits führten Sie eine 15-Cent-Abgabe auf Christbäume ein.

Vilsack: Die Christbaum-Züchter waren der Ansicht, mehr Geld für ihr Marketing zu benötigen. Also stimmten sie freiwillig dieser Abgabe zu, deren rechtmäßige Verwendung wir kontrollieren.

profil: Würden Sie auch einen gentechnisch veränderten Christbaum kaufen, der zum Beispiel keine Nadeln verliert?

Vilsack: Wir bekommen unsere Christbäume immer vom US-Forest Service, der zum Landwirtschaftsministerium ressortiert. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, ob mein Christbaum gentechnisch behandelt ist oder nicht. Ich weiß nur, dass es eine wunderbare Familientradition ist.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.