Schrecken des Eises

Berlinale 2014: "Das finstere Tal" und Österreichs starke Beiträge

Berlinale. Western, Kunst und digitale Abstraktion: Österreichs starke Beiträge

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Von Stefan Grissemann, Berlin

An ihren Bildkompositionen sollt ihr sie erkennen: Es gibt wohl, abgesehen von dem kanadischen Retro-Stilisten Guy Maddin, keinen zweiten Regisseur auf diesem Planeten, dessen Arbeit ähnlich unverwechselbar erscheint wie jene des Texaners Wes Anderson ("The Royal Tenenbaums“, "Moonrise Kingdom“). Seine dicht gewobenen Melancholiekomödien vertrauen auf Luxusspielzeug, Nostalgiedesign und Symmetriezwang. Mit Andersons jüngstem Film, der Historien-Fantasy "The Grand Budapest Hotel“, einer von Stefan Zweig inspirierten, bizarr-theatralischen Szenenfolge, nahm die 64. Berlinale am Donnerstagabend vergangener Woche ihren Betrieb auf.

Die Wahl war gut, denn die verwickelte Krimi-Groteske rund um einen Alpenhotel-Concierge und seinen arglosen Pagen in einem Schneekugel-Osteuropa des Jahres 1932 befriedigte allfällige Kinokunstansprüche ebenso wie das Unterhaltungsbedürfnis des Galapublikums und alle Star-Präsenzwünsche der Festivalleitung: Ein Dutzend Mitarbeiter brachte Wes Anderson mit nach Berlin, darunter Tilda Swinton, Bill Murray, Edward Norton und Hauptdarsteller Ralph Fiennes. Gute Laune war somit garantiert; Murray verriet nach der Premiere öffentlich, wie Anderson es zuwege bringt, immer wieder eine solche Dichte an Stars für sich zu gewinnen. Das sei recht einfach, berichtete Murray trocken: "Er verspricht uns endlos lange Drehtage, trockenes Brot und extrem magere Gagen“, was schon mal verführerisch sei und dafür sorge, dass man während der Dreharbeiten "mehr Trinkgeld“ bezahle, als man Geld verdiene.

"Das finstere Tal"
Der Ironie betont fern bleibt einer der zentralen österreichischen Beiträge dieser Berlinale, und auch das passte bestens, denn es empfiehlt sich nicht, das alte Westerngenre mit ein paar locker eingestreuten Scherzen nachzubehandeln. Der Film "Das finstere Tal“, der am Montag dieser Woche spätabends im Berliner Zoo-Palast im Rahmen einer Special Gala zur Weltpremiere (und in Österreich bereits Ende dieser Woche ins Kino) kommen wird, ist eine Überraschung: Einen derart wuchtigen, ebenso bildgewaltigen wie gewalttätigen Heimatfilm hat Österreich noch nicht gesehen. Andreas Prochaska heißt der Regisseur, der "Das finstere Tal“ in den Südtiroler Alpen, bei Wintertemperaturen von bis zu minus 25 Grad inszeniert hat. Er gehört - nach Erfolgsproduktionen wie dem Teenager-Schocker "In 3 Tagen bist du tot“ (2006) und der Komödie "Die unabsichtliche Entführung der Frau Ott“ (2010) - zu den wenigen Menschen dieses Landes, die mit Genre-Material unprätentiös zu hantieren verstehen.

Die Ernsthaftigkeit, die sein Film besitze, sagt Prochaska im profil-Gespräch, "brachte schon Thomas Willmanns Roman ein“, auf dem "Das finstere Tal“ basiert. Aber es gehe ihm in seiner Arbeit grundsätzlich darum, "im Ton des jeweiligen Genres zu bleiben“. Gegen den Strom schwimme er als Wiener Regisseur nicht bewusst. "Ich hab’ mich immer als Soloschwimmer wahrgenommen - auch weil ich im österreichischen Film keine wirklichen Ströme sehe.“ Er versuche, "das Vakuum zwischen Komödie und Arthousefilm zu füllen“. Ein Western-Spezialist sei er im Übrigen nicht: "Ich suche nach Geschichten, die mich interessieren, und sehe mir dann alles an, was mich in der Arbeit daran bereichern könnte: Das waren im aktuellen Fall weniger Western, eher Arbeiten wie, Drive‘ oder, Shame‘, Werke mit psychisch zerrissenen Hauptfiguren - oder auch der Jesse-James-Film von Andrew Dominik

