Wenn das Haus die Hausarbeit macht
Noch bevor der Wecker klingelt, wacht das Zuhause auf. Die Jalousien fahren pünktlich und automatisch nach oben, das Radio beginnt, die Lieblingsmusik einzuspielen und signalisiert zeitgleich an die Espressomaschine und den Toaster in der Küche, mit dem Kaffeebrühen und Brotrösten zu beginnen, während einem der Badezimmerspiegel bei sanftem Licht nicht nur die wichtigsten Morgennachrichten erzählt, sondern auch Hautveränderungen erkennt und die richtigen Gesichtspflegeprodukte empfiehlt. Das mit dem eigenständigen Denken und Tun kann man sich künftig sparen. Zumindest in der Früh. „Guten Morgen!“ in einem „intelligenten Zuhause“.
Das sogenannte „Smart Home“ steht für eine vernetzte Wohnkulisse, in der verschiedene technische Geräte und Systeme zentral gesteuert werden können beziehungsweise automatisiert funktionieren. Das Konzept hat sich längst zu einem fixen Bestandteil moderner Wohnkultur entwickelt – enormes Wachstumspotenzial inklusive. Allein im vergangenen Jahr wurde der globale Smart-Home-Markt vom Marktforschungsinstitut Fortune Business Insights auf 121,6 Milliarden US-Dollar geschätzt. Noch im Laufe des heurigen Jahres soll er auf 147,5 Milliarden anschwellen und laut Prognosen bis 2032 auf über 633 Milliarden Dollar geradezu explodieren. Abseits der USA und der traditionell technikaffinen asiatischen Staaten wie Japan oder Südkorea nimmt das Business auch in Europa Fahrt auf. So wird in Österreich der Umsatz 2025 voraussichtlich rund 907 Millionen Euro betragen und bis 2029 auf 1,3 Milliarden Euro steigen.
Konnektivität nützt allen
Ein wesentlicher Treiber dieser dynamischen Entwicklung war die COVID-19-Pandemie. Durch Lockdowns und Homeoffice verbrachten Menschen mehr Zeit zu Hause – und investierten stärker in die technologische Aufrüstung ihres Heims. Parallel dazu gab es in diesem Bereich enorme Entwicklungsschübe. Neben der höhere Übertragungsgeschwindigkeiten ermöglichenden Mobilfunkgeneration 5G beziehungsweise leistungsstärkeren NFC-Systemen sorgten vor allem zusammenführende Funkstandards wie ZigBee oder Matter für Rückenwind. Sie wurden geschaffen, um die Fragmentierung im Smart-Home-Bereich zu beenden. In der Vergangenheit war die Funktionalität auf die Produktfamilie eines Herstellers beziehungsweise auf speziell für den KNX-Standard (das Kürzel steht für „Konnex“) entwickelte Geräte beschränkt. Gesteuert wurde das System drahtgebunden und drahtlos und zentral über ein Bus-System.
Untereinander kompatibel waren die verschiedenen Markensilos nicht. Im Rahmen der Connectivity Standards Alliance (CSA) haben sich die Netzgiganten Google, Apple und Amazon mittlerweile einer – vom Markt geforderten – „Gemeinsam-sind-wir-stärker“-Doktrin unterworfen. Matter bietet den dafür notwendigen einheitlichen Standard, wobei die Kommunikation drahtlos über WLAN bzw. Funk (Bluetooth) abläuft. Nach Freigabe durch den User erfolgt eine automatische Synchronisation und die verschiedenen Komponenten der Haustechnik wie Beleuchtung, Heizung, Klimaanlage und Sicherheitssysteme können – egal von welchem Hersteller – sowohl mit einem iPhone, einem Android-Tablet oder über Amazons Alexa gesteuert werden.
