„Danach ist nichts mehr von dir übrig”

Charlotte Roche: „Danach ist nichts mehr von dir übrig”

Interview. „Feuchtgebiete”-Autorin Charlotte Roche über Schockerfolge, Slipeinlagen und schlechtes Schreiben

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Interview: Philip Dulle

profil: Gut fünf Jahre nach Erscheinen Ihres Debütromans folgt nun die Verfilmung. Ist Ihnen "Feuchtgebiete“ nicht schon zu viel geworden? Ein Monster, das man nicht kontrollieren kann?
Charlotte Roche: Ich hatte eine längere Pause von dem Buch. Die Verfilmung meines Stoffes ist aber wieder ganz was anderes. Jetzt über den Film zu sprechen, fällt mir viel leichter. Literatur nehmen die Menschen grundsätzlich viel persönlicher.

profil:
Besitzt der Stoff Ihres Debüts denn noch immer literarische Sprengkraft?
Roche: Das ist jetzt die nächste Generation von jungen Menschen, die ins Kino gehen werden. Für die kann der Film ein richtiges Aha-Erlebnis sein. Als ich 16 war, wäre Hauptdarstellerin Carla Juri eine richtige Göttin für mich gewesen. Im Vergleich zum Buch ist der Film sexier, unterhaltsamer - was auch an Carla liegt: Sie fährt Longboard, hat bunte Fingernägel und trägt zerrissene Bad-Religion-Shirts. Die Romanfigur ist wahrscheinlich zeitloser.

profil: Meinen Sie, dass Sie mit den zentralen, auch feministischen Themen Ihres Romans gesellschaftlich etwas bewegen konnten?
Roche: Das wäre zu anmaßend. Wenn ich auf Lesereise bin und 20-bis 30-jährige Frauen im Publikum sehe, teilweise sogar mit ihren Müttern, und sie sich nach der Lesung bei mir bedanken, dann denke ich, ich habe vielleicht doch etwas bewegt.

profil: Junge Frauen besuchen Ihre Lesungen mit ihren Müttern?
Roche: Ja, das kommt oft vor. Sie haben eine gemeinsame Sprache gefunden. Es gibt viele natürliche Dinge, für die wir keine Sprache haben. Ich habe mich beim Schreiben auch immer wieder gefragt, warum kaum jemand über den menschlichen Körper mit all seinen Eigenheiten spricht. Alles Körperliche wird nur als ekelerregend empfunden, weil niemand darüber spricht.

profil: Aber Sie übertreiben in Ihren Romanen maßlos.
Roche: Natürlich. Aber wenn man eine Botschaft verbreiten will, ist Übertreibung ein probates Mittel.

profil: Zum Beispiel?
Roche: Parfümierte Slipeinlagen! Das sind Erfindungen, die mein Verhältnis zu meinem Geschlechtsorgan kaputt machen. Um mich dagegen zu wehren, wäscht sich meine Heldin in "Feuchtgebiete“ tagelang nicht. Nur um ihren eigenen Geruch feiern zu können.

profil: Sie fordern zum Nicht-Waschen auf?
Roche: Mir ist schon klar, dass man unerträglich riecht, wenn man sich tagelang nicht wäscht. Aber angesichts von Seife, Deodorant und Parfüm frage ich mich schon, warum die Menschen so völlig den Kontakt zu ihrem tierischen Ich verloren haben.

profil: Die Menschen können sich nicht mehr riechen?
Roche: Fortpflanzung, Kinderkriegen, sich verlieben, Freunde haben: Das hängt doch alles damit zusammen, dass man sich gut riechen kann. Man riecht die guten Gene - und da macht es keinen Sinn, wenn das Gegenüber nach Armani riecht.

profil: Bei der von Ihnen selbst eingesprochenen Version des Hörbuchs fällt auf, dass Darstellerin Carla Juri im Film eine ähnliche Intonation wie Sie hat. War das beabsichtigt?
Roche: Mir ist es ganz ähnlich gegangen, als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe. Ich weiß auch nicht, ob das Absicht ist - dieses leicht bekiffte Sprechen, das Buchstabenverschleppen. Falls sie mich studiert hat, hoffe ich, dass sie diese Manierismen wieder los wird.

