Pandemie

Corona-Gurgeltests: Der Streit der Millionäre

Corona-Tests machten den Arzt Christoph Steininger und den Berater Michael Putz reich. Nun wollen sie einander an die Gurgel.

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Bevor Michael Putz und Christoph Steininger im Frühjahr 2020 anfingen, Speichel zu Geld zu machen, gingen sie im Wiener Prater laufen. Notgedrungen. Treffen im Büro waren aufgrund der Corona-Bestimmungen verboten, und so absolvierten sie ihren Kennenlerntermin joggend. Es funkte. Schon am Ende ihrer Laufstrecke hatten der Unternehmensberater und der Virologe der Medizinischen Universität Wien eine Geschäftsbeziehung vereinbart, die beide zu Millionären machen sollte. Ihr Erfolgsprodukt besteht aus einem Proberöhrchen, einer Plastikkapsel mit Lösungsflüssigkeit, einem Transferröhrchen, einem Stück Zellstoff und einem Schutzbeutel, alles verpackt in einer türkis-blauen Schachtel: der PCR-Gurgeltest zur Entdeckung einer SARS-CoV-2-Infektion des Wiener Start-ups Lead Horizon.

Drei Jahre später will der eine Millionär dem anderen im juristischen Sinn an die Gurgel. Steininger zeigte Putz wegen Untreue bei der Staatsanwaltschaft Wien an. Dieser ortet einen Rachefeldzug und weist alle Vorwürfe zurück. Für die meisten ist die Corona-Pandemie zu Ende, für die Lead-Horizon-Gründer findet sie vor Gericht eine Fortsetzung. Bisher schwieg Michael Putz. Gegenüber profil und „Kurier“ gab er nun erstmals Auskunft über die Fehde. Christoph Steininger wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Michael Putz, 46, stammt aus Bad Ischl und war schon immer erfinderisch. In jungen Jahren entwarf er einen Kleiderbügel mit integriertem Schuhlöffel. An der Wirtschaftsuniversität Wien studierte er einige Semester lang BWL und spezialisierte sich auf Entrepreneurship und Innovation. Im Jahr 2006 gründete er das Consulting-Unternehmen Lead Innovation. Im Lauf der Firmengeschichte habe man etwa 300 Innovationen hervorgebracht, sagt er. Zu den Kunden zählen so unterschiedliche Betriebe wie der Gartengerätehersteller Gardena, der Zeiss-Konzern oder das Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder – und auch Betriebe aus der Medizinprodukte-Branche.

Im ersten Lockdown war Putz zum Nichtstun verdammt. Als ihm seine Frau ein Video über Massentestungen in Asien zeigte, beschloss er, ins Corona-Business einzusteigen. In den wilden Tagen der Pandemie war Geschwindigkeit entscheidend. Projekte zur Entwicklung von Coronatests gab es viele. Putz brachte sie rasch zur Marktreife. Er setzte früh auf die im Vergleich zu Wattestäbchen-Abstrichen angenehmere Gurgel-Methode. Die notwendige Software zur Abwicklung kaufte er zu. Einer der ersten Abnehmer war das Innenministerium unter dem damaligen Ressortchef Karl Nehammer, das PCR-Tests für die Polizei benötigte.

Gesucht: Testimonial

Zur Bewerbung seines Produkts suchte Putz ein Testimonial und fand es in Professor Christoph Steininger. Der Virologe war einer der ersten Ärzte, der es mit eloquenten Auftritten im Fernsehen zu Prominenz brachte. Im Mai 2020 beteiligte Putz Steininger mit 25 Prozent an der Lead Horizon und machte ihn zum Co-Geschäftsführer.

Der Virologe, 49, stellt die Geschäftsbeziehung in Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft anders da. Demnach habe er den Gurgeltest federführend entwickelt. Verdient haben beide gut. Am Höhepunkt bezog Steininger – neben seiner Tätigkeit als Arzt – eine monatliche Gage von 10.000 Euro, Putz gönnte sich 20.000 Euro als Geschäftsführergehalt. Die Aufgabenteilung war klar: Kaufmann Putz kümmerte sich ums Business, Virologe Steininger war für Produktsicherheit, Werbung und PR zuständig. Der Umsatz vermehrte sich.

Anfang Jänner 2021 stieg er sprunghaft an. Lead Horizon wurde – als Subunternehmer der Lifebrain-Group – Partner beim „Alles gurgelt!“-Projekt von Stadt Wien und Wirtschaftskammer. Die von Lead Horizon gelieferten Tests wurden über Bipa-Filialen gratis vertrieben und konnten von den Anwendern in Billa-Märkten, Tankstellen und Bahnhöfen abgegeben werden. Die Auswertung der Tests erfolgte in den Großlabors von Lifebrain in Wien-Penzing. Insgesamt wurden allein in Wien 48 Millionen Gurgeltests durchgeführt.

Während das Geschäft florierte, überwarfen sich die Gründer. Christoph Steininger wollte sich aktiver in die Geschäftsführung einbringen, wovon Putz wenig hielt. Im August 2021 eskalierte der Streit. Da er die Mehrheit am Unternehmen hielt, konnte Putz seinen Kompagnon als Geschäftsführer absetzen. Dieser forderte zum Ausgleich einen Konsulentenvertrag mit einem Honorar von 10.000 Euro monatlich – vergeblich. Wie profil vorliegende Einvernahmeprotokolle zeigen, vermutet Steininger, „der wirkliche Grund“ für seine Abberufung sei es gewesen, „mich von Informationen fernzuhalten“.

