Schuldfrage

Film: Teenager aus Ebensee drohen in den Rechtsextremismus abzudriften

Film. Teenager aus Ebensee drohen in den Rechtsextremismus abzudriften

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Was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, wissen sie nicht. Das unterscheidet sie kaum von anderen Jugendlichen: Wer kann mit 15 schon absehen, wohin es gehen soll? Vier Teenagern sieht Regisseur Sebastian Brameshuber in seinem Film "Und in der Mitte, da sind wir“ dabei zu, wie und womit sie die Zeit des Aufwachsens am Land verbringen, wie sie versuchen, sich halbwegs stabile Identitäten zu verschaffen.

Historisches Problem
Nun hat der Ort, an dem sie leben, aber ein historisches Problem. In der Marktgemeinde Ebensee - gegenwärtige Population: 8000 - wurde Ende 1943 ein Nebenlager des KZ Mauthausen eingerichtet. In den 18 Monaten, die der Weltkrieg noch währte, starben im Konzentrationslager Ebensee fast 9000 Menschen. Das Grauen des Nationalsozialismus wirkt nach, bis heute: Im Gedenkstollen des Lagers, wo man seit 1996 eine Dauerausstellung zur Geschichte dieses Ortes und seiner Befreiung zeigt, kam es im Mai 2009 zu einem Zwischenfall. Eine Gruppe vermummter Jugendlicher hatte eine Gedenkfeier mit Nazisprüchen und Softgun-Projektilen gestört. Das Ergebnis: ein Prozess, der mit drei Schuldsprüchen endete.

„Nicht wirklich Extremisten”
Von diesem Vorfall erfuhr der aus Gmunden stammende Filmemacher Brameshuber 2009 in der Türkei, wo er gerade letzte Hand an sein Debüt "Muezzin“ legte. "Ich war ja in der Gegend aufgewachsen, begann also zu recherchieren“, sagt er im Gespräch mit profil: "Ich wollte aber keinen investigativen Film rund um den Vorfall drehen, es ging mir nicht darum, die wahren Hintergründe dessen, was da passiert war, aufzudecken oder den Beteiligten irgendwelche Geständnisse abzuringen; ich wollte eher die Strukturen hinter einem derartigen Ereignis erforschen.“ Die an der Störaktion beteiligten Jugendlichen "waren nicht wirklich Extremisten - das kam nicht von einem sozialen Rand, der sich leicht definieren ließ. Ich ahnte, dass mehr dahinter steckte. Man konnte die Täter weder als, Lausbuben‘ verharmlosen noch als, Neonazis‘ dämonisieren.“ Den Graubereich, in dem das stattfand, wollte Brameshuber genauer ausleuchten.

Also machte er sich auf die Suche nach Ebenseern, die er porträtieren konnte - und fand einen ex-rechtsextremen Punk, ein Mädchen, das vom Weggehen und von einem Lippen-Piercing träumt, sowie einen jungen Mann, der Waffen liebt und über einen Job nachdenkt, bei dem er nicht nur gut Geld verdienen, sondern auch Macht ausüben kann. An der Geschichte ihres Ortes, die sie alle prägt, sind sie nicht interessiert.

Kein Film über Ebensee
Seine Arbeit lasse sich auf ihren Schauplatz keineswegs beschränken, meint Brameshuber; dies sei kein Film über Ebensee, sondern einer, der sich in Ebensee abspiele. "Mich interessiert Biografisches. Wie wird jemand zu dem, was er ist? Wieso entscheidet sich jemand, Muezzin zu werden, wenn er auch Popsänger werden könnte. Warum beschließt jemand, Imam zu werden? Mich faszinieren spezielle Milieus und Lebenslinien - und vor allem: Identitätsfragen. Mir waren die Jugendlichen in Ebensee, obwohl ich in der Gegend aufgewachsen bin und auch Parallelen zu meiner eigenen Jugend fand, letztlich nicht weniger fremd als die türkischen Muezzins.“

