Lara Vadlau segelt, mit einer Unterbrechung, seit sie sieben Jahre alt ist. Im Vorjahr hat sie Olympia-Gold geholt und ist seitdem so etwas wie das Postergirl für eine Randsportart. Dabei hat sie eigentlich sehr viel zu sagen.
Die Croûtons sind tückisch, man muss das einfach so sagen. Gefinkelt haben sie sich hinter den Salatblättern versteckt, manchmal lugen sie auch unter den Putenstreifen hervor, sie sind einfach überall, drunter und drüber und vor allem mittendrin im Mittagessen von Lara Vadlau, aber dummerweise darf sie die nicht essen. Spitzensportler im Training haben fixe Ernährungspläne. Am Anfang hebt sie die unerwünschten Brotkrümel sorgsam heraus und schlichtet sie fein säuberlich am Rande des Untertellers. Doch es sind so viele, die Croûtons sind ziemliche Kretins, es wird ihr zu mühsam, und deswegen wechselt sie die Taktik. Sie isst drumherum, umschifft sie, wie man so sagt, und das passt ganz gut: Die Frau ist nicht umsonst Seglerin, eine ganz passable sogar: 2024 gewann Lara Vadlau mit ihrem Vorschoter Lukas Mähr die Goldmedaille in der 470er-Klasse.
Wir sitzen in der „Gastwirtschaft im Klinikum“, dem Wirtshaus auf dem Gelände des Klinikums Klagenfurt, es ist Dienstag, 15 Uhr, Vadlau trägt einen weißen Kittel, sie ist hier nämlich Ärztin und hat gerade Pause. Seit neun Monaten, also seit kurz nach ihrem Olympiasieg, macht sie ihre Basisausbildung zur Medizinerin. Zurzeit arbeitet sie im Schockraum, schiebt einen 25-Stunden-Dienst nach dem anderen, aber nur so schafft sie es, Ausbildung und Sportkarriere zu vereinbaren. Wenn die Ausbildung fertig ist, wird sie wieder im Sportprogramm des Bundesheeres stecken – und nur noch segeln. Und wenn Vadlau davon erzählt, merkt man, wie sehr sie sich darauf freut.
Seit sie sieben Jahre alt ist, segelt Lara Vadlau. Ihre Eltern hatten sie dazu gebracht, und zwar, weil ihr „Mitfahren allein einfach zu langweilig war. Ich bin ein Adrenalinjunkie, ich brauche Herausforderung, sonst interessiert es mich nicht.“ Sie dürfte das ganz gut gemacht haben, sie durchlief jedenfalls alle Altersklassen des österreichischen Segelsports, sie war Jugend-Olympiasiegerin und Doppelweltmeisterin, bevor sie 2016 zu den Olympischen Spielen nach Rio fuhr. Dort war sie gemeinsam mit ihrer Partnerin eine der Favoritinnen auf eine Medaille – und ging dann ziemlich überraschend leer aus. Daraufhin beendete sie ihre Segelkarriere und begann ein Medizinstudium – mit gerade einmal 22 Jahren.
Dass die „Gastwirtschaft im Klinikum“ tatsächlich irgendwie zu einem Krankenhaus gehört, würde man nicht gleich bemerken. Auf den Tischen im Gastgarten stehen wie selbstverständlich Aschenbecher, und sie sind gut genutzt. Es ist ein sonniger Tag, der Garten ist voll, und ganz offensichtlich gehört zur Zigarette ein Bier, und echte Kärntner geben sich nicht mit kleinen Getränken zufrieden, auch nicht im Krankenhaus. Als Spezialität hat die Gastwirtschaft passenderweise ein „Wirtshausbier“ auf der Karte, es wird „nach eigenem, geschütztem Rezept in Puntigam gebraut“. Moment: Puntigam? Graz-Puntigam? Die verkaufen hier im Schatten der Kärntner Traditionsbrauerei „Schleppe“ und einen Steinwurf von Hirt entfernt steirisches Bier? Irgendwas läuft da gravierend falsch im Klagenfurter Krankenhaus, und ich komme erst wieder in die Spur, als ich mich durch meine faschierten Laibchen mit Gemüse und Kartoffelpüree (12,90 Euro) kämpfe: Sie sind so ungewürzt und salzlos, wie es nur Krankenhausessen sein kann.
