Industrielle Anlage mit mehreren Fabrikgebäuden, Schornsteinen und leuchtenden Lichtern bei Dämmerung.
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Wo Zukunft produziert wird

Österreich braucht seine Industrie: Sie erwirtschaftet ein Viertel des BIPs, beschäftigt im weiteren Sinn eine Million Menschen. Doch sie steckt in einer tiefen Krise. Hier sind sieben Thesen, warum trotzdem alles gut werden kann.

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Chinas Aufstieg. Trumps Zölle. Die Klimagesetze, der Facharbeitermangel und die hohen Lohn- und Energiekosten: Die Sorgenliste von Österreichs Industrie war in den vergangenen Jahren länger als die Aufzählung bedeutender Erfolge. Tatsächlich sinkt der Umsatz des produzierenden Bereichs in Österreich seit neun Quartalen kontinuierlich, zuletzt laut EY-Industriebarometer um 0,9 Prozent. 

Die Statistik hat handfeste Auswirkungen auf tausende Österreicher:innen: Im Jahresvergleich reduzierte sich die Zahl der Beschäftigten um 1,8 Prozent beziehungsweise 19.400 Personen, am stärksten stottert der Motor in der Autoindustrie (zehn Prozent Beschäftigungsminus). Unter den Folgen leiden aber nicht nur die direkt Beteiligten, sondern die ganze Volkswirtschaft. 2024 trug Österreichs Industrie nämlich massive 25,7 Prozent zur gesamten Wertschöpfung des Landes bei, in den zehn Jahren davor waren es sogar noch über 28 Prozent. Der Großteil davon wird in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark erwirtschaftet.

Diesen Brocken würde auch ein Zuwachs in anderen Sektoren nicht ausgleichen. „Erstens können wir einander nicht alle die Haare schneiden“, sagt Andreas Mörk, WKO-Geschäftsführer der Bundessparte Industrie, im Gespräch mit profil Extra. „Zweitens generieren die rund 450.000 direkt in der Industrie Beschäftigten durch ihr gutes Lohnniveau – im Schnitt 4.500 Euro – überdurchschnittlich hohe Steuer- und Sozialversicherungsleistungen, auf die unser Sozialsystem angewiesen ist.“

Um den Patienten gesundzupflegen, dem aktuell „vor allem die großvolumigen Aufträge fehlen“, wünscht er sich von der Politik tatkräftige Unterstützung: etwa mehr Planungssicherheit für die Automobil- und ihre Zulieferindustrie, flexiblere Regelungen für das Klimaziel 2040 und zusätzliche staatliche Ausgleichszahlungen für den Emissionshandel, um die Abwanderung von Industriebetrieben zu verhindern. Auch IV-Vizepräsident Peter Mitterbauer ortete beim „Tag der Industrie“ am 25. September hausgemachte Probleme: „Österreich ist zu teuer und zu kompliziert. Die Arbeitskosten steigen schneller als die Produktivität, die Energiepreise liegen über dem internationalen Schnitt und die Bürokratie wächst ungebremst.“ 

Es gibt aber nicht nur ganz schlechte Nachrichten. „Die Industrie kämpft zwar weiterhin mit einer schwachen Nachfrage, geopolitischen Unsicherheiten und hohen Kosten. Zugleich zeigt sich aber, dass die Rückgänge zuletzt weniger stark ausfallen – ein erstes Anzeichen dafür, dass sich die Lage langsam stabilisieren könnte“, sagt Axel Preiss, Sector Leader Industrials bei EY Österreich. Und auch Industrie-Spartenchef Andreas Mörk glaubt, „dass wir es schaffen können, die Wertschöpfung der Industrie zu erhalten, wenn die Politik vernünftige Rahmenbedingungen schafft.“ 

Die folgenden sieben Gründe machen Mut, dass das gelingen könnte. 

Die Zukunftsindustrien wachsen

Während Automobil-, Textil- und Papierindustrie rumpeln, läuft es für innovationsgetriebene Branchen (beinahe) wie geschmiert. Chemie- und Pharmabranche sowie Elektrotechnik- und Elektronikindustrie profitieren von der anhaltenden Nachfrage nach nachhaltigen Werkstoffen, Digitalisierung und Energieeffizienz. In der Chemischen Industrie stieg die Zahl der Aufträge laut WKO-Industriekennzahlen-Handbuch gegenüber dem Vorjahr um 14,1 Prozent, jene der Auslandsaufträge sogar fast um ein Fünftel. Insgesamt entstanden in den technologieorientierten Sektoren in den vergangenen sechs Jahren 13.900 neue Arbeitsplätze, die meisten in der Energieversorgung (plus 5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr). 

Die Akteur:innen vernetzen sich

Dass unterschiedliche Stakeholder gemeinsam um tragfähige Lösungen ringen, hat in Österreich sozialpartnerschaftliche Tradition. Die Plattform Industrie 4.0, die dieser Tage ihren zehnten Geburtstag feiert, ist so etwas wie die moderne Variante davon. Ursprünglich als gemeinnütziger Verein gegründet, der die Digitalisierung der Industrie voranzutreiben sollte, hat sich die „Plattform für intelligente Produktion“ zur Know-How-Drehscheibe für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialpartner entwickelt, die den Produktionsstandort Österreich ganz generell modernisieren möchte. Austausch, Vernetzung und Wissenstransfer der 65 Mitglieder – darunter BMIMI, IV und viele Leitunternehmen wie Voestalpine, Magna Steyr oder Siemens – erfolgen auf Tagungen (Highlight: der Summit Industrie 4.0 am 25. 11.), im Rahmen von Projekten (z. B. Digital Pioneers speziell für Frauen oder Mission Future Job speziell für Jugendliche) oder bei regelmäßigen Veranstaltungen (Termine: plattformindustrie40.at/veranstaltungen). Der typische Weg: „Wir unterstützen Unternehmen und deren Entscheidungsträger:innen bei der Einschätzung neuer Technologien, wir identifizieren Use Cases und hinterlegen sie mit Zielen, und wir helfen bei der praxistauglichen Implementierung“, erklärt Industrie-4.0-Geschäftsführer Roland Sommer. 

