Nein, Trinkwasser wird durch den Abrieb von Windrädern nicht verseucht
Kaum wo auf der Welt ist das Trinkwasser so hochwertig wie in Österreich. Mehr als 95 Prozent des heimischen Trinkwassers stammt aus Grund- und Quellwasser. Auch im Mühlviertel. Dort, unweit der Bezirkshauptstadt Freistadt, stimmen am Sonntag die Bewohnerinnen und Bewohner von Grünbach darüber ab, ob der Gemeinderat dem Verbund die notwendigen Widmungen für einen Windpark erteilen soll. Der Grünbacher Bürgermeister, Stefan Weißenböck (ÖVP, warnt in einer Postwurfsendung vor den Folgen der Windräder für die lokalen Trinkwasserquellen. In dem Schreiben ist wörtlich von einer angeblichen „Kontamination UNSERES Trinkwassers und der Lebensgrundlage Boden durch Abrieb von Windrädern“ die Rede. Ist das Trinkwasser im Mühlviertel wirklich in Gefahr?
Eigentlich war das Thema Windkraft in Grünbach längst vom Tisch. Denn bereits im Vorjahr hat sich der Grünbacher Gemeinderat nicht nur gegen die vier vom Verbund geplanten Windräder im Gemeindegebiet ausgesprochen, sondern allgemein gegen Windkraft. Mit 14 zu fünf Stimmen wurde festgelegt, dass in den kommenden zehn Jahren kein Windrad in der Gemeinde gebaut werden soll. Daraufhin sammelte die Bürgerinitiative „Ja zur Windkraft“ Unterschriften, um eine Volksbefragung zu erzwingen – genauso wie in der Nachbargemeinde Rainbach, wo der Verbund weitere drei Windräder plant. Dort stimmte die Bevölkerung im Juni 2024 mit 56 Prozent pro Windkraft. In Rainbach hat man sich darauf geeinigt, sich an das Ergebnis der Volksbefragung zu halten. Rechtlich bindend ist das Votum der Bevölkerung aber nicht.
Am Sonntag kommt es nun auch in Grünbach zum Showdown zwischen Befürwortern und Gegnern. Nicht immer läuft die Debatte faktenbasiert: Im Februar hat die ÖVP Grünbach mit einer achtseitigen Broschüre über die jetzt im eigenen Ort bevorstehende Volksbefragung informiert. Wobei „informiert“ nicht ganz stimmt. Denn neben einer Erklärung des Bürgermeisters, warum er und seine Ortspartei gegen Windkraft sind und einem Muster des Stimmzettels, finden sich darin auch mehrere Falschaussagen. Neben der Kontaminierung des Trinkwassers durch den Abrieb der Rotorblätter, wird auch umrissen, dass der von Windrädern erzeugte Infraschall gesundheitsschädlich für Menschen sei. Aussagen wie diese machen in der Region schon länger die Runde, auch an einem Informationsabend zum selben Windkraftprojekt im Vorjahr, profil berichtete.
Zur weit verbreiteten Erzählung des schädlichen Infraschalls sagt Hanns Mooshammer vom Public Health Institut der Medizinischen Universität Wien: Auch wenn durch den Betrieb von Windrädern Infraschall entstehe, gehe keine gesundheitliche Gefahr davon aus. Denn zu mechanischen Schäden, etwa am Innenohr, am Trommelfell oder auch an inneren Organen wie der Lunge, könne es bei Windrädern nicht kommen: „Von diesen Energien sind wir selbst in der unmittelbaren Nähe von Windrädern weit entfernt“, so der Umweltmediziner. Fazit: „In Bezug auf Windräder ist die Betonung von Infraschall insgesamt als ‚Fake News‘ zu werten“, sagt Moshammer.
Wie aber steht es um die Gefahr für das Trinkwasser?
In Grünbach gibt es nicht nur eine Bürgerliste pro Windkraft. Sondern auch deren Pendant, die „Transparenzinitiative Grünbach“. In deren Broschüre zum geplanten Windpark im Mühlviertel findet sich dieselbe Grafik wie im Postwurf der ÖVP Grünbach auf dem vom schädlichen Abrieb die Rede ist, allerdings mit dem Zusatz: „Während des Betriebes der Anlage kommt es durch Umwelteinflüsse wie Regen, Eis, Staub und Temperaturschwankungen zu Rotorblatt-Abrieb. Dieser besteht aus Glas- bzw. Karbonfasern, Mikroplastik und der langlebigen Chemikalie PFAS.“
Das Bild mit der abgenutzten Nasenkante des Rotorblattes stammt aus einem Artikel eines deutschen Fachmediums aus dem Jahr 2016. Berichtet wird in dem Text über ein Forschungsprojekt, in dem Lösungen gesucht werden, wie Erosionsschäden künftig reduziert oder gar verhindert werden könnten. Geforscht werde, so der Artikel, an einem thermoplastischen Hybridmaterial, das die Vorderkante der Rotorblätter schützen und gleichzeitig eine Heizfolie beinhalten soll, um Vereisung zu verhindern. Mit Sensoren soll die Temperatur gemessen und die Beheizung der Rotorblätter entsprechend gesteuert werden. Das Ziel: Die Lebensdauer der Rotorblätter zu verlängern und Wartungskosten zu reduzieren. Gefahren für die menschliche Gesundheit werden im Artikel nicht genannt, auch Mikroplastik kommt nicht vor. Stattdessen ist die Rede von Speziallacken, die bei Windrädern heute noch zum Einsatz kommen.
