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Als die Hotelgruppe Westin 1999 begann, ihre Zimmer mit dem „Heavenly Bed“ auszustatten, war das ein Segen für die Nachtruhe der Gäste und ein Weckruf für die Konkurrenz. Die Einführung der ikonischen Schlafstätte löste nicht nur ein Wettrüsten in Sachen Gästebetten aus. Sie setzte auch das Phänomen „Hotel Retail“ in Gang. Bis heute hat allein Westin über 500.000 seiner Signature-Betten verkauft und mit der Erfüllung des „Daheim schlafen wie im Hotel“-Traums der begeisterten Reisenden rund 250 Millionen US-Dollar umgesetzt.
„Ob Bett, Bodylotion oder Bademantel: Für viele Hoteliers haben sich In-House- und Onlineshops, in denen Gäste gebrandete Elemente der Standard-Zimmerausstattung erwerben können, längst von der Marketingmaßnahme zur wichtigen Einnahmequelle entwickelt“, so Branchenanalyst Henry Harteveldt. Und das neue Geschäftsfeld wird von den Hotels fleißig ausgebaut. Während die einen Designerstücke ins ansonsten recht austauschbare Sortiment aufnehmen, setzen andere auf Concept Stores, die auch Produkte der lokalen Kreativszene anbieten.
„Doch damit ist das immense Retail-Potenzial der Tourismusbetriebe noch lange nicht ausgeschöpft.“ Für Harteveldt sind Hotels „die Produktlaufstege der Zukunft“. Weil sie etwas bieten, was stationäre Geschäftsflächen nicht leisten können: ein intimes Probeerlebnis – und das an einem Ort, an dem sich die (potenziellen) Kund:innen sowieso schon aufhalten. Der Experte ist überzeugt: „Nicht nur die Zimmer, sondern die gesamte Unterkunft wird sich zum durchgehend shoppbaren Showroom entwickeln.“ Die Gastgeber werden dann etwa auch am Verkauf von Geräten mitverdienen, die Gäste im Hotelfitnesscenter oder Co-Working-Space für sich entdeckt und daraufhin – etwa via QR-Code – beim Hersteller bestellt haben.
Der Showroom wird zur Unterkunft. Getrieben wird die Entwicklung hin zu „Shoppable Hotels“ zum einen durch einen Wandel im Konsumverhalten. „Im Social-Media-Zeitalter sind wir daran gewöhnt, dass fast alles, was wir sehen, anklickbar und käuflich ist“, sagt Antonia Ward, Trendforscherin beim Londoner Beratungsunternehmen Stylus. Zum anderen setzen Produzent:innen und Einzelhändler:innen selbst zunehmend auf Hotel-Showroom-Hybride für die Kundengewinnung. Und einige belassen es dabei nicht mehr bei Kooperationen mit Hoteliers, sondern werden gleich selbst zu welchen. Zu ihnen gehören etwa der amerikanische Möbeleinzelhändler West Elm oder die japanische Lifestyle-Kette Muji, die eigene Hotels betreiben.
Die dänische Designmarke Vipp, deren Hauptprodukt Luxusküchen sind und die mit ihrem Abfalleimer „Pedal Bin“ in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York vertreten ist, geht sogar noch weiter: Sie macht ihre Showrooms zu Unterkünften. „Wir wollten den idealen Ort für die Präsentation unserer Designs realisieren. Aber anstatt unerreichbare Foto-Settings fürs Werbespots zu schaffen, kann man dort jetzt tatsächlich einchecken“, so CEO Kasper Egelund. Inzwischen betreibt Vipp ein Dutzend Guesthouses zwischen Kopenhagen und Hawaii. Rezeptionen oder Restaurants gibt es dort nicht, „dafür durchdesignte One-Room-Destinationen, in denen man unsere Produktpalette erleben kann.“
Ein einfaches Geschäft für die Betreiber:innen, ein doppelter Gewinn für die Reisenden. „Das neue Hospitality-Konzept macht Schluss mit immergleichen Unterkünften“, so Trendforscherin Ward. „Stattdessen entstehen inspirierende, ästhetisch ansprechende Erlebnisoasen, von denen man sich ein Stück mit nach Hause nehmen oder holen kann.“
Text: Daniela Schuster