Kaum Spielraum
Tobias Moretti spielt in "Das finstere Tal“, einem bis in die kleinsten Parts glänzend besetzten Film, eine denkwürdige Schurkenrolle. Gegen ihn gesetzt agiert der junge Brite Sam Riley; er sei für Prochaska "die einzige Option“ gewesen. "Ich hatte jemanden gesucht, der wie Alain Delon als, Eiskalter Engel‘ aussah; ich fand ein Foto von Sam im Netz - und dann fiel mir ein, dass er die Hauptrolle in dem Joy-Division-Film, Control‘ gespielt hatte. Damit war die Spur gelegt.“ Strapaziös war der Dreh trotz allem, die Schrecken des Eises und der Finsternis taten ihre Wirkung. "Wenn man über 30 Tage lang draußen arbeitet, ist man den Elementen schutzlos ausgeliefert. Jeder Tag, den man bei derart klirrenden Temperaturen und wenigen Stunden Tageslicht gut über die Runden bringt, ist ein glücklicher Tag. So hatten wir trotz guten Budgets kaum Spielraum. Wenn plötzlich ein Meter Neuschnee gefallen wäre, hätten wir einpacken können.“

„Heiße Luft”
"Das finstere Tal“ hat eine sehr physische, auch handwerkliche Qualität; Prochaska legt Wert auf Vorbereitung und intensive Proben. "Körperliche Arbeit muss trainiert werden. Meine Darsteller mussten wissen, was sie tun, wie man Bäume fällt, wie man am Bauernhof arbeitet - sonst stehen bloß Schauspieler in Kostümen in der Gegend herum.“ Es habe schon nach "In 3 Tagen bist du tot“ Gespräche mit US-Produzenten gegeben, verrät Prochaska: "Ich hatte amerikanische Agenten, habe viele Drehbücher gelesen, natürlich nur Horrorfilme, aber die meisten waren schlecht, und die guten sind zum Teil bis heute nicht realisiert worden.“ Man brauche da "langen Atem“, es werde "unheimlich viel heiße Luft produziert“. Und: "Es ist nicht unbedingt mein größtes Interesse, in Hollywood irgendeinen Schmarrn zu drehen.“ Ein Hintertürchen lässt er sich naturgemäß offen: Sollte sich irgendwann doch "etwas Spannendes“ ergeben, er "würde sicher nicht nein sagen“.

Wie man sich international etabliert, hat Andreas Prochaska als Cutter einst bei einem Großen gelernt: Die Arbeit mit Michael Haneke sei "spannend“ gewesen, vor allem "von seiner Genauigkeit und Hartnäckigkeit“ habe er profitiert.

Präzision und Eigensinn kann man auch der Österreicherin Sudabeh Mortezai unterstellen, die es mit ihrem Spielfilmdebüt gleich ins Rennen um den Goldenen Bären geschafft hat: Am Freitag dieser Woche wird "Macondo“, bis dahin streng geheim gehalten, als einer der letzten diesjährigen Wettbewerbsbeiträge uraufgeführt werden. So überraschend schon die Wahl der international bislang kaum bekannten Filmemacherin anmutet: Ersten Berliner Spekulationen zufolge zähle man "Macondo“ bereits vorab zum inneren Kreis der Bären-Favoriten - was sicher auch am politischen (und daher traditionell Berlinale-tauglichen) Sujet liegt: Ein tschetschenischer Elfjähriger hat sich in einem Wiener Vorort nicht nur um seine Mutter und zwei Schwestern zu kümmern, sondern auch mit der Erinnerung an seinen toten Vater zurechtzukommen. Es wird noch spannend in Berlin.