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Babler im Faktencheck: Keine Belege für „Abrissbirne“ bei Gesundheit

SPÖ-Chef Andreas Babler glaubt, die Schuldigen für die Misere im Gesundheitssystem gefunden zu haben: ÖVP und FPÖ. Allein: Rote Minister kontrollierten das zuständige Ressort in den vergangenen 20 Jahren am längsten.

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Andreas Babler spricht gerne in dramatischen Bildern: Er wolle wieder aufbauen, was andere mit der „Abrissbirne“ zerstört hätten. Dazu zählt für den roten Parteichef auch das Gesundheitssystem, das in den letzten 20 Jahren von Schwarz-Blau „mit einer massiven Radikalität zusammengeschossen“ worden sei, wie er im ZiB2-Interview mit Armin Wolf ausführte.

Was Babler unterschlägt: In den letzten 20 Jahren war das Gesundheitsressort fast die Hälfte der Zeit, konkret von Dezember 2008 bis Dezember 2017, sozialdemokratisch geführt. Und freilich wurde auch unter roten Gesundheitsminister:innen über einen drohenden Ärztemangel diskutiert. 2013 beklagte beispielsweise der damalige Wiener Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres fehlende Allgemeinmedizin-Stellen in der Bundeshauptstadt: „Es gab 48 Ausschreibungen für Allgemeinmedizin-Stellen. Für zehn gab es nur je einen, für sieben Stellen gar keinen Bewerber“. Der damalige Gesundheitsminister hieß Alois Stöger, SPÖ. Und im Herbst 2017, zum Antritt der schwarz-blauen Koalition, beklagte die Ärztekammer wiederum Missstände im Gesundheitssystem und forderte die künftige Bundesregierung dazu auf, Maßnahmen zu setzen - nachdem das Gesundheitsministerium fast ein Jahrzehnt in roter Hand gewesen war.

Im Interview mit dem Standard wurde Babler dann noch konkreter bei der Frage, was die Gesundheitsmisere aus seiner Sicht ausgelöst hat. Auf die Frage, wo er einen Sozialabbau ausmache, bediente der SPÖ-Chef sein liebstes Feindbild.

Denken Sie an die Einführung des Zwölfstundentages unter Schwarz-Blau oder an die Zerschlagung der Sozialversicherung. Jetzt haben dort jene Vertreter die Mehrheit, die nicht die Arbeitnehmerrechte stärken. Die Menschen spüren die Folgen, indem sie nicht mehr rechtzeitig Arzttermine bekommen.

Andreas Babler

in einem Interview mit dem „Standard“, 17. November 2023

Unbelegt

Wie erklärt die SPÖ den Zusammenhang zwischen der Einführung des Zwölfstundentages im Jahr 2018 und längeren Wartezeiten auf Arzttermine? Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin Bablers: „Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen 12-Stunden-Arbeitstagen, Verletzungsrisiko und Erkrankungen und damit der Notwendigkeit von Arztbesuchen.“

Fachleute widersprechen: „Diesen Zusammenhang würde ich so nicht herstellen wollen“, sagt der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) im profil-Gespräch.

Versorgungsprobleme seit Jahrzehnten

Auch die Auswirkung des Umbaus der Krankenkassen auf die Wartezeiten ist schwer messbar: „Es gab ja keine Zerschlagung der Sozialversicherung, sondern es hat eine Fusion der Gebietskrankenkassen in die ÖGK gegeben. Die Verträge der Ärztinnen und Ärzte galten und gelten ja weiterhin.“

Zudem bestehen Versorgungsprobleme nicht erst seit der letzten türkis-blauen Koalition. „Wir beobachten seit Jahrzehnten eine stagnierende Anzahl an Vertragsärztinnen und -ärzten, zusammen mit einer wachsenden und alternden Bevölkerung. Auf einen Arzt oder eine Ärztin kommen immer mehr Patientinnen und Patienten“, sagt der Gesundheitsökonom, betont jedoch gleichzeitig: „Die Wartezeiten werden zwar länger, aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Es ist noch nicht so, dass man nicht behandelt wird.“

Ein Blick auf die Zahlen bestätigt, dass die unbesetzten Kassenstellen mehr werden, egal, wer gerade in der Regierung sitzt: Mitte 2016 waren laut Ärztekammer 70 Stellen unbesetzt, Ende 2018 waren es bereits über 120 und Anfang 2023 soll die Zahl der verwaisten Ordinationen gar auf über 300 angewachsen sein.

Argumentation führt ins Leere

Die neun Gebietskrankenkassen wurden mit Jänner 2020 zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert. Das teure Prestigeprojekt von Türkis-Blau sorgte für eine teilweise Entmachtung der Arbeitnehmervertreter in den Kassengremien, dort hat nun die Arbeitgeberseite das Sagen. Eine versprochene Patientenmilliarde entpuppte sich als Schmäh – profil berichtete. Stattdessen war die Fusion mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe verbunden.

Diese Fusionskosten würden laut SPÖ „natürlich auch beim Ausbau der Kassenärzt*innenstellen fehlen – weniger Ärzt*innen bedeuten längere Wartezeiten“.

Doch diese Argumentation führt ins Leere: Denn es mangelt - wie beschrieben - nicht an Kassenstellen und deren Finanzierung, sondern an Bewerberinnen und Bewerbern, die sich für die offenen Stellen interessieren. Was die Kassenreform mit fehlender Motivation bei der Ärzteschaft zu tun hat, lässt die SPÖ offen.

Fazit

Die SPÖ suggeriert, dass die Einführung des Zwölfstundentages sowie die Fusion der Krankenkassen zur ÖGK zu längeren Wartezeiten für Patient:innen führen und manche Menschen gar „nicht mehr rechtzeitig“ einen Termin bekommen. Das ist unbelegt, tatsächlich sorgt eine Vielzahl an Faktoren – etwa die seit über einem Jahrzehnt wachsende Zahl an Wahlärzten – dafür, dass in Österreich vor allem Kassenärzt:innen fehlen. Dazu kommt: Schon vor der türkis-blauen Koalition konnten zig Kassenstellen nicht besetzt werden.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.