Ein Bagger rodet einen Weingarten in Bordeaux
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Die große Wein-Krise, ihre Ursachen und Nebenwirkungen

Der europäische Weinmarkt liegt darnieder, Angebot und Nachfrage passen schon lange nicht mehr zusammen. Weingüter geben auf, Weingärten werden gerodet, Millionen Liter Wein zu Industriealkohol verfuselt. Auch in Österreich ist die Lage prekär – aber nicht aussichtslos.

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Im Spätherbst, wenn die Weinlese vorbei ist, beginnt für Winzer die eilige Zeit. Die Ernte ist im Keller, der Wein reift, jetzt können sie endlich rennen, reden, raufen. Um Kunden, Märkte, Zielgruppen. Ein typisches langes Novemberwochenende, am Beispiel der niederösterreichischen Winzerin Dorli Muhr: Weinmesse in Wien (Freitag und Samstag), Weingutstermine am Sonntag, Sommelier-Verkostung am Montagmittag, Winzerdinner am Montagabend, profil-Interview zwischendurch. „Und davor war ich drei Wochen lang ununterbrochen auf Achse – in Frankreich, in der Schweiz, in Moskau, in Berlin.“ Es hilft halt nichts: „Man muss kommunizieren, was man tut, man muss erzählen, wer man ist und welche Geschichte die Weine haben, die man macht. Das kann harte Arbeit sein, ist aber unerlässlich.“

Wein-Konsum massiv gesunken

Im Herbst 2025 hat diese Vorgabe eine besondere Dringlichkeit. Denn der Weinmarkt steckt – weltweit – in einer Krise. Der globale Konsum befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit 1961, mit weiterhin deutlich fallender Tendenz. In den europäischen Hauptmärkten Frankreich, Italien, Spanien und Portugal hat sich der Weinkonsum seit 1970 beinahe halbiert – bei einem Bevölkerungszuwachs von gut 30 Prozent. Auch in Deutschland geht der Absatz seit Jahren zurück, zuletzt um über fünf Prozent. Die Weinbauministerin des größten deutschen Weinbaugebiets Rheinland-Pfalz, Daniela Schmitt, sprach zuletzt von einer „existenziellen Krise“ und meinte: „Wir werden eine massive Marktbereinigung bekommen. 20 bis 30 Prozent der Betriebe werden verschwinden, einige ganz still.“ Millionen Hektoliter gehen europaweit in die sogenannte Krisendestillation, bei der unverkäuflicher Wein zu Industriealkohol gebrannt wird. Auch im französischen Parade-Rotweingebiet Bordeaux rasseln die Preise in den Keller, für weniger renommierte Chateaux erweisen sich inzwischen ganze Jahrgänge als unverkäuflich. Paris unterstützt die Rodung von Rebflächen deshalb bereits mit Ausfallsförderungen, weshalb das Gebiet – mit einer Rebfläche von rund 100.000 Hektar immer noch mehr als doppelt so groß wie der gesamte österreichische Weinbau – innerhalb der letzten drei Jahre um gut 20 Prozent geschrumpft ist.

Der globale Konsum befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit 1961, mit weiterhin deutlich fallender Tendenz. In den europäischen Hauptmärkten Frankreich, Italien, Spanien und Portugal hat sich der Weinkonsum seit 1970 beinahe halbiert – bei einem Bevölkerungszuwachs von gut 30 Prozent. 

Ganz so dramatisch ist die Situation in Österreich noch nicht, aber: Die Krise ist auch hier deutlich spürbar. In den ersten drei Quartalen 2025 registrierte die Österreichische Weinmarketing-Gesellschaft ÖWM einen mengenmäßigen Rückgang im Einzelhandel von 5,2 Prozent (bei einem Umsatz-Minus von 2,5 Prozent) und: „Auch beim Export werden wir heuer mit Verlusten rechnen müssen, wahrscheinlich im mittleren bis höheren einstelligen Prozentbereich. Das liegt unter anderem am sehr kleinen Jahrgang 2024, der fast 20 Prozent unter dem Durchschnitt lag. Darüber hinaus ist auch die allgemeine Situation im Welthandel – Stichworte: schwächelndes Deutschland, US-Zölle – für unsere Weinexporte nicht förderlich“, erklärt ÖWM-Geschäftsführer Chris Yorke, dessen Fazit kurz lautet: „Die österreichische Weinwirtschaft ist in einer schwierigen Situation.“ Österreichs Weinbauverband schickte seinerseits gerade ein Forderungspapier samt dringender Förderanliegen an den Landwirtschaftsminister, denn „die heimischen Betreibe stehen unter massivem Druck“.

Schon seit gut zwei Jahrzehnten wird weltweit deutlich mehr Wein produziert als konsumiert. Weil das Weinbusiness ein langsam drehendes Geschäft ist – zwischen Produktion und Konsum vergehen oft mehrere Jahre –, schlug diese Schieflage sehr lange nicht sichtbar durch.

Das kann Dorli Muhr einerseits bestätigen, andererseits: „Wahrscheinlich wird das Jahr 2025 ökonomisch das beste Jahr meiner Geschichte sein.“ Das hängt mit der unermüdlichen PR-Arbeit der Winzerin zusammen, siehe oben, aber auch mit ihrem Angebot. Muhr, Winzerin in Prellenkirchen, keltert aus ihren Lagen am Spitzerberg hochklassige und höchstbewertete Rotweine, die auch preislich in der Topliga spielen. Eine Flasche ihres Top-Blaufränkisch Spitzerberg-Obere Spitzer kostet ab Hof 120 Euro. Absatzprobleme? Aber woher! Zweites Aber: „Ich glaube, dass das paradoxerweise sogar symptomatisch ist für diese Krise.“

Gastro-Krise verschärft Wein-Flaute

Denn sie ist eben vor allem eine Volumenskrise. Schon seit gut zwei Jahrzehnten wird weltweit deutlich mehr Wein produziert als konsumiert. Weil das Weinbusiness ein langsam drehendes Geschäft ist – zwischen Produktion und Konsum vergehen oft mehrere Jahre –, schlug diese Schieflage sehr lange nicht sichtbar durch. Dann brachte Covid die Statistik noch einmal zusätzlich durcheinander, damals ging der Gastronomie-Umsatz – in Österreich der wichtigste Absatzkanal für die Winzerschaft – zunächst gegen null und schnalzte 2022 mit sensationellen Verkäufen zurück. Muhr: „Und dann ist die Inflation samt Gastro-Krise gekommen, die Händler sind auf ihren Investitionen wieder sitzen geblieben und 2024 im Einkauf dann plötzlich extrem zurückhaltend gewesen. Das war das absolute Krisenjahr. Und inzwischen liegt einfach extrem viel Wein in den Lagern.“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur. Ist seit 2020 Textchef und seit 2025 stellvertretender Chefredakteur dieses Magazins.