Ich fahr nicht auf Seen, das ist mir zu langweilig.
Lara Vadlau
Segel-Olympiasiegerin
Lara Vadlau ist das, was man im Boulevard wohl „einen starken Charakter“ nennt. Sie hat einen Plan für ihr Leben, und den setzt sie um. Ziemlich genau so sagt sie das auch, während sie ihre Croûtons umschifft: „Ich bin jemand, der lieber hinterher um Verzeihung bittet, als dass ich vorher um Erlaubnis frage.“ Nach den Spielen von Rio hat sie erst einmal aufs Segeln verzichtet. Fünf Jahre lang stieg sie – bis auf wenige Ausnahmen – in kein Boot: „Ich fahr nicht auf Seen, das ist mir zu langweilig“, sagt sie. Sie studierte stattdessen in Wien und genoss das Leben: „Ich habe auf einmal ein soziales Leben gehabt, ich hab gefeiert, Alkohol getrunken, war auf Partys und habe festgestellt, dass mir das eigentlich auch ganz gut gefällt. Ans Segeln hab ich da keine Minute gedacht, es hat mir wirklich nicht gefehlt.“ Doch als dann die Olympischen Spiele in Tokio kamen und Vadlaus ehemalige Teamkollegin Jolanta Ogar die Silbermedaille holte, merkte sie, dass sie mit dem Segeln doch noch nicht fertig war. Sie suchte sich einen neuen Partner fürs Boot und startete das Projekt Olympia 2024.
Im Boot ist Vadlau die Steuerfrau, das ist für die 470er-Klasse, in der jeweils ein Mann und eine Frau im Boot hocken, ziemlich ungewöhnlich. Um ein Boot bei echtem Wind und meterhohen Wellen zu steuern, braucht man Kraft und Kondition, das ist „echter Sport und kein Hobby für Pensionisten“, sagt sie, und deswegen sind bei den allermeisten Weltklasseteams auch die Männer am Steuer, und die Frauen kümmern sich um die richtige Trimm des Vorsegels. Aber Vadlau will das nicht. In ihrem Boot hält sie das Ruder in der Hand, und dass man das auch im übertragenen Sinn so verstehen kann, ist ihr bewusst. Sie gibt nicht viel auf die Meinung von anderen, sagt sie, beim Segeln wie im echten Leben: „Einer muss der Chef sein, und im Boot bin das ich.“ Von ihrem Partner im Boot will sie dementsprechend auch nicht wissen, woher er denkt, dass der Wind kommt, „das sehe ich eh selbst“. Sätze wie diese findet man auch in Vadlaus Buch „Segel des Lebens“, das gerade erschienen ist und in dem sie ein bisschen Einblick in ihre Gedankenwelt gibt.
Die Leute kennen mich, auch hier im Krankenhaus. Ich habe nicht nur ein Mal auf Röntgenbildern Autogramme gegeben.
Lara Vadlau
Segel-Olympiasiegerin und Ärztin
Lara Vadlau ist niemand, der sich groß zurückhält. Sie erzählt, was ihr so durch den Kopf geht. Das hat ihr einerseits Ärger eingebracht, zum Beispiel, als sie nach dem Olympiasieg live auf Ö3 das Ende ihrer Beziehung mit der deutschen Fußballerin Lea Schüller ausplauderte und dann ein paar Wochen dauernd über ihr Privatleben reden musste – andererseits aber auch sehr viel Anerkennung. „Ich hab es eigentlich nie angestrebt, ein Vorbild für irgendwen zu sein, aber wenn ich dann Nachrichten bekomme von Menschen, die mir sagen, dass ich sie mit meinem Leben ermutige, dann freut mich das natürlich.“ Spätestens seit dem Olympiasieg ist sie auch durchaus bekannt. „Die Leute kennen mich, auch hier im Krankenhaus. Ich habe nicht nur ein Mal auf Röntgenbildern Autogramme gegeben“, sagt sie, und dann ist ihre Pause auch schon vorbei.
Als die Kellnerin ihren Teller abserviert, schaut sie verdutzt auf die Reste und sagt dann kopfschüttelnd: „Wenn Sie keine Croûtons mögen, dann sagen Sie das doch beim nächsten Mal einfach vorher.“
Ob Vadlau das gehört hat, weiß ich nicht – sie ist schon wieder zurück auf dem Weg in den Schockraum.
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Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.