Fußball

Austria Wien sucht Märchenprinz

Der Traditionsverein Austria Wien kämpft ums wirtschaftliche Überleben. Zum zweiten Mal nach der Liaison mit dem Milliardär Frank Stronach muss sich der Klub nun einem Investor ausliefern. Chronik eines multiplen Versagens.

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Wenn Fußballfunktionäre genüsslich zu Umweltthemen referieren ist möglicherweise Feuer am Dach. Eigentlich hätte Markus Kraetschmer, Vorstandsvorsitzender der Austria Wien AG, bei dem Pressetermin vor der Winterpause den wirtschaftlichen Zustand des Traditionsvereins präsentieren sollen. Kraetschmer pries die Photovoltaikanlage auf dem Dach des Austria-Stadions, das Abfallmanagement, den reduzierten Stromverbrauch. Erst nach fünf Minuten packte der Manager den Hammer aus: Das Jahresergebnis weist ein Minus von 18,8 Millionen Euro auf. Der Umsatz ist von 38,7 auf 22,7 Millionen gesunken. Die Verbindlichkeiten betragen 71,4 Millionen.

Die Wiener Austria kämpft ums nackte Überleben. Seit über einem Jahr wird ein Investor gesucht. Doch bislang konnte nicht einmal ein Trikotsponsor gefunden werden. Die Wiener Austria, der neben Rapid wohl renommierteste Fußballverein des Landes, hat Ballzauberer wie Matthias Sindelar und Herbert Prohaska hervorgebracht – und gezeigt, dass Fußball wie Tanzen aussehen kann, grazil und elegant. Getanzt wird am Verteilerkreis schon lange nicht mehr, dafür gerechnet und verhandelt. Mit Arabern, Russen, Amerikanern. Findet der Verein keinen Geldgeber, droht die Insolvenz.

Ein kostspieliges Stadion, Corona und ein säumiger Großsponsor rissen ein Riesenloch in die Bilanz. Doch das alles wäre zu verkraften gewesen, würde die Austria nicht seit Jahren auf dem Feld versagen. Das eigentliche Geschäftsmodell, das Fußballspiel, ist zu einem Verlustgeschäft geworden. Der Investor soll nun Millionen und zugleich Ideen mitbringen. Sprich: Der Märchenprinz muss spendabel und erfinderisch sein – im Gegenzug dafür darf er an die Schalthebel des Vereins.

Bittgesuch und Eingeständnis

Austria-Präsident Frank Hensel, 62, Deutscher, Ex-Vorstandsvorsitzender des Handelskonzerns REWE, wirkt, als könne ihn all das nicht erschüttern. „Wir brauchen finanzielle Stabilität“, erklärt er seelenruhig, „und wir brauchen auch jemanden, der uns im sportlichen Bereich weiterhilft.“ Das Bittgesuch ist zugleich ein Eingeständnis: Man sieht sich wirtschaftlich und sportlich nicht mehr in der Lage, den Karren selbst aus dem Dreck zu ziehen.

Dabei ist es nicht lange her, dass die Austria froh war, den spendablen, aber wankelmütigen Milliardär Frank Stronach als Vereins-Mäzen los zu sein. Der wollte zu Beginn des Jahrtausends mit der Austria in die Königsklasse, mit Österreich Weltmeister werden – und dabei alle Entscheidungen selbst treffen. Einmal, so erzählt man heute noch im Austria-Umfeld, wollte er gar bestimmen, dass der Tormann künftig nicht mehr auswerfen sondern ausschließlich ausschießen solle. Nach Stronachs Abgang 2008 wurde auf Kleinsponsoren gesetzt, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Euro für Euro kämpfte man sich zurück. Das Konzept ging auf: 2013 feierte die Austria den Meistertitel, man spielte in der Champions League. Vorausschauend wurde Geld in die Infrastruktur gesteckt. Heute spielt der Verein in einem schicken, 48 Millionen Euro teuren Stadion; leider konstant erfolglos.

Vier Saisonen in Folge konnten keine nennenswerten Ergebnisse erzielt werden. Zuletzt schnappte der kleine TSV Hartberg der Austria den Europacup-Platz weg, der durch die fetten UEFA-Prämien existenzsichernd sein kann.

