Claudia Plakolm ernennt Österreich zum Europameister bei Familienleistungen

Nein, Österreich ist nicht Europameister bei Familienleistungen

Claudia Plakolm erklärt Österreich zum EU-Spitzenreiter bei Familienleistungen. Dabei ist Österreich weder bei Geld-, Steuer- noch Sachleistungen europäischer Spitzenreiter.

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Wie schon gesagt, scheuen wir den internationalen Vergleich nicht. Wir sind Europameister bei den Familienleistungen. (...)

Claudia Plakolm

Kleine Zeitung, am 11.05.2025

Falsch

Politikerinnen und Politiker lieben den Superlativ. Claudia Plakolm, Familienministerin der selbsternannten Familienpartei ÖVP ist da keine Ausnahme: Sie verweist auf Österreichs Pole-Position bei den Ausgaben für Familienleistungen. Stimmt das? Gibt Österreich innerhalb der EU tatsächlich am meisten für Familien aus?

Die schnelle Antwort: Nein. Denn der Staat kann Familien auf drei Arten finanziell unterstützen.

  • Transferleistungen: Direkt ausbezahlte Geldbeträge werden aufs Bankkonto überwiesen (darunter Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld) und bieten den größten Spielraum für die Empfängerhaushalte. Sie können solche Leistungen für Miete, für private Nachhilfe oder einen Zoobesuch ausgeben. 
  • Steuerbegünstigungen: Freibeträge (etwa Familienbonus Plus, Alleinverdienerabsetzbetrag) mindern die Steuerlast. Allerdings: dieser Hebel wirkt nur über den Lohnzettel. Menschen mit niedrigen Einkommen erhalten vergleichsweise weniger. Arbeitslose gehen völlig leer aus.
  • Sachleistungen: Damit hat der Staat den größten Lenkungseffekt, wozu die ausgebenden Gelder verwendet werden sollen, insbesondere zählen dazu öffentliche Kindergärten.

Um die Ausgaben für Familienleistungen international vergleichbar zu machen, nutzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) alle drei Bereiche relativ zum Wirtschaftswachstum (BIP) als Vergleichsgröße. Die dafür benötigten Daten werden von den einzelnen nationalen Behörden erhoben, bereinigt und zeitverzögert an internationale Statistikämter gemeldet.

Die neuesten verfügbaren Daten der OECD stammen aus dem Jahr 2021. In nordischen Ländern wie Schweden oder Finnland fließt mehr Steuergeld in Sachleistungen. Staaten wie Polen und Österreich setzen hingegen stark auf Geldleistungen und Steuergutschriften.

Hierzulande wird besonders auf direkte Geldleistungen wie die Familienbeihilfe gesetzt. Österreich zahlt Transferleistungen in Höhe von 1,78 Prozent der Wirtschaftsleistung an Familien, 2021 belegte die Republik im Euro-Ranking der OECD damit Platz fünf. Bei den Sachleistungen sieht es anders aus: Mit 0,8 Prozent des BIP liegt Österreich damit sogar unter dem EU-Durchschnitt.

Wir sind unter den führenden Ländern, aber vor uns liegen Länder wie Schweden, Dänemark, Frankreich, Polen oder Estland

Sonja Dörfler-Bolt

Institut für Familienforschung, Universität Wien

Was die Erhebung allerdings nicht abbildet: Den 2019 unter Türkis-Blau eingeführten Familienbonus Plus – eine Steuererleichterung, die vor allem mittlere und höhere Einkommen entlastet. Pro Kind können Paare ihre Bemessungsgrundlage für die Steuer um bis zu 2000 Euro verringern. Hat sich Österreich also mit dem Familienbonus Plus an die Spitze der europäischen Familienleistungen katapultiert?

„Wir waren bei den Gesamtausgaben im Durchschnitt, mittlerweile sind wir ins vordere Drittel gerückt“, sagt Sonja Dörfler-Bolt vom Institut für Familienforschung an der Universität Wien. Jedoch sei Österreich weder bei Geld-, Steuer- noch Sachleistungen europäischer Spitzenreiter. „Wir sind unter den führenden Ländern, aber vor uns liegen Länder wie Schweden, Dänemark, Frankreich, Polen oder Estland“, so Dörfler-Bolt. 

Österreich hat sich bei den Familienleistungen verbessert

Selbst wenn der Familienbonus Plus in der Statistik aufscheint, macht das Österreich nicht zum Europameister. Österreich hinke im europäischen Vergleich nach wie vor bei Sachleistungen hinterher – jenen Leistungen, die aus Sicht des Staates den größten Lenkungseffekt in der Familienpolitik erzielen können.

Es ist nicht der erste Versuch der Volkspartei, sich als besonders großzügig gegenüber Familien zu präsentieren. Bereits 2023 verwies Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im ORF-Sommergespräch auf die „größten Familienleistungen innerhalb der EU“.

Das Familienministerium verweist auf profil-Anfrage auf eine Studie des Joint Research Centers (JRC) der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2024 (Bornukova et al.). Doch diese Arbeit untersuchte nur direkte Geldzuschüsse und steuerliche Unterstützungen. Rechnet man diese beiden Werte zusammen, ist laut JRC Studie Österreich Spitzenreiter in der EU – in den einzelnen Bereichen per se nicht. Die zitierte Studie untersuchte ausschließlich die Wirkung auf Kinderarmut. 

Staatliche Sachleistungen wie institutionelle Kinderbetreuung spielten bei dem Ranking keine Rolle. Dabei erwähnte Plakolm in ihrem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ selbst, dass „die Länder und Gemeinden massiv in Kinderbetreuung investiert“ hätten. In ihrer Argumentation für Österreichs angeblichen ersten Platz bei den Familienleistungen fehlen diese Sachleistungen aber gänzlich.

Fazit

Claudia Plakolms Behauptung ist falsch. Österreich ist weder bei den Gesamtausgaben noch in den einzelnen Bereichen der Familienleistungen Spitzenreiter. Die Familienministerin stützt ihre Behauptung auf eine EU-Studie, die den Effekt von monetären Leistungen (also von Transfer- und Steuerleistungen addiert) auf Kinderarmut untersuchte. Was die zitierte Studie jedoch selbst zugibt: Sie klammert die staatlichen Sachleistungen wie Kinderbetreuungsangebote aus. Der Vergleich hinkt daher, schließlich sind staatlich subventionierte Kindergartenplätze auch eine Entlastung für Familien und werden in internationalen Vergleichen daher den Familienleistungen zugerechnet.

Durch die Einführung des Familienbonus plus sind die Ausgaben für Familienleistungen tatsächlich gestiegen. Doch bei den Sachleistungen für Familien hinkt Österreich laut Forschung nach wie vor hinterher. Österreich hat sich in den letzten Jahren zwar im EU-Ranking verbessert – zum Europameister reicht es allerdings nicht.

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im profil-Digitalressort und Teil des faktiv-Teams. Zuvor bei der Wiener Zeitung und ORF.