Nuki nutzt dieses Matter-Asset bei der neuesten Generation seiner smarten Türschlösser. Das Grazer Unternehmen ist Europas Marktführer für nachrüstbare, schlüssellose Zutrittslösungen (Smart Locks). Beim Upgrade eines gewöhnlichen Schlosses zu einem „intelligenten“ wird auf der Innenseite ein kleiner Zylinder montiert, in dem der tatsächliche Schlüssel installiert ist. Die Sperrmechanik im Inneren des Zylinders kann über Smartphone- oder Smartwatch-App, Fingerabdruck oder Zahlencode und bald auch über eine NFC-basierte „Tap to unlock“-Technologie aktiviert werden und sperrt schneller als per Hand das Schloss auf oder zu. Über die App kann die Tür auch in Abwesenheit geöffnet werden (um beispielsweise dem Katzensitter Zugang zu ermöglichen). Zudem erkennt das System, wenn der Bewohner das Haus verlässt. Gekoppelt mit dem Smart-Home-Netz werden dann automatisch die Heizungs-, Lüftungs- und Klimasteuerung angepasst und das Licht ausgeschaltet, während der Saug- und Rasenmäherroboter oder die Gartenbewässserungsanlage ihre Einsatzbefehle erhalten. Tür- und Fenstersensoren erkennen Einbruchsversuche, Kameras mit Bewegungsmeldern zeichnen verdächtige Aktivitäten auf, messen über Rauch- oder Gassensoren aber auch die Luftqualität und lösen bei Gefahr automatisch Notrufe aus, öffnen Fenster, um Schaden abzuwenden oder nehmen mit Handwerkern Kontakt auf.
KI wie Komfort-Innovation
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz sorgt in dieser Welt des „Internets der Dinge“ (IoT) für zusätzliche Benutzerfreundlichkeit und Komfort. Denn während klassische Smart-Home-Systeme auf Basis manuell programmierter Befehle agieren („Wenn Bewegung an der Eingangstüre, dann Licht an“), gehen KI-basierte Lösungen einen Schritt weiter. Was hier passiert, ist mehr als Automatisierung. Die künstliche Intelligenz analysiert Nutzungsdaten, erkennt selbstständig wiederkehrende Muster und Zusammenhänge und optimiert so das Zuhause laufend. Wird täglich um sieben Uhr das Bad betreten, das Licht eingeschaltet und die Dusche auf eine bestimmte Temperatur eingestellt, speichert das System dieses Muster – und automatisiert diese Schritte. Wenn sich die Strompreise permanent aufgrund von Einspeise- und Verbrauchermengen ändern, scannen KI-Modelle die Marktlage und starten die Waschmaschine oder die Ladeeinrichtung für das Elektroauto dann, wenn der Bezugstarif am günstigsten ist. Das Ziel: weniger Eingreifen, mehr Komfort, höhere Energieeffizienz.
907 Millionen Euro
Prognostizierter Smart-Home-Umsatz in Österreich 2025.
Neben physikalischen Anwendungen gibt es aber auch psychologische Use-Cases: KI-basierte Systeme können beispielsweise emotionale Zustände anhand von Gesichtsausdruck, Stimmlage oder Körperhaltung erkennen und reagieren entsprechend – etwa durch beruhigendes Licht oder passende Musik in stressigen Momenten.
Ganz ungefährlich ist dieses digitale All-inclusive-Service freilich nicht. Um ihre Umgebung zu erkennen, nutzen die smarten Alltagsbegleiter nämlich kamerabasierte Bildverarbeitungsfunktionen. Sie verhindern, dass der Saugroboter versehentlich Möbel, Vasen oder Türstöcke touchiert, Kleidung aufsaugt oder über die Hinterlassenschaften von Haustieren fährt. In dieser Aufgabenerfüllung werden die Geräte immer besser, da sie ihre Algorithmen mithilfe von Machine Learning kontinuierlich selbst optimieren. Die dafür notwendigen Daten werden aus dem täglichen Betrieb generiert, also von den Fotos, Video- und Audioaufnahmen aus der Privatsphäre der Nutzer. Die Geräte sind dafür ständig mit dem Internet verbunden, übertragen also laufend intime Infos und werden so zum potenziellen Ziel von Hackerangriffen und Schadsoftware.
Die digitalen Spione erweisen sich aber auch für konventionelle Kriminalität als hilfreiche Komplizen: Ein Saugroboter, der die Wohnung kartiert, ein Mähroboter, der Fotos von der Terrassentüre liefert, eine Lautsprecherbox, die mithört, wann die Bewohner auf Urlaub fahren und eine Überwachungskamera, die die tatsächliche Abfahrt bestätigt – mehr benötigt ein „analoger“ Einbrecher nicht.
Schutz könnte aus Australien kommen. Forscher der Universität Sydney und der Queensland University of Technology haben zur Wahrung der Privatsphäre eine Methode entwickelt, bei der die Roboter die visuellen Informationen bereits in der Kamera verschlüsseln und damit anonymisieren, noch bevor sie digitalisiert werden. Selbst wenn sich jemand unbefugt Zugang zu diesen verschlüsselten Bildern verschaffen könnte, wären die Informationen so stark verschleiert, dass sie nutzlos wären, versprechen die Entwickler.
Text: Klaus Höfler