„Frau Holzleitner, Frau Plakolm, wie unterscheidet sich Ihr Frauenbild?“
Von Iris Bonavida und Nina Brnada
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Hat ein junges Mädchen in Österreich die gleichen Chancen wie ein Bub, um im Leben alles zu erreichen, was es will?
Claudia Plakolm
Das ist eine Zielvorstellung, aber aktuell sehe ich es noch nicht so.
Eva-Maria Holzleitner
Die Zahlen sprechen leider dagegen: Wir sehen schon bei Lehrlingen eine Lohnschere, die bis zur Pension bleibt. Zudem sind viele Frauen von sexueller Belästigung betroffen, um nur einige Fakten zu nennen.
Warum besteht noch immer keine Chancengleichheit?
Plakolm
Ich bin auch für Integration zuständig. In vielen Brennpunktschulen beobachten Pädagoginnen und Pädagogen, wie Burschen in die erste Reihe drängen, in der zweiten und dritten Reihe sind die Mädels. Nicht in allen Gesellschaftsteilen und Generationen ist angekommen, dass Frauen und Männer in Österreich gleichwertig sind.
Halten Sie die fehlende Gleichberechtigung für ein integrationsspezifisches Problem?
Plakolm
Ich glaube, es wäre zu einfach, das nur auf Integration zu reduzieren. Aber man sieht auch, dass wir bei Familien mit Migrationshintergrund den größten Nachholbedarf haben.
Holzleitner
Ich glaube, Ungleichberechtigung hat kein Mascherl. Also wir sehen dort wie da, dass Frauen nicht alle Chancen haben. Und ich glaube, man darf da keinen blinden Fleck haben.
Ihre Kollegin hat also einen blinden Fleck?
Holzleitner
Es war nicht als blinder Fleck in ihre Richtung gemeint. Ich glaube nur, dass es da um unterschiedliche Themenbereiche geht.
Wie würden Sie das Frauenbild Ihres Gegenübers beschreiben?
Plakolm
Die Evi ist eine, die schon als Jugendsprecherin sehr stark das Thema Frauenpolitik mitgedacht hat. Ich habe mich sehr gefreut, als sie 2021 die Funktion als SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende übernommen hat. Du hast, finde ich, immer die gesellschaftspolitischen Tangenten mitgenommen und warst eine durchaus fordernde Frauenpolitikerin.
Frau Plakolm, fühlen Sie sich persönlich als Frau von der Frauenministerin Holzleitner gut vertreten?
Holzleitner
Wenn ich kurz reingrätschen darf: Ich glaube, das ist für uns als Politikerinnen grundsätzlich eine schwierige Frage, weil wir beide in privilegierten Situationen sind. Wir machen aber natürlich Politik für alle Frauen.
Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie sich vor Ihre Kollegin stellen.
Plakolm
In Teilen fühle ich mich definitiv repräsentiert und abgeholt. Du hast schon als Oppositionspolitikerin zum Beispiel auf das Thema Femizide enorm aufmerksam gemacht. Das finde ich absolut richtig, dass man das als gesamtgesellschaftliches Problem sieht. Es betrifft uns alle, wenn Frauen in Beziehungen, wo Konflikte herrschen, nicht sicher leben können.
Holzleitner
Ich kann zu Claudias Frauenbild sagen, dass ihr die Unterstützung von jungen Männern wie jungen Frauen im Ehrenamt immer wichtig war – das ist etwas, das du in deiner Rolle als Jugendstaatssekretärin und auch davor als ÖVP-Jugendsprecherin immer sehr stark thematisiert hast. Und was mir in Erinnerung geblieben ist: Du hast dir die Posaune als Instrument ausgesucht, weil wenige Frauen Posaune spielen.
Plakolm
Posaune, Politik und Jägerin – da habe ich mir immer die männlichsten Hobbys ausgesucht.
Zwei Ministerinnen
Claudia Plakolm, 30: Geboren in Linz, ist Bundesministerin für Europa, Integration und Familie im ÖVP-geführten Bundeskanzleramt. In der vorherigen schwarz-grünen Regierung war Plakolm als Staatssekretärin für Digitalisierung, Jugend und Zivildienst zuständig. Seit 2021 ist Plakolm Chefin der Jungen Volkspartei.
Eva-Maria Holzleitner, 32: Geboren in Wels, zog 2016 für die SPÖ in den Nationalrat ein. Seit 2021 ist sie Bundesvorsitzende der SPÖ-Frauen und stellvertretende Bundesparteivorsitzende, in der ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung ist sie Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung.
Sie sprechen sehr wertschätzend übereinander ….
Holzleitner
Da machen wir Ihnen einen Strich durch die Rechnung, wenn Sie unsere Unterschiede ausarbeiten wollen, oder?
Plakolm
Wir können gut miteinander, weil wir uns nicht auf Kosten der anderen positionieren.
Gelten für Sie als Politikerinnen andere Maßstäbe?
