Kolumne

#brodnig: Wie Elon Musk im Feed landete

Hat der Milliardär Twitter so umprogrammieren lassen, dass seine Tweets möglichst vielen Menschen angezeigt werden? Ein renommiertes Medium berichtet das – und löst weltweit Sorge aus.

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In den USA gibt es ein gut informiertes Medium namens „Platformer“, welches immer wieder Einblick in die turbulenten Geschehnisse bei Twitter unter der Führung von Elon Musk gibt. Nun berichtete diese Redaktion, dass sich Musk anscheinend sehr darüber ärgere, dass seine Tweets nicht genügend Menschen angezeigt werden. Daraufhin soll sein technisches Team sogar die Software von Twitter verändert haben – sodass die Tweets von Elon Musk sichtbarer sind als die Tweets aller anderen. Laut dem Medienbericht werde die Funktion „power user multiplier“ genannt. Sie soll die Sichtbarkeit der Tweets um den Faktor 1000 vergrößert haben. Dieser Bericht sorgte weltweit für Aufsehen. Viele User:innen machten dazu passende Erfahrungen: Sie bekamen in der letzten Zeit überraschend viele Posts des Milliardärs eingeblendet.

Auf Twitter gibt es zwei Feeds, erstens, eine chronologisch gereihte Sortierfunktion, bei der man Tweets von den selbst abonnierten Kanälen sieht. Zweitens eine „Für dich“-Seite, bei der einem ein Algorithmus auch Tweets von Kanälen einblendet, denen man nicht folgt. Auch meine „Für dich“-Seite bietet seit Kurzem intensiven Einblick in die Gedankenwelt von Elon Musk. Am Dienstag vergangener Woche war es so2gar so, dass die ersten sechs Tweets, die mir angezeigt wurden, alle von ihm stammten. Erst danach konnte ich andere User:innen sehen. Elon Musk allerdings widerspricht diesem Medienbericht mittlerweile. Er sagt, es handelt sich hier nicht um ein geplantes Feature, sondern um einen „Bug“, also ein unbeabsichtigter Fehler sei passiert. Die Streitfrage ist also: Hat Elon Musk seine Macht als Eigentümer dafür genutzt, dass seine eigenen Tweets viel sichtbarer sind als von anderen – oder passierte hier wirklich nur ein technischer Fehler?

Ich persönlich bin gespannt, was hier weitere journalistische Recherchen zutage bringen. Die Journalist:innen des Mediums „Platformer“ sind üblicherweise exzellent vernetzt, sie werden von vielen Insidern informiert, die tatsächlich bei Twitter oder anderen Technik-Unternehmen arbeiten. Gleichzeitig ist aber auch ein technischer Fehler seitens Twitter meines Erachtens grundsätzlich vorstellbar: Denn Elon Musk hat so viele Mitarbeiter:innen gefeuert, dass man damit rechnen muss, dass diese Site immer mehr technische Probleme hat. Auf jeden Fall verdeutlicht diese Debatte, wie instabil Twitter unter der Führung von Musk geworden ist.

Egal, ob es ein technischer Fehler oder pure Absicht war: Für viele User:innen ist das nervig, wenn ihr Feed plötzlich mit Elon-Musk-Content zugeflutet ist. Viele von uns sind nicht vorrangig auf Twitter, um jede verbale Regung dieses Mannes mitverfolgen zu dürfen. Und anmerken muss ich an dieser Stelle: Sollte Musk wirklich absichtlich Twitter umprogrammieren haben lassen, um seine Tweets überdurchschnittlich sichtbar zu machen, dann wäre das ein Alarmsignal für uns als Gesellschaft. Denn Twitter ist in vielen Wahlkämpfen sehr wichtig: Politiker:innen machen dort Ansagen, sie versuchen, ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten.

Falls es wirklich eine Funktion namens „power user multiplier“ gibt, von der Elon Musk bisher als Einziger profitiert, dann würde das ein enormes Missbrauchspotenzial bergen. Zum Beispiel unterstützt der Twitter-Eigentümer ja die republikanische Partei. Wer garantiert, dass Elon Musk im US-amerikanischen Wahlkampf nicht auch die Funktion des „power user multiplier“ nutzt, um Republikanische Kandidat:innen besonders sichtbar zu machen? Wie gesagt, Musk dementiert diesen Medienbericht, wonach es dieses neue Tool zur Steigerung der Reichweite gibt. Aber auch grundsätzlich müssen wir uns bewusst sein, dass Social-Media-Unternehmen technisch in der Lage sind, solche Tools zu entwickeln. Sie haben die Macht, politische Kandidat:innen besonders sichtbar (oder wenig sichtbar) zu machen. Das ist schon lange ein großes Thema, doch gerade, seitdem der impulsive Milliardär Musk Twitter übernommen hat, hat sich diese Sorge vergrößert.

Übrigens gibt es weiterhin Fans, die dem Unternehmer begeistert zuklatschen und meinen: Es wäre auch sein gutes Recht, als Eigentümer der Plattform damit anzustellen, was er will. Dem muss ich vehement widersprechen. Nein: In der EU gibt es rechtliche Auflagen für sehr große Online-Dienste. Erst kürzlich hat die Europäische Union den „Digital Services Act“ eingeführt, und für Plattformen mit mehr als 45 Millionen User:innen gibt es strenge Auflagen. Twitter gibt an, im Schnitt 100,9 Millionen monatliche Nutzer:innen zu haben, und fällt damit ebenfalls in diese Kategorie. Solche sehr großen Plattformen müssen zum Beispiel eine Risikobewertung abgeben, wie ihre Software gesellschaftliche Risiken verschärft. Die Frage, ob es das Feature „power user multiplier“ gibt, könnte hier Thema werden. Gerade bei Plattformen, die Einfluss auf Wahlen haben können, müssen wir als Gesellschaft streng hinschauen. Unternehmerische Freiheiten werden auch in der EU rechtlich oft dort begrenzt, wo es ein gesellschaftliches Schutzbedürfnis gibt. Und eine akute Frage lautet: Sollten wir geschützt werden vor dem, was Elon Musk mit seiner Plattform vorhat?

Was denken Sie darüber? Schreiben Sie mir unter [email protected] 

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Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.