„Ein Kuddelmuddel“

Im Kerngeschäft agierte die Austria konzeptlos. Kapitän Alexander Grünwald kritisierte in der „Presse“, dass „jeder Trainer eine neue Philosophie mitbringt“. Peter Stöger dozierte bei seinem Amtsantritt als Sportchef im Herbst 2019, dass er „ein Kuddelmuddel“ im Kader vorgefunden habe. Viele Spieler wurden mit langfristigen und äußerst kostspieligen Verträgen ausgestattet. „Die meisten in der Ära von Franz Wohlfahrt als sportlich Verantwortlichem“, betont Präsident Hensel. Die Geschäftsführung machte es freilich nicht besser: Wohlfahrt wurde im Juni 2018 entlassen – kurz nachdem sein Vertrag um drei Jahre verlängert worden war.

Für den Ex-Handelskonzern-Manager Hensel, seit zwei Jahren im Amt, ist das Fußballspiel „nur bedingt kalkulierbar“. Anfangs löcherte er Austria-Mitarbeiter und wollte das Geschäft verstehen lernen. Heute betont er, dass in Salzburg strukturierter gearbeitet werde und die Austria „in alten Sichtweisen verhaftet“ geblieben ist. „Wir müssen offener werden für Leute von außen, ein bisschen internationaler“, wünscht sich Präsident Hensel. Statt Internationalisierung regierte im Verein lang die Vetternwirtschaft. Jahrhundert-Austrianer Herbert Prohaska empfahl 2015 seinen Freund Wohlfahrt als Sportdirektor. Andreas Ogris, der Prohaska- und Wohlfahrt-Kumpel, trainierte die Amateurmannschaft. Hensel betont, dass all das vor seiner Zeit passiert sei. „Ich mag den Andi Ogris wahnsinnig gern als Mensch, aber wir wollten einen anderen Reiz setzen.“ Hensels Beitrag heißt Peter Stöger, der derzeit gleichzeitig als Sportchef und Trainer fungiert. Stöger war mit der Austria 2013 als Trainer Meister geworden und genießt nach Stationen beim 1. FC Köln und bei Borussia Dortmund den Ruf eines Fußball-Weisen. Doch anstatt das Kerngeschäft zu sanieren, musste er den Lockvogel bei Sponsoren-Terminen mimen – bis dato ohne durchschlagende Erfolg. „Es ist nicht so, dass der Sportbereich ganz ohne Führung war“, erklärt Hensel, „aber er hat in dieser Zeit viele andere Dinge gemacht.“ .

 

„Die sagen: Wir wollen die Mehrheit und am besten alles“

Nun bleibt der Austria nichts anderes übrig, als sich wie auf dem Bazar feilzubieten. Vorstand Markus Kraetschmer, 49, weißes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, wirkt dieser Tage müde und kämpferisch zugleich. Mit einer „hohen zweistelligen Zahl“ an Investoren wurden Gespräche geführt. Das internationale Fußballgeschäft ist zu einer Art Tinder für vermögende Männer und flirtwillige Klubs geworden. Immer mehr Investoren drängen auf den Markt und halten sich zuweilen einen Harem an Fußballvereinen.

In Österreich gibt es dabei ein kleines Problem: Investoren können nur 49,9 Prozent der Anteile erwerben, der Verein muss im Besitz der Mehrheit bleiben. Während in England, Spanien oder Frankreich Fußballklubs mit Haut und Haaren von Scheichs und Oligarchen erworben werden, sind diese über das hiesige Bundesliga-Reglement erstaunt. „Die sagen: Wir wollen die Mehrheit und am besten alles“, erklärt Hensel.

Die Austria ist trotzdem ein attraktives Schnäppchen. Ein Investor müsste für die 49,9 Prozent wohl nicht mehr als 10 Millionen Euro auf den Tisch legen. Das könnte sich schnell lohnen. Denn: Fünf von zwölf Vereinen erhalten in Österreich einen Europacup-Startplatz. Der Einzug in die Champions League bringt mindestens 15 Millionen Euro, die Europa League drei Millionen. Der LASK verdiente in der Vorsaison alleine durch UEFA-Gelder 14 Millionen.

