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Ob es ein Omen war? Jedenfalls hätte es am 18. März 2025 beinahe gekracht, als die damals noch recht frische Regierungsspitze im Kanzleramt zur Pressekonferenz lud, um das Ergebnis einer Arbeitsklausur zum „Wirtschaftsstandort Österreich“ zu verkünden. Denn Kanzler Christian Stocker öffnete die Flügeltür zum Kongress-Saal derart energisch, dass diese aus den Angeln sprang. Zum Glück nur an der Oberseite. Sie blieb also schief hängen und fiel Beate Meinl-Reisinger und Andreas Babler nicht auf den Kopf. Die Konferenz konnte wie geplant starten (siehe Bild).
Leuchtturmprojekt angekündigt
Angekündigt wurde dort ein Leuchtturmprojekt, an dem die Regierung gemessen werden wird und in das die heimischen Unternehmen hohe Erwartungen setzen: eine umfassende Industrie- und Standortstrategie nämlich. Es geht um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft und die Sicherung von Wertschöpfung, Wohlstand und Arbeitsplätzen, inklusive der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft.
Gelingen soll das mit einem Fokus auf Schlüsseltechnologien und Wirtschaftssektoren mit Zukunftspotenzial sowie durch die Förderung von Digitalisierung und einer zirkulären Produktion. Weiters will man Energie- und Lohnnebenkosten senken, Bürokratie abbauen, Investitionsanreize für die Industrie schaffen, neue Märkte erschließen und bestehende ausbauen, die Baukonjunktur stärken sowie Fachkräfte ausbilden und anwerben.
Doch auf diesen – diesmal positiven – großen Knall beziehungsweise Startschuss wartet oder vielmehr hofft Österreichs Wirtschaft seitdem vergeblich. Denn die für Ende des Jahres versprochene Strategie lässt auf sich warten.
Präsentation verschoben
Zwar startete Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer am 4. Juli eine „Beteiligungsphase“ mit dem klaren Ziel, die „schleichende Deindustrialisierung Österreichs“ zu stoppen. Im Zentrum stehen Digitalisierung, Dekarbonisierung und resiliente Lieferketten. Und: die Halbleiterproduktion, um Österreichs Abhängigkeit von ausländischen Anbietern zu verringern und ein europäisches Chip-Ökosystem zu stärken. Angeblich soll die inhaltliche Arbeit daran, die mit relativ wenig öffentlichen Aufhebens bzw. großer Schweigsamkeit aller Beteiligten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam mit den Sozialpartner:innen vorangetrieben wurde, auch noch heuer abgeschlossen sein. Doch Ende Oktober erklärte Hattmannsdorfer in einem Interview mit dem „Kurier“, dass die Präsentation der Strategie erst 2026 erfolgen wird.
Toxische Kombi
Zugegeben: Die Gemengelage für langfristige industriepolitische Entscheidungen ist schwierig. Für heuer erwarten die Forscher von WIFO und IHS nach zwei Rezessionsjahren für Österreichs Wirtschaft nur ein Wachstum von 0,3 bzw. 0,4 Prozent. Und das steigende Budgetdefizit schränkt den finanziellen Spielraum der Regierung ein. Kein Wachstum und kein Geld, um es zu generieren – eine toxische Konstellation. Weshalb die Oppositionsparteien der Dreierkollation auch eine „PR-Inszenierung“ ohne konkrete Hilfen vorwerfen. Und führende Wirtschaftsköpfe wie etwa Sabine Herlitschka, seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, „klare Entscheidungen“, ein „Zielbild“ und eine „Industriepolitik jenseits der Buzzwords“ fordern – so geschehen in einem profil-Gastkommentar vom 14. Oktober.
Für die Schublade?
Vorwürfe, Kritik und Forderungen sind berechtigt. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass ein österreichiches Wirtschaftsstandortrettungsprogramm nicht der große, mutige Wurf mit konkreten Maßnahmen wird, den das Land dringend bräuchte. Oder dass es sogar scheitert.
Man erinnere sich etwa an die Initiative zur Strategie „Chancenreich Österreich“ der ehemaligen Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Margarete Schramböck, die man wohl nur als teuren „Versuch“ bezeichnen kann. In das Projekt, das nie fertiggestellt wurde, sondern in den Schubladen des Ministeriums Staub fing, wurden laut Schramböck 300.000 Euro Steuergeld gepumpt. 35.000 Euro flossen allein in die „grafische Aufbereitung des Zukunftsbilds des Wirtschaftsstandorts inklusive Slogan, Storytelling und Logo“. Im Herbst 2021 gab es zwar eine Bundesländertour mit Expert:innen und Unternehmer:innen, die in Arbeitsgruppen an der Strategie tüfteln sollten. Als die Ergebnisse im Jahr darauf präsentiert werden sollten, war Schramböck jedoch schon zurückgetreten. Und ihr Nachfolger Martin Kocher legte sie auch nicht mehr vor.
Wir und die anderen
Es ist nicht so, dass sich seither gar nichts getan hätte. Es gibt ja zum Beispiel die FTI-Strategie 2030, die im Dezember 2020 vom Ministerrat beschlossen wurde, um mit dem FTI-Standort Österreich zum internationalen Spitzenfeld aufzuschließen. Und als Teil der Strategie wurde 2022 auch der Fonds Zukunft Österreich eingerichtet, um die Forschungs- und Innovationskompetenz des Landes zu stärken. Das Finanzierungsinstrument stellte bis 2025 jährlich 140 Millionen Euro zur Verfügung. Aber das Resultat ist eher ein wirtschaftspolitisches Flickwerk aus Maßnahmen und Einzelzielen. Eine tragfähige, pragmatische und vor allem langfristige Standortstrategie, die Unternehmen und ihren Beschäftigten in Zeiten großer Umbrüche und Unsicherheiten Technologieklarheit, Transparenz und Planungssicherheit bietet und auf die Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet ist – von der Klimakrise über den demografischen Wandel bis hin zur Digitalisierung und (De-)Globalisierung –, hat jedenfalls keine Regierung bisher vorgelegt.
Wir brauchen ein klares Zielbild. Attraktiv, mutig und vor allem konkret. Nur so etwas verdient den Namen ,Strategie‘.
Ganz im Gegensatz übrigens zu anderen (EU-)Staaten, die ebenfalls mit diesen Herausforderungen konfrontiert sind, im globalen Wettbewerb bestehen müssen und gleichzeitig die grüne Transformation meistern wollen. So hat etwa Deutschland bereits vor einigen Jahren eine Strategie mit Fokus Digitalisierung und grüne Transformation implementiert, um seine Industrie zu stärken. Und auch die USA, China und seit Kurzem das Vereinigte Königreich verfügen bereits über langfristige Strategien für ihren Industriestandort.
Die Stille vor dem Startschuss
Nun soll sich also Österreich zu ihnen gesellen. Endlich – aber schon jetzt mit Verzögerung. Ob die Strategie dann auch den schief hängenden Wirtschaftsstandort wieder gerade richten und ihn in seine Angeln heben kann, wie es mit der Tür nach der PK übrigens gelang? Nehmen wir es doch einfach mal als – gutes – Omen, dass es damals im März nicht krachte und es auch im Nachgang eher still um die Strategie war. Der Startschuss (der zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch nicht gefallen war) wird dafür hoffentlich umso lauter ausfallen.
Eine Strategie zu haben, wäre jedenfalls mal ein Anfang und besser als eine Tür am Schädel. Und der Wille zur Umsetzung ist schließlich auch im Regierungsprogramm festgehalten – auf immerhin fünf Seiten …
Text: Daniela Schuster