Sollen sie doch Kuchen essen!
Filmstill aus "Marie Antoinette" von Sophia Coppola
Elisabeth Bronfen: „Man muss die Zutaten wirklich ernst nehmen“
Elisabeth Bronfen hat über Shakespeare und Hollywood geforscht, eine Kulturgeschichte der Nacht veröffentlicht und über Mode publiziert. Nun erscheint ein Kochbuch aus der Feder der 67-jährigen Wahlschweizerin. Es heißt „Kochen nach Laune“ und erschließt eine neue Kategorie des Küchenanleitung. Denn es geht da, in innigem Hin-und-Her zwischen philosophischem Essay und Rezeptesammlung, um die Rolle des Gefühls in der Küche. Was koche, wer Trost sucht? Ramen mit Camembert und Kohlrabi! Welches Rezept dient der beglückten Selbstdarstellung? Hühnerschenkel mit Quitten, Honig und Lavendel. Und wohin mit der Einsamkeit? Hinein in den Cherry Pie!
Die Idee Ihres Buches besteht darin, dass Kochen nicht mit der Einkaufsliste beginnt, sondern bei der Stimmung, bei der Laune, die dem Kochen vorangeht.
Bronfen
Es kann schon sein, dass man bereits in einer bestimmten Laune ist, wenn man einkauft. Meine Idee wäre aber eher, dass hier verschiedene Aspekte zusammenkommen. Nämlich die Stimmung, in der man kocht, die Stimmung, die um einen herum herrscht, und die Stimmung, die man durch das Kochen erzeugen will. Und schließlich die Zutaten selbst, die Träger dieser Stimmung werden.
Der bedeutende britische Kochbuchautor Yotam Ottolenghi nennt sein jüngstes Buch „Comfort“ – Unterzeile: „Rezepte, die du lieben wirst“. Da ist schon am Titel ziemlich viel Gefühl angelegt.
Bronfen
In diesem Fall geht es natürlich vor allem um das Wohlgefühl, das Wohlbefinden, das insgesamt gerade stark in den Vordergrund rückt. Auch wenn man mit Sterneköchen redet, sprechen diese sehr häufig von den positiven Emotionen, die sie erzeugen möchten.
Wobei Sie in Ihrem Buch auch schlechte Launen in Augenschein nehmen.
Bronfen
Was mich interessiert hat, ist die Mischung von etwas sehr Konzeptionellem mit etwas ganz Sinnlichem. Das Konzeptionelle bestand darin, dass ich versucht habe, zwölf Stimmungen in sechs Gegensatzpaaren zu denken. Darum behandelt das Buch nicht nur die positiven Launen, das Glück, die Zufriedenheit, die Geborgenheit, sondern eben auch Trübsal, Stress und Einsamkeit.
Es soll aber kein therapeutisches Kochbuch sein, oder?
Bronfen
Ich wollte kein Selbsthilfebuch, ich wollte kein Ernährungsbuch, ich wollte kein Ratgeberbuch schreiben. Es hat vielmehr eine philosophische Komponente. Mein Interesse beruht auf der phänomenologischen Idee, dass wir mit unserer Wahrnehmung und unserer Empfindung in einem bestimmten Raum situiert sind. Und dass man von dieser Position aus über das Kochen und das Essen nachdenken kann.
Aus dem Film "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" von Peter Greenaway
Wobei es schon interessant ist, dass „Rezept“ sowohl die Kochanleitung als auch der Einkaufszettel für die Apotheke heißt.
Bronfen
Das ist richtig. Mir gefällt auch einfach nur der Begriff des Therapeutischen nicht. Vielleicht können wir uns darauf einigen, das Kochen als kathartisch zu beschreiben. Es wird eine Harmonie geschaffen, eine Balance hergestellt, so wie in der Säftelehre der antiken Medizin, nach der der Körper von verschiedenen Säften geprägt sei, die in Einklang gebracht werden sollten, wobei bestimmte Nahrungsmittel helfen könnten. Weil eben bestimmte Gewürze besonders feurig seien oder andere Zutaten vor allem das Feuchte betonen. Ich möchte die Zutaten in den Vordergrund rücken, sie wirklich ernst nehmen. Nicht nur als etwas, was ich benutze, sondern als etwas, das ein maßgeblicher Teil meiner Launen ist.
Ich begegne einer Miso-Paste oder einer Blaubeere und verhalte mich jeweils unterschiedlich zu ihr?
Bronfen
Ja, genau. Das hört sich ein bisschen silly an, aber das ist tatsächlich, was ich meine: dass man diese Zutaten wirklich ernst nimmt. Man begegnet ihnen und tritt in einen Austausch mit ihnen.
Man kann sich von Zutaten auch wahnsinnig gut ärgern lassen: Ich hasse es zum Beispiel, Saubohnen aus ihren Hüllen zu schälen. Ewige Arbeit für minimalen Ertrag. Ich mag den Geschmack von Saubohnen, hasse sie aber als Zutat intensiv.
Bronfen
Wenn man die Technik einmal beherrscht, dann ist es gar nicht so schwierig. Klar, es dauert sehr lange, aber mein Gott, dafür schmecken sie am Ende umso besser. Weil sich die Zeit, die man dafür aufgewendet hat, um die Bohnen aus der doppelten Hülle zu befreien, in das Gericht eingeschrieben hat. Man isst sozusagen die Zeit mit, die man beim Kochen verbracht hat. Sigmund Freud hat einen wunderbaren Begriff von der Vergänglichkeit: Er spricht vom Seltenheitswert der Zeit. Diesen Wert haben wir in dem kleinen Haufen Fava-Bohnen verwirklicht, der in wenigen Sekunden verspeist ist.
Sie zitieren aus einem Kochbuch aus 1930: „Die 10-Minuten-Küche oder die Anpassung an den Rhythmus der Moderne“ von Édouard de Pomiane, der seine Zielgruppe so umreißt: Es sei ein Buch für Studenten, Angestellte, Faule, Dichter, Träumer und Wissenschafter. Eine schöne Mischung, aber was macht ihre Gemeinsamkeit aus?
Bronfen
Pomiane beschreibt genau, was seine Leserschaft vereint. Er schreibe ein Buch „für alle, die nur eine Stunde Zeit haben, um zu Mittag oder zu Abend zu essen, und die dennoch eine halbe Stunde Ruhe haben wollen, um den Rauch einer Zigarette zu beobachten, während sie an einer Tasse Kaffee nippen, die die Zeit dazu nicht hatte, kalt zu werden“.