„Die Triple Transformation kann Österreichs Industrie zukunftsfit machen.“ 
 

Roland Sommer, Plattform Industrie 4.0

Wissen geht viral

In Netzwerken wie dem Verein Industrie 4.0 werden erfolgreiche Use Cases branchenübergreifend geteilt. „Eine Riesenherausforderung besteht zum Beispiel darin, Domänenwissen im Unternehmen zu halten, etwa wenn Expert:innen in Pension gehen“, sagt Roland Sommer. Eine österreichische Maschinenbaufirma hat dafür eine Lösung gefunden: Tritt bei einer ihrer komplexen Maschinen ein Schaden auf, muss künftig nicht mehr in der 5.000 (!) Seiten dicken Bedienungsanleitung geblättert werden. Das Unternehmen hat stattdessen eine generative KI entwickelt, mit der man das System selbst fragen kann, wo das Problem liegt. „Und zwar auf Deutsch, Polnisch, Portugiesisch, Englisch oder in jeder anderen Sprache – und das ohne halluzinierte Antworten“, sagt Roland Sommer. „Das ist natürlich für viele Branchen ein hochrelevantes Tool, weil das Werk nicht mehr stillsteht, bis der Wartungstechniker kommt.“

Die Energiekosten bleiben stabil

Ab Jänner werden die Energiekosten kein Inflationstreiber mehr sein, sagt der scheidende E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch. Die massive Teuerung im Jahr 2025 sei auf höhere Netzentgelte und die Rücknahme staatlicher Unterstützungsmaßnahmen (Stromkostenbremse) zurückzuführen, beides wird 2026 nicht mehr zum Tragen kommen. Zusätzlich rechnet er mit einer mittelfristigen Entspannung des Gaspreises, wenn 2027 und 2028 neue Anbieter den für Ende 2027 beschlossenen Komplettausstieg aus russischem Gas kompensieren und der sinkende Verbrauch die Großhandelspreise im Zaum hält.

„Österreich braucht die Leistungen, die die Beschäftigten in der Industrie generieren.“ 
 

Andreas Mörk, WKO

Nachhaltigkeit macht sich bezahlt

„Wenn wir den CO₂-Fußabdruck unserer Produkte mit denen anderer Produktionsländer vergleichen, kommen wir immer zum gleichen Ergebnis: Österreich produziert innerhalb all seiner Liefer- und Leistungsketten effizienter und nachhaltiger“, sagt WKO-Spartensprecher Andreas Mörk. Dieser Standortvorteil gilt insbesondere auch für die Schwerindustrie: „Jede Tonne Stahl, die in Österreich produziert wird, ist grüner als ein Vergleichsprodukt.“ Doch bringt gutes Gewissen auch einen Wettbewerbsvorteil am Markt? „Ja, weil ersparte Energiekosten und Rohstoffressourcen ein massiver Kostenhebel sind“, sagt Roland Sommer vom Verein Industrie 4.0.  

Arbeit 5.0 steigert die Produktivität

Der „Triple Transformation“-Plan der Plattform Industrie 4.0 sieht bis 2035 nicht nur die vollständige digitale und nachhaltige Reform des produzierenden Sektors vor. Er will auch das Teamwork von Mensch und Maschine verbessern. Unter dem Dachbegriff „Arbeit 5.0“ sollen Future Skills, aktive Teilhabe und faire Arbeitsbedingungen die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen und Jobs in der Industrie für Bewerber:innen attraktiv machen. Wie das geht? Indem man beim Optimieren von Prozessen den Faktor Mensch miteinrechnet, gerade in der Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz. „Mangelhafte Schulung, Unzufriedenheit mit ,von oben‘ ausgewählten fehlerhaften Systemen oder ein Bore-out, weil einem die KI den interessantesten Teil der Tätigkeit aus der Hand nimmt“, zählt Roland Sommer mögliche Konfliktfelder auf. Gelingt die proaktive Implementierung von „Arbeit 5.0“, würden zufriedenere Mitarbeiter:innen und neue Talente die Produktivität erhöhen. 

Das Potenzial ist da

„Leistung, Fleiß und Erfindergeist“: Diese drei Eigenschaften bezeichnete Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer beim „Tag der Industrie“ als Österreichs größte Stärken. „Um die De-Industrialisierung zu stoppen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, müssen wir uns auf diese Stärken besinnen. Dazu setzen wir kurzfristige Sofortmaßnahmen wie die Unterstützung der energieintensiven Industrie sowie strukturelle Reformen beispielsweise zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.“ Ob das Wirkung zeigen wird, steht zwar noch in den Sternen. Daran zu glauben, kann aber nicht schaden: Denn sowohl Unternehmergeist und Innovationsfreude auf der einen als auch Konsum auf der anderen Seite brauchen vor allem eines: einen optimistischen Blick in die Zukunft. 

Text: Alexander Lisetz