"Und in der Mitte, da sind wir“ ist Sebastian Brameshubers zweiter großer Dokumentarfilm. Bei der Berlinale im vergangenen Februar erregte der 32-Jährige damit einiges Aufsehen. Eine klassische Filmausbildung absolvierte er nicht, er fühlte sich der Kunst stets näher als den üblichen Kinostudienwegen. An der Wiener Angewandten belegte Brameshuber die Fächter Bühnenbild und Filmausstattung. Er machte Avantgardefilme, hantierte mit gefundenen Bildern, ehe er sich für die dokumentarische Form entschied. Mittlerweile fühlt er sich im Arbeiten mit Menschen aber wesentlich wohler. Seit einem Jahr lebt er in Flandern, als Artist-in-Residence am renommierten Le Fresnoy, dem Nationalen Studio für zeitgenössische Kunst in Tourcoing - und er hat schon seinen nächsten, knapp halbstündigen Film abgedreht, diesmal in der Obersteiermark: Er handelt vom Auto-Exportbusiness dreier junger Nigerianer in der Erzbergregion - und wird sich weiter noch vom klassischen Dokumentarfilm entfernen, noch assoziativer erzählt sein. Für die Kinostarttour seines Films wird Brameshuber nach Österreich reisen, auch bei der profil-Premiere am 10. Juni um 20.30 Uhr im Wiener Votivkino wird er persönlich Rede und Antwort stehen.

Seine Jugendstudie besticht durch ihren ruhigen Fluss, durch die Vermeidung billiger Spektakel oder voyeuristischer Perspektiven. Brameshuber fächert mit scheinbar leichter Hand eine ganze Welt auf, die Cutterinnen Elke Groen und Emily Artmann halfen ihm, in den 80 Stunden gedrehten Materials seinen Film zu finden. Die nötige Ambivalenz in der Charakterisierung der Menschen, die er zeigt, hält er souverän.

Die Prognose, die der Film stellt, ist ernüchternd. Seine Arbeit wirke "wohl pessimistisch“, sagt Brameshuber: "Allerdings habe ich es darauf nicht angelegt. Aber im ländlichen Bereich gibt es gerade unter jungen Männern eine neue Lust am Patriotismus. Man schreibt den Begriff Heimat wieder größer, und dieses Feld ist unglaublich schlecht moderiert, also nutzen es die Rechtsaußenparteien für sich.“

Man würde seinen Protagonisten im Übrigen unrecht tun, sie für so wenig reflektiert zu halten, dass sie nicht wüssten, worauf der Film hinauswolle, fügt er noch an. "Aber manchmal sehe ich doch die Notwendigkeit, sie zu schützen. Es gab etwa eine schwierige Situation in Berlin, bei der Festivalpremiere: Ein Zuschauer gratulierte mir zu dem Film, der, wie er meinte, die totale Hoffnungs- und Perspektivenlosigkeit der Jugendlichen demonstriere. Er sah in meiner Arbeit nur Düsteres - weil er der Sohn eines im KZ Ebensee Ermordeten war. Ich musste ihm im Kino also sanft widersprechen, auch um meine Protagonisten zu schützen. Ich finde, dass ich auch Positives andeute, dass ich zeige, dass es ein Potenzial zur Veränderung gibt - das der Sohn eines NS-Opfers naturgemäß nicht sehen kann.”

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profil-Premiere: "Und in der Mitte, da sind wir".

Er habe weder einen Film machen wollen, der alle Seiten zufriedenstelle, noch ein Werk, das vorgebe, einfache Antworten zu kennen. Tatsächlich zielt die Debatte, die Sebastian Brameshuber in seinem Film "Und in der Mitte, da sind wir“ führt, auf Komplexität - und ins Allgemeingültige. Das Teenagerleben in der Provinz fängt er in einer Bildsprache ein, die um sanfte Künstlichkeit bemüht ist. Er berichtet, ohne Urteile zu fällen, von den Ideen und Fetischen der Jugendlichen: ihren Videogames und Mopeds, den schwelenden Aggressionen, den E-Gitarren und der Waffenleidenschaft. Die Pubertät ist eine Zeit der schnellen und unabsehbaren Umbrüche. Das Kokettieren mit dem rechten Rand gehört hier ebenso dazu wie Schulabbruch, Jobsuche und Krafttraining. Die asoziale Jugend, von der dieser Film berichtet, stellt Brameshuber nicht pädagogisch aus, er lässt sie vielmehr sein, was sie sind: keine Kinder mehr, aber alles andere als erwachsen.