Lobautunnel Leonore Gewessler Werner Kogler

Grüne rechnen sich den Lobautunnel teuer

Die Grünen haben ein neues Argument gegen das umstrittenste Bauprojekt des Landes, den Lobautunnel: die Kosten von angeblich sechs Milliarden Euro. Doch welche Belege hat die Partei für diese Zahl?

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„Mit diesen 500.000 Euro (Kosten der strategischen Umweltprüfung; Anm.) sparen wir den Steuerzahlern also 6 Milliarden Euro, die unter der Lobau vergraben werden sollten.“

Die Grünen

Kronen Zeitung, am 30.4.2025

Unbelegt

Der Lobautunnel ist das Lieblingsfeindbild der Grünen. Das milliardenschwere Projekt vereint fast alles, was die Grünen ablehnen: Eine Straße für den motorisierten Verkehr, die noch dazu unterhalb eines Naturschutzgebietes – der Wiener Lobau – verlaufen soll. Aus Sicht der Grünen ist das doppelt schlecht: für die lokale Umwelt und fürs globale Klima.

Seit wenigen Wochen haben die Grünen ein neues Argument gegen den Tunnel. Angesichts des Budgetdefizits machen sie gegen die hohen Kosten des Projekts mobil. „6 Milliarden Euro. So viel würde uns der Lobautunnel kosten. Das Geld können wir sinnvoller ausgeben: für leistbares Wohnen, ein verlässliches Gesundheitssystem und die beste Bildung für unsere Kinder“, heißt es etwa in einem Posting der Wiener Grüne auf Facebook. Sechs Milliarden, so sagt es auch die grüne Parteichefin in spe, Leonore Gewessler.

Sechs Milliarden? Die Zahl ist neu und weicht deutlich von der offiziellen Berechnung der Asfinag ab. Die Autobahngesellschaft kalkulierte im Jahr 2019 mit 1,9 Milliarden Euro. Andere Zahlen habe man nicht, sagt die Asfinag.

Die aktuellste Quelle für die erwarteten Kosten des Lobautunnels stammt aus einem Gutachten, das Leonore Gewessler selbst beauftragt hat, als sie noch Klimaministerin war. Im Februar wurde es veröffentlicht, vor einer Woche wurden die Kosten dafür bekannt: fast 500.000 Euro. Der Boulevard ätzte: „Luxus-Gutachten“.

Der Titel des Gutachtens: „Strategische Prüfung Verkehr – Umweltauswirkungen“. Ausgearbeitet wurde das 518 Seiten starke Papier vom Umweltbundesamt gemeinsam mit der TU Graz und der TU Wien. Ab Seite 464 sind dort auch die Kosten aufgeschlüsselt. Die Autoren schätzen die Gesamtkosten der S1 auf 2,41 Milliarden Euro. Wie erklären die Grünen also die Differenz von fast dreieinhalb Milliarden Euro?

Sie halten die Kalkulation für längst überholt, denn: „Die letzte offiziell existierende Schätzung der Asfinag ist deutlich über zehn Jahre alt und basiert auf einem alten Projektstand vor massiven Projekt-Änderungen, die unter anderem aufgrund des UVP-Verfahrens gemacht werden mussten und noch nicht eingepreist sind. Zudem ist die Schätzung nur der allgemeinen Inflation angepasst und berücksichtigt nicht die nochmals wesentlich höhere Preissteigerung im Straßen-Tiefbau“, erklären die Grünen auf profil-Nachfrage.

Im Ministerium von Gewesslers Nachfolger, Peter Hanke, ist den Akteuren hinter vorgehaltener Hand klar, dass die 1,9 Milliarden Euro wohl längst nicht mehr den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entsprechen. Da das Projekt von Gewessler ruhend gestellt wurde, gebe es keine neuere Berechnung.

Bleibt die Frage: Wie genau kommen die Grünen auf ihre Zahl?