Streit um Dienstwägen

Bizarr verlief ein Wickel um Dienstwägen. Laut Steininger habe Putz verschwenderisch sieben Autos im Wert von fast 500.000 Euro angeschafft: einen Audi E-Tron, einen Porsche Taycan 4S, zwei Tesla, einen BMW und einen Mercedes GLE. Michael Putz kontert, er habe „im Sinne von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit“ ausschließlich gebrauchte E-Autos erstanden. Steininger hätte dagegen für sich einen neuen Audi A7 mit Verbrennungsmotor bestellen wollen.

Im Februar 2022 versuchte Putz, Steininger auszukaufen. Dieser forderte für seinen 25-Prozent-Anteil 38 Millionen Euro. Ein Gutachten des Wirtschaftsprüfers PricewaterhouseCoopers (PwC) ergab allerdings bloß einen Unternehmenswert von insgesamt elf Millionen Euro.

Im Dezember 2022 erreichte die Auseinandersetzung ihren Kulminationspunkt. Christoph Steininger brachte bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Strafanzeige wegen Untreue, Urkunden- und Beweismittelfälschung ein. Laut der Anzeige soll Putz „Lead Horizon über Jahre hinweg finanziell geschädigt“ haben, „indem er Vermögen der Gesellschaft für seine privaten Zwecke und Gesellschaften verwendete“. Putz dementiert kategorisch.

Weitere Vorwürfe betreffen Insichgeschäfte, den Besitz der Markenrechte, einen teuren Büroumbau und die Abrechnung von Mietkosten. Die inkriminierten Fälschungen sollen in Zusammenhang mit dem PwC-Gutachten erfolgt sein.

Selbst das Erfolgsprodukt, der PCR-Test, wurde zum Streitgegenstand. Mitte 2022 beschloss Putz, die bis dahin gebräuchliche Pufferflüssigkeit im Proberöhrchen durch eine Kochsalzlösung zu ersetzen. Steininger sah darin einen Qualitätsverlust, da die Ergebnisse weniger verlässlich seien – was Putz strikt zurückweist: „Die Lösung, die wir jetzt haben, war – das beweisen zahlreiche Studien – mindestens gleich gut, wenn nicht sogar besser als die, die wir vorher hatten. Die Pufferlösung hatten wir anfangs, weil die Tests hohen und kalten Temperaturen standhalten mussten, da sie per Post transportiert wurden.“

Geldspeichel

Michael Putz wurde bereits von der Staatsanwaltschaft einvernommen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Er habe Vertrauen in die Justiz, so der Unternehmer: „Das alles ist ein Rachefeldzug von Christoph Steininger, weil er es nicht verkraftet hat, als Geschäftsführer aufgrund von Fehlleistungen abberufen worden zu sein. Er ist blind vor Wut und gekränkt. Ich bin ein friedfertiger Mensch, aber ich weiß auch, mich gegen unberechtigte Angriffe zu verteidigen.“

Insgesamt macht Steininger in seiner Anzeige einen Schaden von 281.257,79 Euro geltend – eher eine Bagatelle angesichts der Profite, die Lead Horizon innerhalb von zwei Jahren einfuhr. Im Jahr 2021 betrug der Umsatz 100 Millionen Euro, der Bilanzgewinn knapp 21 Millionen Euro. Der Ertrag des Jahres 2022 (Umsatz: etwa 70 Millionen Euro) dürfte nicht ganz so hoch, aber mit geschätzt vier Millionen Euro ebenfalls erklecklich ausfallen.

Neben den strafrechtlichen Vorwürfen muss sich Michael Putz auch mit einer zivilrechtlichen Klage herumschlagen. Im März 2022 hatte das hessische Unternehmen CoviMedical bei Lead Horizon eine Million Test-Kits für den deutschen Markt bestellt. Vor dem Wiener Handelsgericht argumentiert CoviMedical nun, die von Lead Horizon eigens entwickelte Software habe nicht funktioniert, und fordert eine Rückerstattung der Anzahlungen. Die Vorwürfe seien „haltlos“, so Putz. CoviMedical habe sich verspekuliert und nicht mit dem Ende der Pandemie gerechnet. Nun wolle man den selbst verschuldeten Schaden auf den Lieferanten abwälzen. Der zuständige Richter am Handelsgericht riet den Kontrahenten vergangenen Dienstag zu einer Mediation. Beide Streitparteien stimmten zu.

Michael Putz plant bereits neue Innovationen. Derzeit arbeitet er an Projekten zum Ersatz von Gasthermen und Zuzieh-Hilfen bei Kippfenstern. Die Lead Horizon GmbH beschäftigt nur noch vier von einst 40 Mitarbeitern. Mit dem Ende der Pandemie und von „Alles gurgelt!“ hat sich das Geschäftsmodell „Corona-Test“ erledigt. Putz sagt, er würde anlassbezogen weiterhin gurgeln. Allerdings auch nur noch zweimal pro Monat.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.