Den sozialen Fähigkeiten auf der Spur
Über die sozialen Fähigkeiten von Hunden sind oft sogar ihre Besitzer*innen erstaunt. Die Tiere nehmen deren Gefühlslage mit feinen Antennen wahr, kuscheln sich zu ihnen, wenn es den Menschen nicht gut geht, oder gehen ihnen aus dem Weg, wenn sie merken, dass diese grantig sind. „Hunde können unser Verhalten gut interpretieren und reagieren schnell darauf“, weiß Markus Hengstschläger aus eigener Erfahrung. „Warum haben Hunde und Menschen trotz unterschiedlicher Evolutionsgeschichte ähnliche soziale Fähigkeiten entwickelt?“ Genau das versuche sie herauszufinden, antwortet Magdalena Boch. „Im Zuge meines PhD habe ich erforscht, ob diese ähnlichen Fähigkeiten im Gehirn auf gleiche Weise zustande kommen“, erzählt die Neurowissenschafterin. Warum in diesem Zusammenhang gerade Hunde so interessant seien, will Martina Salomon wissen. „Wir sind einen Teil unserer Evolution gemeinsam gegangen“, erwidert Magdalena Boch. „Das nennt man konvergente Evolution: Menschen und Hunde sind nicht nahe verwandt, haben aber aufgrund ähnlicher Umweltanforderungen ähnliche Fähigkeiten entwickelt.“ „Du wendest dabei bildgebende Verfahren an“, sagt Markus Hengstschläger. „Wie kann man sich das vorstellen?“ Da muss Magdalena Boch ein wenig ausholen. Sie erzählt, dass Hundetrainer*innen ein Programm entwickelt haben, in dem die Tiere Schritt für Schritt an die Sache herangeführt werden, denn sie müssen lernen, sich auf eine Art Bahre zu legen, damit sie in das MRT geschoben werden können. „Während der Messung dürfen sie den Kopf nicht bewegen, das wäre ein Ausschlusskriterium“, erklärt die Neurowissenschafterin. „Das Geheimnis ist, dass man sich Zeit lässt und das Training individuell an den Hund anpasst.“ Der Erfolg gibt dem Team recht: Die Hunde, die für das Forschungsprojekt trainiert wurden, bewegten sich für die Dauer der Untersuchung, die zwischen fünf und acht Minuten liegt, nur wenige Millimeter.
Magdalena Boch
Magdalena Boch promovierte in Psychologie an der Universität Wien und forscht derzeit am Cognitive Neuroecology Lab der Universität Oxford. Für die Entwicklung von Analysemethoden für nichtinvasive bildgebende Verfahren für Hunde, mit denen sie die Evolution des sozialen Gehirns erforscht, wurde sie mit dem von UNESCO und L’Oréal ins Leben gerufenen Award „For Women in Science“ 2024 ausgezeichnet. Derzeit weitet sie ihre Forschung auf nahe Verwandte der Hunde – afrikanische Wildhunde und Wölfe – aus, wofür sie mit dem Erwin-Schrödinger-Fellowship des FWF gefördert wird.
Neue Erkenntnisse gewonnen
Martina Salomon fragt nach, wie weiter vorgegangen wurde. Man habe den Hunden Bilder und Videos gezeigt, und dabei wurde ihr Gehirn gescannt, erklärt Magdalena Boch. „Ich will wissen, wie soziale Fähigkeiten in unserem Gehirn zustande kommen, und deren Evolution verstehen“, betont sie. „Menschen und Hunde haben unterschiedliche Gehirne – aber beide haben den Temporallappen, den nicht alle Säugetiere besitzen.“ Das bringt Martina Salomon gleich zur nächsten Frage: „Musstest du lernen, diese Bilder richtig zu interpretieren?“ Die Neurowissenschafterin bejaht. „Vor allem ist die Software zum Bearbeiten der Daten für Menschengehirne gemacht worden“, erzählt sie. „Ich habe daher eine spezielle Analysemethode entwickelt, die auf das Hundegehirn angepasst ist.“ Dafür wurde Magdalena Boch 2024 mit dem L’Oréal-UNESCO-Forschungspreis „For Women in Science“ ausgezeichnet. „Was waren denn die Ergebnisse?“, erkundigt sich Markus Hengstschläger.
Martina Salomon
Martina Salomon studierte Germanistik und Politikwissenschaft an der Universität in Salzburg, wo sie auch promovierte. Danach schlug sie ihre journalistische Karriere ein. Zunächst war Salomon freie Mitarbeiterin beim ORF Oberösterreich und bei den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Weitere Stationen ihrer Karriere waren bei der „Tiroler Tagezeitung“, dem „Standard“ sowie der „Presse“. 2010 kam sie zum KURIER – zunächst als stellvertretende Chefredakteurin, dann als Chefredakteurin. Seit 2024 ist Salomon KURIER-Herausgeberin. Darüber hinaus ist sie als Autorin und Moderatorin tätig. Ihr Buch „Salon Salomon – Gespräche mit Geschmack“ wurde kürzlich veröffentlicht.
Beim Menschen seien bestimmte Areale im Temporallappen aktiviert, wenn sie Gesichter sehen, so die Forscherin. „Von der Verhaltensforschung wissen wir, dass Hunde Emotionen in Gesichtern gut unterscheiden“, so Boch. „Wir haben wir uns angeschaut, ob sie auch diese Gesichtsregion im Gehirn besitzen wie der Mensch.“ Das Spannende sei, dass im Temporallappen der Tiere tatsächlich eine Aktivierung stattfinde – allerdings dann, wenn die Hunde Körper sehen. „Du hast mit deiner Doktorarbeit Pionierarbeit geleistet, bist ausgezeichnet worden und dann nach Oxford gegangen“, sagt Markus Hengstschläger. „Wie geht es jetzt weiter?“ Sie habe das Glück, ab Sommer 2026 eine Tenure-Track-Professur an der Universität Wien erhalten zu haben, erwidert Magdalena Boch. „Es gibt für mich keinen besseren Standort, weil in Wien so viele tolle Kognitions- und Verhaltensforscher*innen arbeiten“, betont sie. „Ich kann mir eine eigene Forschungsgruppe aufbauen und somit noch viel komplexere Fragen zum Gehirn der Hunde erforschen.“
Markus Hengstschläger
Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschafter forscht, unterrichtet Studierende und betreibt genetische Diagnostik. Er leitet den Thinktank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Stammzellforschung. Er war zehn Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Universitätsrat der Linzer Johannes Kepler Universität. Hengstschläger ist außerdem Unternehmensgründer, Wissenschaftsmoderator, Autor von vier Platz-1-Bestsellern sowie Leiter des Symposiums „Impact Lech“.