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40 Jahre Weinskandal: Der Geist aus der Flasche

Vor 40 Jahren erschütterte der Weinskandal Österreich. Über eine Affäre, die zum nationalen Kulturgut wurde und bis heute nachwirkt.

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Am 21. Dezember 1984 betrat ein Mann das Gebäude der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in der Trunnerstraße in Wien. „Das verwendet die österreichische Weinfälscherszene“, soll der Mann gesagt und eine Flasche mit einer farb- und geruchlosen Flüssigkeit abgegeben haben. Bis heute weiß man nicht, wer der anonyme Tippgeber war.

Die Probe enthielt Diethylenglykol und damit den Schlüssel zur Aufklärung einer der größten Affären in Österreichs Nachkriegsgeschichte. Vor 40 Jahren, im Sommer 1985, erreichte der Weinskandal seinen Höhepunkt. Über Jahre hinweg hatten Weinhändler und Winzer systematisch billige Weine mit Substanzen wie Diethylenglykol, das unter anderem auch in Frostschutzmitteln enthalten ist, versetzt und danach als teure Prädikatsweine verkauft.

Es war ein Skandal, der die österreichische Weinwirtschaft im Kern traf, aber auch für diplomatische Zerwürfnisse zwischen Österreich und Deutschland sorgte und die damalige rot-blaue Regierungskoalition unter Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ) eine Zeit lang ziemlich gepanscht aussehen ließ. Es kam zu Sondersendungen, Verhaftungs- und Pleitewellen. Ein Generationen-Trauma in Rot-Weiß-Rot (und Rosé). Tatsächlich sind die Nachwirkungen des Weinskandals bis heute zu spüren. Allerdings kann darüber diskutiert werden, ob die positiven oder die negativen Effekte überwiegen.

„Schwindel, Brechreiz, Krebs“

Es stand schlimm um Rudolfine Schmid, und das Schlimmste war, dass niemand genau wusste, wie schlimm. „Nach drei Achterln im Spital“, titelte die „Kronen Zeitung“ am 26. Juli 1985 und führte dann näher aus: „Die 73-jährige Rudolfine Schmid aus der Robert-Lach-Gasse 43–48 im 21. Bezirk trank schon seit Jahren wegen des Blutdrucks regelmäßig einige Gläschen Rotwein täglich. Die Frau klagte nie über irgendwelche Probleme.“ Doch dann: „Zu Pfingsten kaufte die Frau zwei Papierpackungen Rotwein einer niederösterreichischen Firma, die in den Weinskandal verwickelt ist. ‚Sie trank am Vorabend vielleicht zwei, drei Achterln‘, erinnert sich ihr Schwiegersohn. Am nächsten Tag klagte die Frau plötzlich über furchtbare Nierenschmerzen, konnte sich kaum mehr bewegen.“

Frostschutz-Wein bei Omas Geburtstag – elf vergiftet.

„Bild“-Zeitung vom 12. Juli 1985

Frau Schmid war nicht die einzige Connaisseurin, die in jenem Sommer ein Austro-Wein-Syndrom erlitt. Im „Spiegel“ war unter der Überschrift „Frostschutz-Auslese in deutschen Kellern“ von einem weiteren Betroffenen zu lesen: „Das ist eine Schweinerei, in meinen Augen ein Verbrechen, klagte Rentner Ernst Lüdemann vor den Kameras der ‚Tagesschau‘ letzten Dienstag. Nach dem Genuss von drei Flaschen Beerenauslese der Lage ‚Neusiedler See‘ sei ihm ganz übel geworden, sogar unter Lähmungserscheinungen habe er gelitten.“ Auch in profil war in jenen Tagen von „Nierenkoliken, Schwindel, Brechreiz, Lähmungserscheinungen und sogar Krebs“ zu lesen, die österreichische Weine auslösen könnten. Die „Bild“-Zeitung erklomm dann am 12. Juli den Gipfel der Glykol-Panik: „Frostschutz-Wein bei Omas Geburtstag – elf vergiftet“.

Obwohl Lebensmittelchemiker schon damals erklärten, dass das Diethylenglykol in der verwendeten Dosierung ungefährlich sei, verfestigte sich die Frostschutz-Panik bei Konsumenten und Medien.

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Wein auf Rezept

Auch die Exekutive blieb hochaktiv: „Eisweinpanscher beim Frühstück verhaftet“, berichtete die „Krone“ am Samstag, dem 20. Juli. Es ging um den Golser Johann S., der erst am Donnerstag zuvor „überraschend“ von seinem Posten als Chef der Burgenländischen Weinwerbung zurückgetreten war. Anfang August eskalierte die Affäre endgültig, wie profil berichtete: „Täglich wird die Weinaffäre unübersichtlicher, Gendarmeriekommandos, ausgerüstet mit Staatsanwalt und Untersuchungsrichter, sind von früh bis spät unterwegs, um Weinhändler zu filzen. Die Gefängnisse füllen sich mit Kaufleuten, die am Vortag noch die schwarzen Schafe lautstark verfluchten.“ Was sie dort sonst noch so machten, eruierte das Magazin bei einem exklusiven Vor-Ort-Termin im „Weinhäfen“, also dem Untersuchungsgefängnis von Krems, wo bereits Dutzende mutmaßliche Weinpanscher einsaßen – und offenbar ein recht launiges Regime herrschte: „Ihr Hausherr heißt Karl Czech, ist Oberst der Justizwache und stellt sich in gelegentlicher Weinlaune als „Czech wie Tschecherant mit Ce-Zet“ vor.“

Selbstverständlich war mir von Anfang an klar, dass ich hier in verstärktem Maße Dinge tun muss, die mich mit dem Gesetz in Konflikt bringen können, das ist das Problem aller Kellermeister.

Weinskandal-"Superhirn" Otto N. in seinem Geständnis

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur. Ist seit 2020 Textchef und seit 2025 stellvertretender Chefredakteur dieses Magazins.

Josef Redl

Josef Redl

Wirtschaftsredakteur.