Die Komik der Empörung: Vince Ebert und der Kabarett-Kulturkampf
Der deutsche Comedian Vince Ebert erreicht mit seiner satirischen Kritik an wokem Zeitgeist und politischem Personal ein Millionenpublikum. Wie wurde das Kabarett zur Kulturkampf-Zone?
Vince Ebert nickt, zuerst nur halb begeistert, mit zunehmendem Nicken aber rasch komplett überzeugt. Ja, er findet das T-Shirt, das er für das profil-Fotoshooting anziehen soll, eigentlich „super“, ja „richtig klasse“. Auf dem Shirt steht „What a Skandal!“, damit kann er sich identifizieren, und er macht ja auch gern jeden Blödsinn mit, er ist da ganz locker, unkompliziert, er ist nämlich gar nicht so.
Und er ist damit gerade ziemlich erfolgreich. Auf dem Weg zum Fototermin hat Ebert erzählt, dass sich kürzlich die Talkshow-Redaktion von Sandra Maischberger bei ihm gemeldet habe und Markus Lanz auch, Letzterer am kurzen Dienstweg per SMS, man kennt einander von früher. Lanz habe in seiner Show ja eigentlich ein Comedian-Embargo, aber Ebert soll trotzdem in die Sendung kommen, „weil Markus das Buch so gut und wichtig findet“.
Dieses Buch heißt „Wot Se Fack, Deutschland?“ und ist gleich ganz oben in die Bestsellerlisten eingestiegen. Es trifft einen Nerv, wohl weil es zwei Fliegen mit einer Klappe erschlägt: Humor und Gesellschaftskritik. Diese Paarung ist nicht ganz neu, aber in ihrer aktuellen Formation doch reichlich anders als im traditionellen, tendenziell linksliberalen Polit-Kabarett. Man macht sich über die da oben lustig und findet das in Wirklichkeit gar nicht komisch. Man lacht über Minderheiten, die eine Mehrheitsgesellschaft gängeln. Man grinst mit gefletschten Zähnen.
Für mich gibt es dabei eigentlich nur zwei Einschränkungen: Aufruf zum Verbrechen und Verleumdung. Alles andere ist für mich legitim, auch wenn es wehtut.
Vince Ebert
Dazu ein klassischer Ebert, Thema Diversity: „Ganz ehrlich: Sollte bei mir ein Feuer ausbrechen: Ohne eine transsexuelle syrische Rollstuhlfahrerin kommt mir die Feuerwehr nicht ins brennende Haus.“
In der deutschsprachigen Comedy wird gerade ein Kulturkampf ausgetragen. Prominente Kabarettistinnen und Satiriker agitieren auf Showbühnen, in Podcasts oder Talkshows gegen den linken, genauer, den „woken“ Zeitgeist und machen ihn für das Elend der westlichen Welt verantwortlich.
Vince Ebert formuliert es in „Wot Se Fack, Deutschland?“ so: „Es ist ein Kulturkampf, den wir gerade erleben. Und dieser Kampf ist kein Kampf zwischen linken oder rechten Positionen. Es ist ein Kampf zwischen klarem Realitätssinn und weltfremdem Wunschdenken.“
Der Pfad der Vernunft
Zur näheren Erläuterung bietet Ebert ein Potpourri zeitgenössischer Kuriositäten auf, erfolgreiche Schadenersatzforderungen wegen falsch verwendeter Personalpronomen zum Beispiel, eine Anti-Kolonialismus-Ausstellung, die keine weißen Besucher zulässt, oder eine Frau, die sich im Frühstücksfernsehen als „transbehindert“ outet und deshalb freiwillig im Rollstuhl sitzt. Daran knüpft der Autor Beobachtungen über die deutsche Industrie- und Wirtschaftskrise, verwahrloste Innenstädte und marode Schulen. Seine zentrale These: Wir haben den Pfad der Vernunft verlassen, weil wir bei der Identitätspolitik falsch abgebogen sind. Im Interview mit der Schweizer „Weltwoche“ wurde Ebert kürzlich noch deutlicher: „Die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt, die Migrationsdebatte tabuisiert, biologische Tatsachen wie die Existenz zweier Geschlechter negiert oder relativiert. Rationalität, Evidenz, Humanismus – die Säulen unserer aufgeklärten westlichen Gesellschaft – werden systematisch abgewickelt.“
„Fast jeder spürt, dass etwas aus dem Lot geraten ist“, schreibt Ebert in „Wot Se Fack“, was zwar eher eine gefühlte Wahrheit als eine wissenschaftliche Beweisführung darstellt, aber das Gefühl, immerhin, kennt wirklich jeder, egal in welchem Bereich des politischen Spektrums er oder sie sich gerade befindet.