Eine Kontamination des Trinkwassers durch Windräder im Betrieb kann ich sicher ausschließen.
In der Broschüre der Windkraftgegner steht aber zudem, dass das PFAS, das bei der Erosion frei werde, ins Grundwasser gelange. Die „Ewigkeitschemikalie“ gilt als biologisch nicht abbaubar und krebserregend.
Dass PFAS in Beschichtungen für Rotorblätter zum Einsatz komme, sei laut dem Beschränkungsdossier der Europäischen Chemikalienagentur ECHA möglich. Auch in Kabelisolierungen, Schmierstoffen und Fetten, die ebenfalls in Komponenten eines Windrades vorkommen, seien diese Chemikalien vorhanden. Das Dossier identifiziert vier Phasen, in denen PFAS freigesetzt wird: in der Produktions- und Verarbeitungsphase, in der Produktfertigung, während der Nutzung und bei der Entsorgung. Für langlebige Anwendungen – dazu zählen beschichtete Produkte, Solarpaneele oder auch Elektronikartikel – gilt jedoch: in der Nutzungsphase werde PFAS nur sehr langsam bis kaum freigesetzt. Wichtiger sei die Abfallphase, hier könne PFAS in größerem Stil freigesetzt werden. Zentral sei laut Moshammer, dass Windräder nach Ende ihrer Betriebszeit, korrekt abgebaut und entsorgt werden.
Im Schreiben des Bürgermeisters fehlt der Abschnitt der Ewigkeitschemikalien, der einzige Hinweis, womit das Grundwasser kontaminiert werden könnte, findet sich in der Grafik selbst. „Mikroplastik von Rotorblättern“ – also jene Plastikpartikel kleiner als fünf Millimeter, die durch den Zerfall größerer Kunststoffteile entstehen. Wie steht es um dieses Risiko?
Die Oberfläche von Rotorblättern besteht meist aus einer speziellen Kunststoffschicht, zusätzlich dazu kommen Schutzlacke und Folien zum Einsatz. Aber: „Mikroplastik wird nicht so umfangreich von Windrädern freigesetzt“, sagt Umweltmediziner Moshammer. Anders als etwa bei Autoreifen: „An stark befahrenen Straßen kann der Anteil von Mikroplastik (aus den Reifen; Anm.) bis zu wenige Prozent des gesamten Feinstaubs ausmachen. Im Mikroplastik aus Reifen werden tatsächlich wassertoxische Stoffe freigesetzt“, sagt der Umweltmediziner. Und: „Diese Giftstoffe sind meines Wissens nicht im Rotormaterial enthalten. Eine Kontamination des Trinkwassers durch Windräder im Betrieb kann ich sicher ausschließen“, sagt Moshammer.
Die Erzählung von den gesundheitlichen Auswirkungen des Abriebs von Windrädern ist nicht neu. Bereits im Sommer des Vorjahres kursierte auf der Kurznachrichtenplattform X ein Bild eines beschädigten Rotorblattes. Dieses wurde mit der Behauptung, ein Windrad verliere über die Jahre mehrere hundert Kilo Carbon-Mikrofaser, geteilt. Der Faktencheck der französischen Nachrichtenagentur AFP recherchierte den Fall und kontaktierte jene Person, die das Foto gemacht hat. Fazit damals: Von Carbon-Mikrofasern oder hunderten Kilogramm Erosionsmaterial ist auch dort keine Rede, stattdessen handle es sich um Füllmasse und Farbe, die sich im laufenden Betrieb abnutzt.
Diese gelangt laut Expertinnen und Experten auch in die Umwelt, wie ein Gutachten aus dem April 2024 aus Deutschland belegt. Doch selbst, wenn man von maximalen Erosionsschäden ausgeht, verursachen Windkraftanlagen in Deutschland lediglich rund 0,15 Prozent des Gesamtfeinstaubs. Einen Einfluss auf die Trinkwasserversorgung und den Nahrungskreislauf hat das – anders als von der ÖVP Grünbach und der Anti-Windkraft-Bürgerliste behauptet – nicht.
Woher der Bürgermeister in Grünbach die Information hat, dass dieses Erosionsmaterial das Grundwasser kontaminiere, wollte er auf mehrmalige profil-Nachfrage vor der Volksbefragung am Sonntag nicht beantworten.
Fazit
Die Behauptung, dass der Abrieb von Rotorblättern das Grundwasser kontaminiert, ist falsch. Zwar können in der Beschichtung der Rotorblätter sogenannte Ewigkeitschemikalien (PFAS) enthalten sein, doch werden diese während der Nutzungsdauer nur sehr langsam oder kaum freigesetzt. Viel größer sei das Risiko der PFAS-Freisetzung bei der Entsorgung von Windrädern. Im Postwurf der Ortspartei, der ein Ausschnitt der Inhalte der Anti-Windkraft-Bürgerliste sein dürfte, fehlt der Hinweis auf die Chemikalie. Stattdessen geht es dort um Mikroplastik. Eine Kontamination des Grundwassers durch den Abrieb der Rotorblätter schließen Experten da wie dort aus.
Ergebnis der Volksbefragung
Bei einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent sprachen sich am 1. Juni 60 Prozent gegen die vier in Grünbach geplanten Windräder aus.