Michailo Gavriliuk  wurde auf dem Maidan von der Polizei nackt im Schnee mishandelt und dabei gefilmt

Ukraine: Die Ikonen des Maidan ein Jahr danach

Ein Jahr nach dem Blutbad von Kiew und dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch ist die Ukraine tiefer in der Krise denn je: Was wurde aus den Demonstranten von damals – und wie sehen sie die Lage heute?

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Vor genau einem Jahr, am 18. Februar 2014, eskalierten die Euromaidan-Proteste in Kiew zu einem Blutbad: Schießereien zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten forderten 80 Todesopfer, drei Tage später ergriff der höchst umstrittene Präsident Viktor Janukowitsch die Flucht.

Was von der Opposition zunächst als Sieg gefeiert wurde, hat sich seither zu einem Sezessionskrieg entwickelt, an dem die Ukraine zu zerbrechen droht. Die Halbinsel Krim, Anfang März von Russland annektiert, ist de facto bereits verloren; große Teile der Donbass-Region im Osten des Landes werden von separatistischen Milizen kontrolliert, die der Kreml unterstützt. Ob ein vergangene Woche unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich nach 17 Stunden zäher Gespräche unterzeichnetes Friedensabkommen hält, ist fraglich. Nicht einmal die Verhandler selbst wollten zunächst von einem Durchbruch sprechen – und schon gar nicht von einer Lösung. Vieles deutet darauf hin, dass Russland den Konflikt weiterhin am Köcheln halten wird, um eine West-Bindung der Ukraine zu verhindern. Gleichzeitig steht die Regierung in Kiew unter innenpolitischem Druck, weiterhin militärisch gegen die Sezessionisten vorzugehen.

Wie denken ehemalige Maidan-Teilnehmer über die Demos, ihre Folgen und die heutige Lage? profil hat sechs Aktivisten besucht, die voriges Jahr zu Ikonen der Protestbewegung wurden.

Michailo Gavriliuk ein jahr nach dem Blutbad von Kiew

Ich rede nicht mehr mit Russen

Der Bauleiter Michailo Gavriliuk (35) wurde auf dem Maidan von einer Polizeieinheit festgenommen, ausgezogen, bei tiefwinterlichen Temperaturen nackt im Schnee misshandelt und dabei gefilmt. Heute sitzt er als Abgeordneter der Regierungspartei "Volksfront" im Parlament.

Ich habe nicht gedacht, dass ich da noch lebend herauskomme. Als mich die Polizisten ausgezogen und gefilmt haben, habe ich eigentlich schon mit meinem Leben abgeschlossen und zu Gott gebetet, dass er meine Seele aufnimmt. Das waren meine Gedanken. Indem sie mich erniedrigten, wollten sie auch das ukrainische Volk erniedrigen. Das ist ihnen aber nicht gelungen. Im Gegenteil: Es hat das Volk nur noch mehr aufgebracht. Je mehr sie uns bekämpft haben, desto stärker sind wir geworden. Und wir haben gesiegt. Und genauso werden wir auch den Krieg gewinnen. Wir brauchen nur eines: moderne Waffen. Patrioten haben wir genug.

Vor dem Maidan war ich ein ganz einfacher Mensch, habe als Bauleiter gearbeitet. Ich bin immer noch ein einfacher Mensch, aber jetzt kennt mich die ganze Ukraine. Die Leute grüßen mich auf der Straße, machen Fotos mit mir.

Der Maidan ist noch nicht vorbei

Ich bin ein Kosake. Als der Krieg angefangen hat, habe ich meinen Eid geleistet und bin kämpfen gegangen. Dort, an der Front, haben mich meine Freunde überredet, in die Politik zu gehen. Und ich wurde tatsächlich gewählt! (Über ein Direktmandat in der Stadt Irpin, Anm.) In der Werchowna Rada sitzen so viele Diebe. Früher konnte ich nichts gegen Korruptionisten machen, jetzt schon. Ich verdiene mein Geld auf ehrliche Weise. Wenn Parlamentssitzungen sind, bin ich in Kiew. Wenn nicht, bin ich an der Front.

Ich habe in Russland am Bau gearbeitet, in Tschukotka, Tjumen und Krasnodar – auch zur Zeit der Orangen Revolution. Russland und wir hatten früher doch eine freundschaftliche Beziehung. Ich kenne viele Russen. Aber ich habe beschlossen, nicht mehr mit ihnen zu reden. Sie haben keine Ahnung, was bei uns passiert. Im Fernsehen behaupten sie dort um Beispiel, dass die US-Amerikaner in der Ukraine gegen die Aufständischen kämpfen.

Auf dem Maidan haben wir ein besseres Leben gefordert, eine bessere Zukunft für unsere Kinder. Und jetzt haben wir Krieg. Der Maidan ist noch nicht vorbei.

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