Devot oder dominant? Österreich sucht seine Rolle in Frankreich

EURO: Österreich sucht seine Rolle im internationalen Fußball

EURO: Österreich sucht seine Rolle im internationalen Fußball

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Es hat etwas tragikomisches, wenn der bislang glorreichste Euro-Moment der Österreicher ein verschossener Elfer der Portugiesen ist. Aus Mangel an Alternativen jubelte ein ganzes Land wegen einer vergebenen Chance des Gegners anstelle eines Treffers der eigenen Mannschaft. Das 0:0 gegen Portugal ist das erste Erfolgserlebnis für die österreichische Mannschaft, die mit großen Erwartungen in das Turnier ging.

Die Erwartungshaltung speiste sich aus den starken Spielen in der Qualifikation. Österreich hatte sich dort in der Weltrangliste zur Top 10-Mannschaft gemausert. 9 Siege holte man in 10 Spielen – gegen Teams wie Russland und Schweden siegte Österreich gar auswärts. Die vielen Erfolge und vor allem die Art und Weise der Spiele ließen den Erfolgshunger einer ganzen Nation größer werden. Österreichs Fußballteam hatte endlich eine Identität. Das frühe attackieren, das schnelle ausschwirren der Spieler, die fließenden Kombinationen – all das machte Österreich zuletzt zu einer Marke im Weltfußball. Österreich schien wie verwandelt. Österreich gewann plötzlich nicht nur wichtige Spiele. Österreich spielte auch schön – dominant und wie aus einem Guss.

Anstatt sich in die Auslage zu stellen, demoliert die österreichische Elf gerade ihren Status als international ernstgenommene Mannschaft.

Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit vor der Europameisterschaft gründete nicht wie früher auf einem frommen Wunsch sondern auf konkreten Entwicklungsschritten. Die österreichische Mannschaft schien sich selbst gefunden zu haben. Doch ausgerechnet während des großen Turniers wirkt Österreich wie ein Abklatsch einer Phase, die längst als überwunden galt. Österreich zeigte sich zuletzt als Team, das sein Heil in einer Abwehrschlacht sucht und danach ungläubig den glücklich erreichten Punkt bestaunt. Europa erlebt die österreichische Mannschaft nicht als die gut organisierte Pressingmaschine aus der Qualifikation, sondern als verzweifelt nach der eigenen Rolle suchendes Panikorchester. „Man tut sich schwer zu verstehen, wie diese Mannschaft die Qualifikation fast perfekt überstanden hat“, schrieb das französische Fachblatt „L’Equipe“. Anstatt sich in die Auslage zu stellen, demoliert die österreichische Elf gerade ihren Status als international ernstgenommene Mannschaft.

Derzeit fällt es schwer die Leistungen des Teams einzuordnen. Österreich verliert zu schnell den Ball, das Nervenkostüm der Spieler wirkt klapprig, die Gegner sind gut auf das bewährte Spiel eingestellt, sie stellen den Österreichern geschickt die Passwege zu, einige Kicker sind nicht in Form, der unersetzbare Zlatko Junuzovic ist verletzt, Österreich hat keine Turniererfahrung. Das Team sucht nach Ausreden, die Öffentlichkeit übt sich im Raunzen. Alles scheint so, wie es einmal war.

Im ersten Spiel gegen Ungarn, die Nummer 20 der Welt, versuchte Österreich, die Nummer 10, diesem Anspruch gerecht zu werden, scheiterte aber früh an unpräzisem, hektischem Passspiel und Spielaufbau.

Viele meinen jetzt: Vielleicht war Österreich nie so stark, wie die Qualifikationsspiele und der Weltranglistenplatz einer ganzen Nation glauben ließen. Die Begründung: die Qualifikations-Gegner Schweden und Russland spielen eine schwache Europameisterschaft. Fazit: Wenn beide Gegner schwach waren, möglicherweise ist dann Österreich gar nicht stark. Dagegen spricht, dass die jetzigen Gruppengegner Island (hatten Tschechien und Türkei in der Qualifikation), Ungarn (Nordirland, Rumänien) und Portugal (Albanien und Dänemark) nach den aktuellen Ergebnissen ihrer einstigen Kontrahenten auch nicht groß gefordert wurden. Nach dieser Logik würden dann in der Österreich-Gruppe „möglicherweise doch nicht Starke“ auf „möglicherweise doch nicht Starke“ treffen. Dazu gingen Ungarn und Island in Sachen Turniererfahrung jungfräulicher ins Turnier als Österreich. Während die beiden aber ohne klare Erwartungen anreisten, lechzt der österreichische Fußball vermehrt nach internationaler Anerkennung. Im Vorfeld zur Europameisterschaft nannten ausländische Experten Österreich immer wieder als Geheimfavoriten. Auch das Land selbst teilte sich in Optimisten, die vom Titel träumten, und in Realisten, die nicht den großen Wurf, aber eine stark spielende österreichische Mannschaft erwarteten. Die Fußball-Pessimisten hatten ihr Stimmen-Monopol verloren.

Im ersten Spiel gegen Ungarn, die Nummer 20 der Welt, versuchte Österreich, die Nummer 10, diesem Anspruch gerecht zu werden, scheiterte aber früh an unpräzisem, hektischem Passspiel und Spielaufbau. Österreich wähnte sich im Vorfeld als Favorit, man hatte schließlich die besseren Einzelspieler. Wie die Spanier oder die Deutschen wollte man den Gegner zermürben. Aber Ungarn war gut vorbereitet auf das österreichische Spiel. Und Österreich war kein Spanien oder Deutschland. Fast schien es so, als wollte man bei der Europameisterschaft gut machen, was die Jahrzehnte davor schlecht war. Ein Turnier als Abrechnung mit der Vergangenheit, in der das lächerliche Cordoba immer noch als Bestätigung herhalten muss. Während die personell schlechter besetzten Ungarn und Island gut mitspielen, scheiterte Österreich bislang am auferlegten Druck und an einer ausrechenbar gewordenen Strategie. Die österreichische Marke des dominanten Pressingfußballs wurde international zu bekannt, als dass sie noch jemandem unbekannt wäre.

Österreich muss innerhalb weniger Tage bis zum Spiel gegen Island seine Rolle im europäischen Fußball wieder finden.

Gegen Portugal verlegte sich Österreich desillusioniert auf eine Mauertaktik und ließ trotzdem Torchance um Torchance zu. Im ersten Spiel gegen Ungarn wollte Österreich wie Spanien spielen – dominant und weltgewandt. Im zweiten Match gegen Portugal versuchte man eine Mauertaktik wie Liechtenstein und stellte sich, der klaren Rollenverteilung ergeben, vor dem eigenen Strafraum auf. Man könnte das ergebnisorientiert als genialen Schachzug preisen, wären da nicht die vielen vergebenen Chancen und Stangenschüsse der Portugiesen, die das 0:0 mehr nach glücklicher Fügung denn nach eiskalter Strategie wirken lassen. Österreich weiß zum ungünstigsten Zeitpunkt nicht so recht, wie man erfolgreich sein will. Die Bälle wurden in beiden Spielen schnell verloren – ob die Österreicher nun dominant oder devot sein wollten.

Oft lag das weniger an der Nervosität der Spieler, sondern an Gegnern, die ihre Hausaufgaben gemacht hatten und der österreichischen Mannschaft die Passwege zustellten. Österreich muss innerhalb weniger Tage bis zum Spiel gegen Island seine Rolle im europäischen Fußball wieder finden. Möglicherweise muss sie gar zum ungünstigsten Zeitpunkt eine neue Rolle erfinden.