profil: Hatten Sie damals nicht eine ganz andere Figur im Kopf?
Roche: Ich bin beim Arbeiten total von mir eingenommen. Zuerst schreibe ich nur für mich und über meine eigenen Probleme. Ich finde Carla Juri nun zehnmal schöner, als ich mir meine Protagonistin Helen Memel vorgestellt habe.

profil: Regisseur David Wnendt versucht ein paar Grenzen zu überschreiten, durch plakative Körperlichkeit zu schockieren. Das nützt sich im Lauf des Films allerdings ab.
Roche: Auch mein Buch wollten viele Menschen irgendwann nicht mehr weiterlesen. Da gibt es viele redundante Szenen. So sollte es aber sein.

profil: Es stört Sie nicht, dass ein Gutteil Ihrer Leser vor dem Ende aufgibt?
Roche: Es gibt ja verschiedenste Gründe, warum Menschen ein Buch vorzeitig weglegen. Manche sagen, es sei schlecht geschrieben, andere kommen mit dem Körperlichen nicht zurecht. Wenn ich es mit Worten schaffe, dass jemand mein Buch nicht mehr aushält und zu lesen aufhören muss, macht mich das erst richtig stolz.

profil: Und wenn es heißt, Ihre Bücher seien schlecht geschrieben?
Roche: Warum müssen Autoren immer ihr Werk verteidigen? Ich habe das Buch so geschrieben, wie ich es für richtig halte. Mich verletzt es auch nicht, wenn mir jemand sagt, dass ich gar keine richtige Literatur schreibe. Punk-Musiker haben sich auch immer wieder anhören müssen, dass ihre Musik keine richtige Musik sei.

profil: Sie sehen das Schreiben als Rebellion?
Roche: Ich schreibe, wie ich spreche. Manche Menschen berührt das, andere halten es nicht aus. Für sie sind meine Bücher schlechte Literatur. Ich kann mit beidem gut leben.

profil: Hat Ihr Erfolg auch dunkle Seiten?
Roche: Klar, man verliert Freunde, manche Menschen sagen plötzlich verletzende Sachen, die man nicht erwartet hätte. Früher war ich die Moderatorin einer kleinen Independent-Musiksendung, die ohnehin keine Sau gesehen hat. Ich hatte mich schön darin eingerichtet, niemals im Leben richtig Erfolg zu haben. "Feuchtgebiete“ war dann ein regelrechter Schock.

profil:
Sie kommen aus der Medienbranche. Konnten Sie den Rummel, den Ihr Buch entfachte, nicht vorausahnen und besser kontrollieren?
Roche: Ehrlich gesagt nein. Ich gab viel zu viele Interviews, machte zu viel Werbung. Die Lesetournee war gigantisch. Ich musste erst lernen, weniger zu machen. Nach all diesen Terminen ist nichts mehr von dir übrig. Das war wie die Arbeit einer Prostituierten.

profil: Ihre Romanheldinnen suchen stets nach Ersatzreligionen. Was tun Sie, um den Dämonen des Alltags zu entfliehen?
Roche: Meine beiden Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt. Eigentlich könnte ich nun meine ganze Kraft darauf verwenden, in diese Länder zu reisen und Werbung dafür zu machen. Ich tue aber das Gegenteil: Ich schreibe. Ich stehe jeden Morgen diszipliniert auf und mache nichts außer schreiben. Das ist sehr leise und langweilig, mein Ruhepol.

profil: Wäre es nicht konsequenter gewesen, Ihr Buch von einer Frau verfilmen zu lassen?
Roche: David Wnendt hat mit seinem Film "Kriegerin“ schon bewiesen, dass er starke, kaputte Frauenfiguren porträtieren kann. Würden Sie Kathryn Bigelow fragen, warum sie in ihren Filmen klassische Männergeschichten erzählt? Das wäre doch auch sexistisch.

profil: Sie arbeiten gerade an Ihrem dritten Buch?
Roche: Ja, aber ich rede nicht gern darüber. Das ist wie eine Schwangerschaft im Anfangsstadium. Alles sehr geheim. Was ich aber garantieren kann: Es ist genauso schlecht geschrieben wie die anderen zwei.