Ingrid Brodnig
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#brodnig: Lehnt euch auf!

Die Top-Managerin Sheryl Sandberg verlässt Facebook – dieses Jahr zeigt, dass ihre Ideen zur Gleichstellung wenig brachten.

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Eine der wichtigsten Frauen im Silicon Valley verlässt das Unternehmen, das sie 14 Jahre lang mitgeformt hat: Top-Managerin Sheryl Sandberg tritt zurück bei Meta (dem Konzern, dem Facebook gehört). Sandberg ist aber nicht nur dafür bekannt, das werbebasierte Geschäftsmodell bei Facebook geprägt zu haben: Sie publizierte 2013 das berühmte Buch „Lean In“, das Frauen rät, im Berufsleben stärker für sich einzutreten. Das Buch war ökonomisch ein Erfolg – aber es wurde auch von Beginn an als unrealistische Anleitung einer privilegierten Frau kritisiert.

Sandberg hat in Harvard studiert, das Buch erschien wenige Monate, bevor sie eine der jüngsten Milliardärinnen der Welt wurde. Es ist vergleichsweise leicht, „Lean In“ zu fordern, wenn man in der eigenen Kindererziehung oder im Haushalt viel mit Geld kompensieren kann. Oder wie die „New York Times“ den Kritikpunkt formulierte: Eine Top-Juristin kann womöglich gleich mehrere Nannys anheuern, um mehrere Nächte in ihrem Job durchzuarbeiten und so eine Beförderung zu bekommen, aber das löst nicht das gesellschaftliche Problem fehlender Kinderbetreuungsplätze.
 

In unserer Gesellschaft wird uns häufig suggeriert: Du musst dich nur genügend anstrengen, dich genügend verbessern, dann kannst du Problem XYZ (zum Beispiel die fehlende Gleichstellung) selbst beheben. Doch oft ist das ein Trugschluss. Fairerweise muss man sagen: Nachdem Sandbergs Mann im Jahr 2015 gestorben war, räumte sie selbst ein, dass sie der schwierigen finanziellen Situation von Alleinerziehenden zuvor zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Es ist gut, dass Sandberg das selbst anmerkte.

Gerade im Jahr 2022 sieht man, wie gefährdet hart erkämpfte Frauenrechte sind: So muss man damit rechnen, dass der mehrheitlich konservativ besetzte US Supreme Court das Recht auf Abtreibung in den Vereinigten Staaten massiv schwächen wird. Wohlhabende Frauen können dann zwar in ein Flugzeug steigen und in einen progressiveren Bundesstaat reisen, wo Schwangerschaftsabbrüche weiter erlaubt sind. Aber ärmere ungewollt Schwangere werden in ihrer Selbstbestimmung wahrscheinlich massiv eingeschränkt werden.

Die Antwort auf viele gesellschaftliche Fragen ist also kein individuelles „Lean In“, sondern ein kollektives „Lehnt euch auf!“ gegen eine Gesellschaft, die Frauen vorgaukelt, die Situation wäre besser und gleichberechtigter, als sie es in Wirklichkeit ist.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.