Eine Sprecherin der Grünen erklärt, dass sich die Partei auf eine Schätzung der Neos aus dem Oktober 2017 stütze. Die damals noch oppositionellen Wiener Neos stellten mit ihrer damaligen Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger eine Alternative, den sogenannten „Lobautunnel light“, vor: Eine streckenmäßig kürzere Ostumfahrung mit einer Kombination aus Brücke und kurzem Tunnel. Als Argument für ihre Light-Variante führten die Pinken die Kosten-Ersparnis an. Die Neos kalkulierten damals 4,5 Milliarden Euro für den Tunnel im Vollausbau. Ein nicht unwesentliches Detail verschweigen die Grünen aber: Die Neos rechneten zu den Baukosten noch die Kosten für 30 Jahre Betriebszeit dazu.

Die Grünen gehen jedenfalls von diesen 4,5 Milliarden aus. Im Wertsicherungsrechner der Statistik Austria ergebe das um die Inflation bereinigt 5,97 Milliarden Euro. Außerdem argumentieren die Grünen den höheren Ausgangswert damit, dass bei vielen öffentlichen Bauprojekten zu niedrig oder schlicht unrealistisch kalkuliert werde.

„Bei mehrjährigen Vorhaben und vor allem bei Tunnelbauprojekten kann im Vorhinein niemand alle Details in einem Vertrag niederschreiben.“

Michael Klien, Bauexperte Wifo

Ein Punkt, den auch der Rechnungshof so sieht. Er hat sich in den vergangenen Jahren über 50 öffentliche Bauprojekte und deren Management angesehen. Befund: Kostenüberschreitungen seien ein verbreitetes Problem, schrieb der Rechnungshof 2018. Bei den geprüften Projekten seien „Termine und Kosten oftmals nicht eingehalten worden“ und „Kostenverfolgungen sowie laufende Soll-Ist-Vergleiche ist oftmals nicht Teil des Controllings“. Als Gründe dafür zählt der Rechnungshof fehlendes oder unzureichendes Projektmanagement, ausstehende Genehmigungen zu Projektstart, das Auslagern von wichtigen Aufgaben an Externe, sowie mangelhafte oder verspätete Anpassung von Kostenermittlungen und Planungen.

Nicht immer sind Kostenüberschreitungen auf Planungsfehler zurückzuführen, sagt Bauexperte Michael Klien vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). „Bei mehrjährigen Vorhaben und vor allem bei Tunnelbauprojekten kann im Vorhinein niemand alle Details in einem Vertrag niederschreiben. Das liegt einfach in der Natur der Sache“, sagt Klien. Explodieren können Kosten dann, wenn während der Planung Trassen verändert oder konkretisiert werden – wie beispielsweise beim Bau des Koralmtunnels. Im Rahmenplan 2013-2018 – vor Beginn der ersten Entscheidungen zum Ausbau des Flughafenastes – war für den Flughafenast lediglich die Planung mit 21,61 Millionen Euro veranschlagt. Erhöht haben sich die Kosten schließlich um fast 500 Millionen Euro. „Je größer ein Projekt, desto komplexer“ gestalte sich die Kostenfrage, sagt Klien.

Fazit

Die Grünen können keinen Beleg dafür vorlegen, dass der Lobautunnel sechs Milliarden Euro kosten würde. Offizielle Kalkulationen sind zwar veraltet, gehen aber von deutlich weniger aus: 1,9 bis 2,4 Milliarden Euro. Dass sich die Grünen auf eine Schätzung der Neos aus dem Jahr 2017 beziehen, überzeugt nicht: Schließlich beinhaltet diese Neos-Rechnung auch die Betriebskosten des Tunnels für 30 Jahre. Richtig ist zwar, dass die Kostenpläne von öffentlichen Bauprojekten oft überschritten werden. Ob es auch beim Lobautunnel eine solche Überschreitung geben wird (so er je gebaut wird), kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand seriös beantworten.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef und seit 2025 Mitglied der Chefredaktion bei profil. Gründete und leitet den Faktencheck faktiv.