Plakolm
Ja, das zeigt allein ein Blick in unsere Postfächer und Kommentarzeilen auf Social Media.
Holzleitner
Das kann durchaus sein. Als Frauenpolitikerin wurde ich schon oft als „Bissgurn“, „hysterisch“ oder ein anderes Schimpfwort für Feministinnen bezeichnet. Ich scheue mich trotzdem nicht davor zurück, unbequeme Fakten anzusprechen.
Und wo unterscheidet sich Ihr jeweiliges Frauenbild?
Holzleitner
Ganz klar bei den reproduktiven Rechten. Für uns ist die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sehr wichtig. 50 Jahre nach der Fristenregelung könnte man einen Entwicklungsschritt gehen. Die ÖVP hat da traditionell eine andere Positionierung.
Plakolm
Wir werden an der Fristenlösung nicht rütteln – in keine Richtung. Es ist gut, dass wir sie haben. Wo man mehr machen kann, sind die Beratung und Unterstützung von Frauen und Familien in diesen Situationen.
Ein Thema im Bereich reproduktive Rechte, das viele Frauen betrifft, sind Fehlgeburten, auch Schwangerschaftsverluste genannt. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent aller Schwangerschaften ungewollt vorzeitig enden. Für diese Frauen gibt es keinen Mutterschutz und wenig gesellschaftliche Anerkennung. Was dürfen wir in dieser Hinsicht von Ihnen als Ministerinnen erwarten?
Plakolm
Das ist ein unglaublich wichtiges Thema. Ich habe es in meinem persönlichen Umfeld mitbekommen. Man muss für diese unglaublich tragische Situation als Gesetzgeber rechtlich klare Rahmenbedingungen finden.
Womit kann man konkret rechnen?
Plakolm
Mit meinem Team bin ich gerade dabei, mir einen Überblick darüber zu verschaffen, wie die Faktenlage in anderen Ländern ist.
Holzleitner
Das Thema wurde in den vergangenen Jahren zusehends enttabuisiert, auch durch Social Media. Viele Gemeinden haben auf ihren Friedhöfen Bereiche geschaffen, wo Familien trauern können. Es ist wichtig, sich anzuschauen, wie das andere Länder regeln.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, wie Frauen nach Geburten betreut werden. Zu diesem Zeitpunkt besteht für Frauen das höchste Risiko, während ihres Lebens psychisch zu erkranken. Expertinnen und Experten klagen über zu wenig Versorgung. Wird es mehr Unterstützung geben?
Holzleitner
Im Regierungsprogramm ist diesbezüglich nichts verankert. Das heißt aber nicht, dass man nicht aktiv werden kann. Aber in den vergangenen zwei Monaten war es nicht möglich, sich jedes Themas im Detail anzunehmen und zu sagen: Da stellen wir gleich etwas auf die Beine. Dass es Handlungsbedarf gibt, ist unbestritten. Die Frage ist nur, wie und wie viel Geld in nächster Zeit da sein wird, um gewisse Dinge anzugehen.
Plakolm
Wir haben versucht, in den vergangenen zwei Monaten ein Doppelbudget hinzukriegen. Nur weil etwas nicht im Regierungsprogramm steht, heißt es nicht, dass man nicht trotzdem etwas machen kann. Aber da bitten wir einfach noch ein bisschen um Geduld. Das Thema ist uns wichtig.
Eine grundsätzliche Frage: Was ist Familie für Sie?
Plakolm
Für mich ist Familie der Ort, wo Generationen füreinander Sorge tragen. Das kann in unterschiedlichen Konstellationen stattfinden.
Holzleitner
Familie ist für mich etwas Partnerschaftliches und kann sehr bunt sein.
Also sind keine Kinder dafür notwendig?
Holzleitner
Für mich ist das nicht zwingend notwendig, man ist ja selbst auch immer ein Kind von jemandem.
Sollte der Staat mehr Anreize schaffen, damit mehr Frauen in Österreich Kinder kriegen? Die Fertilitätsrate sank zuletzt auf 1,3 Kinder pro Frau.
Plakolm
Der Staat schafft Anreize, etwa mit Familienleistungen und Beratungsangeboten. Aber zu glauben, dass die Fertilitätsrate plötzlich auf 2 steigt, wenn man die Leistungen nach oben schraubt, ist falsch. Das zeigen Beispiele aus anderen Ländern. Als Familienministerin sehe ich es als meine Aufgabe, auch den schnellen Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, wenn Eltern das möchten – auch weil es im Sinne der Pensionsabsicherung dringend notwendig ist.
Holzleitner
Care-Arbeit ist immer noch weiblich. Bei der institutionellen Unterstützung müssen wir als Österreich besser werden, denn damit kann man diesen Druck von den Frauen etwas wegnehmen: mit guten, flächendeckenden Kinderbetreuungseinrichtungen bis hin zum öffentlichen Verkehr. Damit das Kind, wenn es schon ein bisschen älter ist, auch allein mit dem Bus zur Musikprobe fahren kann.
