Körper

Wenn der Körper ungewollt abbaut

Andreas Bergthaler, Professor für Molekulare Immunologie an der Medizinischen Universität Wien und Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie, über die Erforschung von Kachexie.

Drucken

Schriftgröße

Was fasziniert Sie an Viren?

Andreas Bergthaler: Sie sind so klein, dass man sie nicht mit bloßem Auge sieht, und dennoch sind Viren und Mikroben überall und beeinflussen den ganzen Planeten. Wir kennen Viren vor allem als Krankheitserreger. Gibt es Beispiele, wo sie Gutes bewirken? In unseren Genen findet man immer noch Reste alter Viren. In der Evolution haben sie vermutlich dazu beigetragen, wie sich unser Genom verändert hat. Viren waren also für die Entstehung des Menschen mitverantwortlich. Will man nicht die Evolution heranziehen, ist der Darm ein gutes Beispiel. Das sogenannte Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit. Wir leben in einer Symbiose mit Milliarden Mikroben, darunter auch Viren.

Es gibt Tausende verschiedene Viren. Wie kann man alle erforschen?

Letztlich ist es ein Wesen der Forschung, dass man international auf Arbeitsteilung setzt. Die Labore besetzen unterschiedliche Nischen: Die einen schauen sich das Genom dieses oder jenes Virus an, die nächsten, wie es in die Zellen eindringt, wieder andere fragen sich, wie das Immunsystem darauf reagiert. Wir versuchen, das Virus und den Wirt zu berücksichtigen, denn dasselbe Virus kann einmal eine schwere Krankheit verursachen, im nächsten Fall nicht. Es hängt davon ab, wie der Wirt und dessen Immunsystem reagiert.

Prof. Andreas Bergthaler

Prof. Andreas Bergthaler, MedUni Wien

Was erforschen Sie aktuell?

Wir untersuchen, wie Virusinfektionen unseren Stoffwechsel durcheinanderbringen und es dadurch in manchen Situationen zu extremer Abmagerung kommt. Kachexie ist den wenigsten ein Begriff: Es handelt sich dabei um den ungewollten Gewichtsverlust, der bei schweren chronischen Erkrankungen wie Krebs, aber auch bei Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose oder COPD auftreten kann. Man geht davon aus, dass zumindest neun Millionen Menschen weltweit an Kachexie leiden und ein nicht unbeträchtlicher Teil letztlich daran stirbt. Somit ist es für die Medizin eine sehr relevante und ungelöste Problemstellung – und ein Schwerpunkt unserer Forschung. Wir wollen dabei konkret verstehen, wie das Immunsystem die Stoffwechselerkrankung Kachexie beeinflusst.

Wie gehen Sie dabei vor?

Mithilfe von Infektionsmodellen untersuchen wir die Reaktion des Immunsystems, etwa die T-Killer-Zellen, aber auch die Veränderung in Organen wie Muskeln, Fettgewebe oder in der Leber, die eine zentrale Rolle im Stoffwechsel einnimmt. So versuchen wir, Zellen und Gene zu identifizieren, die die Kachexie beeinflussen. Im nächsten Schritt entfernen wir dieses Gen und wiederholen das Modell. Tritt diesmal kein Gewichtsverlust ein, so ließe sich der Rückschluss ziehen, dass dieses eine Gen in den Abmagerungsprozess der Kachexie involviert ist. Die Ergebnisse unserer Grundlagenforschung können dann mithilfe von öffentlichen Patientendatenbanken in klinischen Beobachtungsstudien weiter untersucht werden.

Was ist das Ziel Ihrer Forschung?

Kachexie verursacht eine merklich schlechtere Lebensqualität und stellt eine starke psychologische Belastung für die Betroffenen als auch ihr Umfeld dar. Darüber hinaus stiehlt sie quasi der Medizin Zeit, um eine Therapie gegen die zugrunde liegende Erkrankung erfolgreich abzuschließen. Im Spital hat man bis jetzt nichts gegen die Kachexie in der Hand – es gibt keine Biomarker, man kann nicht voraussagen, ob jemand kachektisch wird, es fehlen auch zielgerichtete Therapien. Das wollen wir ändern. Deswegen haben wir auch das Vienna Cachexia Network, kurz Vi-CaN, gegründet, wo wir interdisziplinär mit Grundlagenforscherinnen, Klinikerinnen, Ernährungswissenschafterinnen, Palliativpflegeexpertinnen und Kolleginnen anderer Fachrichtungen über den Tellerrand hinausschauen und neue Ansätze gegen Kachexie entwickeln wollen. Mein persönliches Ziel ist, die immunologischen Mechanismen von Kachexie aufzuklären und damit letztlich die Lebensqualität und Prognose betroffener Patientinnen zu verbessern.

Mehr Informationen hier.