Die Schlussfolgerung, die Ebert zieht, ist genauso mehrheitsfähig: „Eine Gesellschaft, die glaubt, keine gemeinsamen Probleme und Ziele mehr zu haben, richtet ihre Energien und Aggressionen nach innen. Und bauscht so vollkommen normale Meinungsunterschiede zu radikalen Freund-Feind-Bildern auf.“
Allerdings wird eben dies in seinem Buch – und seiner Branche – zum Grundprinzip erhoben. Die Kulturkampf-Comedy triggert sich durch die Weltgeschichte und entwirft eine satirisch gefärbte, aber ernst gemeinte Kampagne gegen verengte Meinungskorridore und politische Moralapostel.
„Es ist ein Kulturkampf, den wir gerade erleben. Und dieser Kampf ist kein Kampf zwischen linken oder rechten Positionen. Es ist ein Kampf zwischen klarem Realitätssinn und weltfremdem Wunschdenken.“
Das dominante Role Model dafür heißt im deutschen Sprachraum Dieter Nuhr. Der Kabarettist aus Nordrhein-Westfalen provoziert seine Gegner schon seit einigen Jahren mit kalkulierten Grenzüberschreitungen in gesellschaftlichen Reizthemen: Klimakleber, Gender-Wahnsinn, kulturelle Aneignung. Es spricht ein „gesunder Menschenverstand“ aus seinen Programmen, der wohl in den 1980er-Jahren sozialisiert wurde, als man vieles noch sagen durfte, was man heute nicht mehr sagt, außer natürlich, man legt es auf Provokation an. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die österreichische Autorin und Kabarettistin Lisa Eckhart, die die Grenzen des Sagbaren mit koketter Künstlichkeit austestet.
Totalitäre Systeme
Im nichtsatirischen Gespräch versichert Nuhr, dass er gewiss keine rechtspopulistischen Hintergedanken hege und der AfD-Propaganda ganz und gar nicht in die Hand spielen möchte. In der Rahmenhandlung vieler seiner Gags, nämlich der Erzählung, dass Europa von einer linksgrünen Elite für blöd verkauft wird, macht er aber eben doch genau dies. Etwa wenn er sich – angesichts vermeintlicher Sprechverbote oder amtlicher Diskurseinschränkungen – an die Sprachpolizei totalitärer Systeme erinnert fühlt.
Auch Ebert kennt diesen Gedanken: „Für mich steht diese ganze Wokeness für eine tiefere Entwicklung“, erklärt er im profil-Gespräch: „Gendern ist für mich nicht deswegen problematisch, weil es sich vielleicht blöd anhört oder weil es grammatikalisch schwer vermittelbar wäre, sondern weil es ein sehr subtiles Mittel ist, um Menschen schon von der Sprache her einzuordnen. Wenn einer gendert, ist er auf dieser Seite, wenn er nicht gendert, ist er auf der anderen. Wegen dieser Überpolitisierung von Sprache wird man mit jeder kleinen Äußerung sofort in eine Ecke gestellt. Ich sage nicht, dass wir in einem totalitären System leben, aber alle totalitären Systeme haben versucht, über Sprache, über Sprachumbauten oder Sprachverschiebungen, die Menschen geistig auf Linie zu bringen. Und das ist für mich der eigentliche Kern, weshalb ich diese Themen behandle.“
Ebert, Jahrgang 1968, stammt aus Unterfranken, lebt in Wien – seine Frau ist Österreicherin – und ist seit den späten 1990er-Jahren, nach Stationen in der Berater- und Werbebranche, als Kabarettist tätig. Seine frühen Comedy-Programme „Physik ist sexy“ oder „Denken lohnt sich“, die er zusammen mit Eckart von Hirschhausen entwickelte, machten ihn überregional bekannt, seine langjährige Tätigkeit als Wissenschaftserklärer in der ARD-Sendung „Wissen vor Acht“ endgültig prominent, seine Bücher haben sich hunderttausendfach verkauft und ihn zu einer tragenden Figur im deutschen Comedy-Betrieb gemacht.
Ich sage nicht, dass wir in einem totalitären System leben, aber alle totalitären Systeme haben versucht, über Sprache, über Sprachumbauten oder Sprachverschiebungen, die Menschen geistig auf Linie zu bringen.