Würde dazu nicht auch gehören, sich vom Dogma der 40-Stunden-Woche zu verabschieden und sich für eine erleichterte Teilzeit für beide Elternteile einzusetzen?
Holzleitner
Die Arbeiterkammer und der Gewerkschaftsbund arbeiten an einem sogenannten Familienzeit-Modell, um bezahlte und unbezahlte Arbeit partnerschaftlich gerechter aufzuteilen. Der klassische Fall wäre, dass der Vater die Arbeitszeit ein bisschen reduziert, die Mutter etwas aufgestockt und beide bei ungefähr 30 Stunden liegen. Ein zusätzlicher Bonus dafür könnte die Haushalte entlasten. Solche Modelle könnten ein guter Ansatz sein, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Plakolm
Ich hatte Anfang der Woche eine Paneldiskussion zum Thema Familie und Beruf. Ein großer Arbeitgeber hat 200 verschiedene Modelle für eine flexiblere Beschäftigung. Wenn ich als Arbeitgeber reüssieren will, muss ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die nötige Flexibilität bieten. Weil wir aber viel über Herausforderungen sprechen, möchte ich auch eine Lanze für die Jugend brechen: Die Ö3-Jugendstudie hat gezeigt, dass junge Menschen Familien sehr positiv gegenüberstehen und selbst eine Familie gründen möchten.
Wenn das so ist, warum steigt der Anteil der Väter, die in Karenz gehen, nicht an?
Plakolm
2017 haben etwa 4000 Männer den Familienzeitbonus (Anm. während eines Papamonats) bezogen, 2023 waren es über 11.000, das ist also eine Verdreifachung. Das Bewusstsein für eine Familiengründung ist bei Männern gestiegen. Wir haben uns im Regierungsprogramm darauf verständigt, dass wir die Väterbeteiligung erhöhen wollen.
Allerdings ohne konkrete Maßnahmen.
Holzleitner
Wir müssen bei dem Thema besser werden, denn wir wissen: Der Papamonat allein reicht nicht aus. Laut Zeitverwendungsstudien funktioniert in Ländern, wo die Karenzzeiten partnerschaftlicher aufgeteilt sind, die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit auch langfristig besser. Natürlich wäre eine Möglichkeit, stärker geteilte Karenzzeiten zu verankern. Aber ich weiß auch, dass das in unserer Koalition nicht alle so sehen.
Plakolm
Wir stecken aber auch in einem gesellschaftlichen Wandel. Bestes Beispiel ist meine Familie: Vor ein paar Jahren hat meine Schwester Nachwuchs bekommen. Beim Familienessen konnte es meine Oma gar nicht fassen, dass mein Schwager die Kleine in die Trage genommen hat. Der Opa hat das nie gemacht, hat sie gesagt. Ich glaube, dass wir mehr Anreize brauchen, damit mehr Männer sich die Kinderbetreuung ohne Bedenken zutrauen.
Welche Anreize?
Plakolm
Finanzielle Anreize. Wir haben zum Beispiel in der vergangenen Legislaturperiode den Familienzeitbonus verdoppelt.
Jetzt wird er nicht mehr an die Inflation angepasst …
Plakolm
Es hat schon dazu geführt, dass wir bei den Bezugszahlen einen deutlichen Sprung gemacht haben. Aber natürlich haben wir auch Nachholbedarf. Es geht in erster Linie um das Argument, dass sie zu Hause bleiben muss, weil er mehr verdient. Es sollte aber gelebte Praxis sein, dass sie ihren beruflichen Weg genauso wenig hintanstellen muss.
Holzleitner
Anreize sind gut, mit der Zeit muss man aber prüfen, ob sie auch gewirkt haben. Und irgendwann muss man die Rute ins Fenster stellen. Deswegen möchte ich noch einmal auf einen Punkt zurückkommen: Langfristig werden wir nicht darum herumkommen, stärker in die Verpflichtung zu gehen, wenn wir die Karenzzeit zwischen beiden Elternteilen besser aufteilen wollen.
Wenn Sie sich jeweils eine Maßnahme in das Regierungsprogramm wünschen könnten, die es nicht hineingeschafft hat, welche wäre es?
Holzleitner
Ich würde gern zwei Punkte nennen: Karenzzeiten halbe-halbe zwischen den Eltern aufteilen und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
Frau Plakolm, dann dürfen Sie auch zwei Punkte nennen.
Plakolm
Das Wichtigste ist, dass die Menschen, die arbeiten gehen, das Gefühl haben, dass sie damit etwas aufbauen können. Es braucht weitere Entlastungsschritte, also steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern.
Sie beide gelten als Zukunftshoffnungen Ihrer Partei. Wo sehen Sie sich am Ende der Legislaturperiode?
Plakolm
Im Wahlkampf, oder?
Holzleitner
Das ist eine super Antwort, sehr diplomatisch!
Fotos: Alexandra Unger

Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.