Die Torleute Patrick Pentz und Mirko Kos (r.) während eines Kleingruppentrainings des Fußball-Bundesliga-Klubs FK Austria Wien
Bundesliga während Corona: Überlebenskampf statt Fußball-Show

Bundesliga: Überlebenskampf statt Fußball-Show

Der Ball darf wieder rollen, die österreichische Bundesliga wird fortgesetzt. Die Erleichterung bei den Klubs ist groß, doch der Neustart birgt wenig abschätzbare Risiken.

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Bunte Werbeeinschaltungen wird es zum Liga-Start wohl nicht geben. Geisterspiele in Altach, Wolfsberg – und selbst in Wien, Salzburg und Linz – können nur schwer authentisch angepriesen und als Fußballfeste verkauft werden. Geisterspiele waren in der Fußballwelt vor Corona eine strenge Maßnahme im Strafenkatalog der Ligen und Verbände. Und sie waren die ersten Boten vor der geschichtsträchtigen Schließung des öffentlichen Lebens. Noch gut in Erinnerung: LASK gegen Manchester United. Das Spiel zeigte die Trostlosigkeit eines vermeintlichen Klassikers. Und es machte deutlich, dass 22 Männer, die einem Ball hinterherjagen die Stimmung auf den Rängen nicht kompensieren können. Das vereinzelt wahrnehmbare Keuchen, Schreien und Jammern der Kicker erinnerte an Dorfplatz-Fußball, nichts deutete auf den Auftritt eines Weltklubs beim österreichischen Tabellenführer hin.

Bundesligaklubs kämpfen ums Überleben

Vor zwei Monaten gefürchtet, werden Geisterspiele nun herbeigesehnt. Jedenfalls von Klubvertretern und Liga-Verantwortlichen, die keine andere Wahl haben, wollen sie ihren Betrieben das Überleben sichern. Dem romantischen Fußballliebhaber mag es ein Gräuel sein, aber Rapid, Austria & Co. müssen derzeit öffentlich ungeniert als Unternehmen agieren und nicht als Fußballvereine. Es geht um Sponsoren- und Fernsehgelder, die gesichert werden müssen, während Zuschauereinnahmen und andere Erlöse ohnehin weg bröseln. Auch nach dem Ligastart würde es bloß um eine Reduzierung der Verluste gehen. Die Bundesligaklubs kämpfen ums Überleben, nicht um die Gunst romantisierender Anhänger.

Die Problem-Vielfalt ist auch abseits der ungeliebten Geisterspiele groß. An erster Stelle: die Gesundheit. Was dem Theaterschauspieler die Kussszene ist dem Profifußballer der Zweikampf – eine zur standesgemäßen Berufsausübung notwendige Handlung, die in Corona-Zeiten aber berechtigterweise verpönt ist. Künftig werden Profifußballer in Österreich wieder miteinander ringen, rangeln, einander decken und berühren. Während gemeinsame Jubeltrauben, Umarmungen und jegliche Zärtlichkeit künftig nicht vollführt werden dürfen, gehören Brutalität oder jedenfalls „gesunde Härte“ unersetzlich zum Geschäft. Deshalb wurde zwischen Regierungs- und Liga-Vertretern intensiv verhandelt. Noch vor wenigen Tagen lehnte Gesundheitsminister Rudolf Anschober das Hygiene- und Präventivkonzept der Bundesliga ab, weil in diesem bloß eine Isolierung des infizierten Spielers vorgesehen war. Anschober befürwortete die Quarantäne für den Infizierten, dessen Mannschaft und jene des Gegners – was aber schnell zu einem erneuten Liga-Abbruch geführt hätte. Sprich: Die Bundesliga-Klubs wären bei einzelnen Corona-Infizierten vor dem Super-Gau gestanden und bei einem erneuten Abbruch neben ohnehin verbuchter Verluste auch auf den Kosten für das aufwändige Hochfahren des Spielbetriebs sitzengeblieben.