Vince Ebert
Ebert beschreibt einen biografischen Knack- und Wendepunkt, die Geschichte spielt im Frühjahr 2011: Nach dem Tsunami in Japan und der darauffolgenden Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima beschließt die deutsche Bundesregierung einen vorgezogenen Atomausstieg. „Das wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossen, ohne Absprache mit dem Koalitionspartner. Das war von Frau Merkel eindeutig taktisch angelegt. Sie wollte den Grünen damit die politische Deutungshoheit nehmen. Und es war der Beginn einer größeren Entwicklung, nämlich dass die CDU immer mehr linke, grüne Themen behandelt und ihren konservativen Kern eigentlich verlassen hat. Deshalb kam die AfD auf, und dann kam die Flüchtlingskrise, und man ist noch mal stärker in die linksgrüne Ecke gerückt. So ist die Balance zwischen konservativ und progressiv in Deutschland in eine Schieflage geraten.“
Geschichte einer Radikalisierung
Aus dieser Schieflage zieht Vince Ebert Gags und Haltung. Er erzählt, ironisch schmunzelnd, „die Geschichte meiner Radikalisierung“: „Ich habe ja ganz klassisch als Physikerklärer angefangen, ganz ähnlich dem, was heute die Science Busters machen. Das waren mehr oder weniger lustige Physikstunden, ich habe die Relativität erklärt oder warum der Himmel blau ist. Und dann habe ich irgendwann mal das Programm ‚Denken lohnt sich‘ gemacht, in dem ich viel über Wissenschaftsphilosophie erzähle. Was ist die Methode der Wissenschaft? Wie finde ich Wahrheit? Und das habe ich natürlich auch auf gesellschaftspolitische Phänomene übertragen.“
Mit seinem Buch „Lichtblick statt Blackout“ (2022) sei das Kippbild dann komplett gewesen: „Darin habe ich, sehr wissenschaftlich und mit vielen Quellenangaben, versucht zu erklären: Was ist Energie? Wie funktioniert die Energieversorgung? Was ist die Grundlastfähigkeit? Was steht eigentlich im Weltklimabericht? Und so weiter. Aber zu diesem Zeitpunkt war das ein extrem politisches Thema. Auf einmal wurde ich durch dieses Buch zu so einer politischen Figur. Obwohl ich darin eigentlich nur über wissenschaftliche Erkenntnisse oder über Zusammenhänge berichtet habe.“
Er sei dann – auch weil ihm viele Politiker und Wirtschaftstreibende danach im Vertrauen erzählt hätten, welche faulen Kompromisse sie ständig eingehen müssten und welche Distanz oft zwischen tatsächlicher und veröffentlichter Meinung herrsche – „zunehmend nachdenklich und auch frustriert“ gewesen, „weil das politische System in Deutschland nicht mehr funktioniert“.
„Den Leuten, die immer behaupten, in Deutschland könne man doch alles sagen, antworte ich immer: Jeder Pilz ist essbar!“
Auch die bayerische Kabarettistin Monika Gruber hat ihre Variante des Comedy-Kulturkampfs am deutschen Heizungsgesetz entzündet, das im Frühjahr 2023 zu einem Symbol wurde für einen von oben verordneten, politisch nicht vermittelbaren Klimaschutz: Die vom Alltag der Menschen abgekoppelten Grünen zwangen der schweigenden Mehrheit ihre hochpreisige Ideologie auf, da hört sich der Spaß auf. Schließlich auch für Gruber selbst: Anfang 2024 beklagte Gruber, die in den sozialen Medien, ihren Bühnenauftritten, aber auch auf Demonstrationen sehr lautstark gegen die rot-grün-liberale Regierung in Berlin gewettert hatte, dass sie ihren Beruf nicht mehr frei ausüben könne, „ohne gleich des Rechtsextremismus und der Demokratiefeindlichkeit beschuldigt zu werden.“ Sie werde sich deshalb aus dem Comedy-Geschäft zurückziehen.
Gruber, die mit ihren bodenständigen One-Woman-Shows die größten Hallen gefüllt hatte, agiert seither – immer noch sehr öffentlich – als Video-Podcasterin für „Servus-TV“ („Die Gruaberin“). Gerade eben war ihr Kollege Vince Ebert zu Gast. Man war sich weitgehend einig, unter anderem darüber, dass es keine Dragqueen-Auftritte im Schulunterricht brauche und dass die schweigende Mehrheit wieder öfter „Nein!“ sagen solle.
In den tieferen Untiefen der sozialen Medien taucht seit einiger Zeit das Wort „Satire“ gehäuft auf. In einem bestimmten Milieu dient es der provokanten Immunisierung, denn dann steht hinter „Satire!“ gern ein hetzerisches Posting, und wenn sich darüber wer aufregt, wird kokett auf Kunstfreiheit und „War nicht so gemeint!“ verwiesen.
Ist das nicht ein Missbrauch einer hehren Kunstform? Vince Ebert schüttelt den Kopf: „Ich bin ein sehr konsequenter Verfechter der Meinungsfreiheit. Für mich gibt es dabei eigentlich nur zwei Einschränkungen: Aufruf zum Verbrechen und Verleumdung. Alles andere ist für mich legitim, auch wenn es wehtut. Das ist der Deal einer freien Gesellschaft.“