Wolfgang Sobotka
Faktencheck

Sobotka irrt: Er ist nicht „verpflichtet“, ÖVP-U-Ausschuss zu leiten

Muss Nationalratspräsident Sobotka den U-Ausschuss leiten, der den Verdacht der Korruption im ÖVP-Umfeld untersucht? In einem Interview hat er genau das behauptet. Doch das stimmt so nicht.

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Ich bin gesetzlich verpflichtet, den Vorsitz des U-Ausschusses zu übernehmen.”

Wolfgang Sobotka

Nationalratspräsident (ÖVP), 30. Oktober 2021, Interview mit dem „Kurier“

Größtenteils falsch

von Shirin Filippitsch

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist gerade einmal seit Montag im Amt, da kommt am heutigen Donnerstag schon das erste Ungemach auf ihn zu: Auf Antrag der Oppositionsparteien stimmt der Nationalrat heute über die Einsetzung eines ÖVP-Untersuchungsausschusses ab – das Kontrollgremium ist als Follow-Up des Ibiza-Ausschusses gedacht, die Opposition will die Rolle der ÖVP bei Postenbesetzungen und Co. beleuchten. Sie vermutet: Korruption.

Mit der Einsetzung des U-Ausschusses wird auch eine Person wieder stärker in den Fokus rücken: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Er leitete bereits den Ibiza-U-Ausschuss als Vorsitzender und will diese Rolle auch beim ÖVP-U-Ausschuss ausüben. Eine mächtige Position: Der Vorsitzende leitet Verhandlungen, fertigt Ladungen und Beweisbeschlüsse aus und entscheidet über die Reihenfolge der Befragung von Auskunftspersonen. Er kann Sitzungen jederzeit unterbrechen und ist dafür zuständig, die Öffentlichkeit über den Lauf und die Ergebnisse des Verfahrens zu informieren. Der Vorsitzende kann also durchaus einen Einfluss auf den U-Ausschuss nehmen.

Kritik an Sobotkas Vorsitzführung

Beim Ibiza-Ausschuss war genau das die Kritik der Opposition: Sobotka habe zu parteiisch agiert, im Sinne seiner Partei, der ÖVP. Im Vorfeld des neuen Ausschusses wurde dem hochrangigen ÖVP-Politiker nahegelegt, den Vorsitz an die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) oder den Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) abzugeben. Und zwar nicht nur von den Oppositionsparteien – sondern auch vom grünen Koalitionspartner, Vizekanzler Werner Kogler und Nationalrätin Nina Tomaselli.

Sobotka weist diese Forderung zurück. Er sieht sich „gesetzlich verpflichtet“ die Vorsitzführung im ÖVP-U-Ausschuss zu übernehmen, wie er in einem Interview mit dem „Kurier“ mit Verweis auf die Verfahrungsordnung des U-Ausschusses sagte. Aber stimmt das auch, muss der Nationalratspräsident den Vorsitz des U-Ausschusses führen?

Was wirklich in der Verfahrensordnung steht

Die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse sieht grundsätzlich vor, dass der Präsident des Nationalrats Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses ist. Wie das Büro des Nationalratspräsidenten auf Anfrage richtig betont, ergibt sich im Sinne der Erhaltung der Funktionsfähigkeit eines U-Ausschuss eine allgemeine Verpflichtung zur Vorsitzführung. Das heißt: Es muss jedenfalls eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden geben.

Allerdings: Bei der Wahrnehmung der vorgesehenen Aufgaben (§ 6 VO-UA) kann sich der Präsident vom Zweiten oder Dritten Nationalratspräsidenten vertreten lassen (§ 5 Abs 2 VO-UA). Zu diesen Aufgaben zählen unter anderem die Vorsitzführung, die Befragung von Auskunftspersonen und die Berichterstattung nach außen. In den Erläuterungen zu § 5 VO-UA heißt es dazu: „Mit dieser Regelung soll eine unabhängige, sachliche und objektive Verfahrensleitung gewährleistet werden.“

Das heißt: Sobotka könnte sich von der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures oder vom Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer vertreten lassen. Nur wenn beide die Vorsitzführung ausschlagen würden, könnte man zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Ausschusses mit einer Verpflichtung Sobotkas argumentieren.

Wären Bures und Hofer bereit, die Vorsitzführung zu übernehmen?

Was sagen Bures und Hofer dazu? Auf die Frage, ob Bures als Zweite Präsidentin grundsätzlich zur Übernahme der Vorsitzführung im ÖVP-U-Ausschuss bereit wäre, antwortet ihr Büro: „Es ist die Entscheidung des Präsidenten, ob er die II. Nationalratspräsidentin um eine Vertretung als Vorsitzende des U-Ausschusses ersucht. Wie von Ihnen richtig ausgeführt, hat die II. Nationalratspräsidentin bereits in der Vergangenheit die Vorsitzführung übernommen.“ Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer gab auf Anfrage an, „die Vorsitzführung übernehmen zu wollen, sollte der Nationalratspräsident mit einem diesbezüglichen Ersuchen für die Sitzungen eines Untersuchungsausschusses an ihn herantreten“.

In einem kürzlich publizierten Kommentar von Alexandra Schrefler-König und David Loretto, Experten für die Verfahrensordnung parlamentarischer U-Ausschüsse im Büro der Zweiten Nationalratspräsidentin Bures, heißt es: „Die Verpflichtung des Nationalratspräsidenten beschränkt sich darauf, über die Vorsitzführung und das Ausmaß seiner Stellvertretung zu entscheiden. Im Gegensatz zum allgemeinen Aufgabenbereich des Präsidenten nach dem Geschäftsordnungsgesetz, fordert die Verfahrensordnung als lex specialis auch keinerlei Vorliegen von Verhinderungsgründen (Anmerkung: zur Übertragung der Vorsitzführung).“

Sobotka gab bereits einmal den U-Ausschuss-Vorsitz ab

Sobotka übergab im BVT-U-Ausschuss den Vorsitz an die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Laut Sobotkas Büro lag damals eine faktische Verhinderung aus zwei Gründen vor: Erstens liefen zwei U-Ausschüsse (BVT-U-Ausschuss und Eurofighter-U-Ausschuss) parallel. Das hätte eine „enorme terminliche Belastung“ und einen „nicht zu unterschätzenden administrativen Aufwand“ für den Präsidenten bedeutet. Zweitens war der Präsident innerhalb des Untersuchungszeitraums Innenminister.

Eine solche Regelung zur faktischen Verhinderung oder Befangenheit findet sich in der Verfahrensordnung nicht. Es handelt sich hier um einen von Sobotka an sich selbst gestellten Maßstab.

Fazit

Die Verfahrensordnung für U-Ausschüsse sieht zwar vor, dass der Präsident des Nationalrats den U-Ausschuss leitet. Daraus ergibt sich aber noch keine gesetzliche Verpflichtung für Sobotka, die Vorsitzführung im ÖVP-U-Ausschuss zu übernehmen.

Die Vertretungsregelungen erlauben eine Übertragung der Vorsitzführung auf die Zweite Präsidentin oder den Dritten Präsidenten des Nationalrats formlos und ohne Angabe von Gründen. Ausgenommen von der Übertragungsmöglichkeit sind ausschließlich einzelne Bereiche - wie die Einhebung von Ordnungsgeldern – die dem Präsidenten obliegen. Ob er die Vorsitzführung überträgt oder nicht liegt allein im Ermessen des Nationalratspräsidenten.

Die Behauptung von Sobotka ist deshalb als größtenteils falsch einzustufen.