Parallelgesellschaft Fußballliga

Nun hat man sich auf das deutsche Modell geeinigt: Nur der infizierte Spieler muss in Quarantäne. Der Rest soll sich zwar anschließend im Eigenheim verbarrikadieren, aber an Trainingseinheiten und Spielen teilnehmen. Gesundheitsminister Anschober hat sich vom Hygiene- und Präventivkonzept der Bundesliga überzeugen lassen. Es sprach nun nicht mehr von „Privilegien“ für den Fußball, sondern von einem „Modellversuch“ mit Mehrwert für die Gesellschaft. Die Idee dahinter: Die Beteiligten an der Fußballliga bilden künftig eine Parallelgesellschaft, die wissenschaftlich begleitet wird und Erkenntnisse für den Mannschaftssport liefern soll. Die Spieler werden regelmäßig getestet, nur Nicht-Infizierte dürfen an den Meisterschaftsbegegnungen teilnehmen.

Klingt nach einem durchführbaren Plan, wäre da nicht der Fall des deutschen Zweitligisten Dynamo Dresden. Dort wurde ein Covid-19-infizierter Spieler in Quarantäne geschickt, vier Tage später war keiner seiner Kollegen positiv. Zwei Tage darauf ergab eine Testung jedoch erneut zwei Covid-19-Fälle. Auf „Spiegel online“ wurde auf die Problematik bei Corona-Tests hingewiesen: „Er schlägt in der Regel nicht direkt an, wenn ein Mensch infiziert ist, sondern erst wenn er auf genügend Viruslast stößt. Durch die zeitlichen Verschiebungen kann es auch in der Bundesliga mit ihren vielen Tests vorkommen, dass ein Spieler an einem Mannschaftstraining teilnimmt, obwohl er längst positiv ist.“ Sprich: Das beste Präventivkonzept kann das Restrisiko eines erneuten Abbruchs nicht verhindern. In Belgien, Holland und Frankreich wurden die Ligen vorsichtshalber abgebrochen. Auch in Österreich wäre das denkbar und aus sportlicher Sicht nicht einmal unfair gewesen. Alle Klubs haben genau zweimal gegeneinander gespielt, was ein sauberes Bild ergeben würde. Die Fernsehgelder hätte man dadurch jedoch abschreiben müssen.

Am Wochenende startet die Deutsche Bundesliga, Anfang Juni zieht der österreichische Fußball nach. Die Vorfreude bei den Protagonisten ist groß. Seit Tagen wird betont, wie toll der Neustart werden könnte. Kurz wurde die Aufbruch-Stimmung durch den Hertha BSC-Spieler Salomon Kalou gestört, der ein Facebook-Video online stellte, auf dem er beim Händeschütteln mit Mitspielern zu sehen war und Abstandsregeln missachtet wurden. In einem Umfeld das auf Draufgänger-Gehabe gepolt ist und nicht auf die Zurschaustellung von Vernunft, Vorsicht, Fürsorge oder Ängstlichkeit, muss das Verhalten von Kalou kein Einzelfall gewesen sein.

Und selbst wenn alle Spieler brav jede Regel befolgen und die Testungen den Betrieb sichern: Wie wird das grob veränderte Produkt bei den Rezipienten, den Fans, die seit jeher die Marktstellung des Fußballs regeln, ankommen? Hohe Fernsehquoten sind vor allem anfangs ebenso realistisch wie eine schnell einsetzende Fadesse.

Sprung ins kalte Wasser

Fangruppen haben sich im Vorfeld gegen Spiele ohne Zuschauer ausgesprochen. In Deutschland überlegen Fernsehstationen Gesänge und Jubelchöre einzuspielen, was bei österreichischen Partien schnell lächerlich wirken könnte. Begegnungen zwischen Mattersburg und Altach oder WAC und Hartberg sind selbst vor ein paar tausend Zuschauern kein optischer Leckerbissen für Fernsehmacher und Fans. Wenn LASK gegen Manchester United und gar Champions League-Spiele ohne Publikum Trostlosigkeit vermittelten, warum sollen selbst heimische Hochglanz-Partien wie Salzburg gegen Rapid auf Dauer gänzlich andere Reaktionen hervorrufen?

Die Fußballligen stehen vor einem Sprung ins kalte Wasser: Der Neustart während der Pandemie könnte ihnen das Überleben sichern. Er könnte das Produkt Fußball bei Liebhabern aber auch beschädigen und bei hohen Infizierten-Zahlen gar gesellschaftlich in Verruf bringen.