Die Austria ist zudem bereit, dem Geldgeber sehr, sehr viel Einfluss einzuräumen. Die Verträge der Vorstände Kraetschmer und Stöger sowie von 12 Spielern laufen aus – zudem endet die Amtszeit von Präsident Hensel. Der neue Geldgeber soll zukünftig freie Hand haben. Nur der Klubname, das Logo und die violette Vereinsfarbe seien unantastbar. „Vielleicht wollen sie im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich etwas Neues. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten“, erklärt Kraetschmer pflichtbewusst.

Besonders gute Erfahrungen hat man mit potenten Geldgebern zuletzt nicht gemacht. Vor einigen Jahren unterschrieb die Austria einen Sponsoren-Deal, der kolportierte zehn Millionen Euro hätte bringen sollen – doch der Großsponsor zahlte nicht. Die Austria musste das Geld heuer abschreiben. Um wen es sich dabei handelt, will der Verein nicht verraten. Kolportiert wird ein Unternehmen aus Saudi-Arabien. Einklagen wolle man die Millionen nicht, betont Kraetschmer. Man sei in Gesprächen, hoffe noch auf das Geld, zudem sollen andere Geldgeber nicht verschreckt werden. Wie man einen ähnlichen Reinfall bei der Suche nach einem Investor verhindern will? Man habe daraus gelernt und lasse die Kandidaten genau prüfen, „auch wenn eine gewisse Unsicherheit bleibt“, gesteht Hensel.

Eigentlich verfügt die Austria in ihren Gremien über exzellente Wirtschaftskompetenz. Neben Hensel sitzen dort der ehemalige Finanzminister Josef Pröll, UniCredit-Bank-Austria-Vorstand Robert Zadrazil; Vertreter von T-Mobile, REWE, Generali und OMV. Im Austria-Umfeld sind viele von den honorigen Herren enttäuscht. „Hensel war REWE-Vorstand, mit der Betonung auf war“, kritisiert Herbert Prohaska. „Wenn du in Pension bist, ist dein Einfluss beendet.“ Trotzdem glaubt Prohaska an ein Happy End „weil wir eine große Geschichte haben und bekannter sind als Red Bull Salzburg“. Von der glamourösen Vergangenheit profitiert die Austria aber immer seltener. Zuletzt verließ der Wasseraufbereiter BWT die Austria und sponsert nun den LASK.

Jetzt soll alles schnell gehen: Die Austria will möglichst schon in den nächsten Wochen Verträge unterschreiben – und dem Investor zusätzlich das Trikotsponsoring umhängen. Ansonsten müsste man sich „mit Insolvenzszenarien auseinandersetzen“, betont Kraetschmer. Das würde den Klub hart treffen: Ausschluss aus dem Europacup, Transferverbot, Punkteabzug in der Liga. Nur ein Abstieg würde aufgrund der gelockerten Lizenzvorschriften aufgrund der Pandemie voraussichtlich nicht drohen.

Welchen Märchenprinzen präsentiert die Austria also? Mit Arabern und Amerikanern sollen sich Gespräche zerschlagen haben. Zuletzt hieß es: Man könne sich auch mehrere Partner vorstellen. Der neueste Tipp: Gerard Lopez, 49-jähriger spanischer Multi-Millionär mit Vorliebe für teure Autos, der bereits einen Fußballverein in Belgien besitzt. Das Indiz: Einer seiner Kicker, der Albaner Agim Zeka, wurde vor wenigen Tagen von der Austria erworben, obwohl er seit Monaten kein Spiel absolviert hat.

Tatsächlich könnte ein potenter Investor den Verein zurück ins Spiel bringen, ihn aber auch in seinen Grundfesten erschüttern. Worauf man sich einlässt, „weiß man nie ganz genau“, sagt Vereinspräsident Hensel. „Am Ende muss man eine Entscheidung treffen, von der man nach besten Abwägungen sagt, es handelt sich wahrscheinlich um den Richtigen.“ Nachsatz: „Zeigen tut sich das immer erst später, wenn man in der Tat mit dem zusammenarbeitet.“