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Formel 1 in Spielberg: Wie der „Red Bull Ring“ totes Gebiet lebendig macht

Reportage. Wie der „Red Bull Ring“ totes Gebiet wieder lebendig machte

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Von David Staretz

Da steht der gegerbte Gustl Auinger, ein freundlicher Mohawk des Motorsports, lehnt an seinem roten Riesen-Truck voller Racing-Equipment und lächelt weise ins Sonnenlicht, als er sich an unser letztes Gespräch vor etlichen Jahren erinnert. Damals, als internationaler Spitzenfahrer, schilderte er mit unaufgeregten Worten das Wesen der Geschwindigkeit jenseits von Tempo 300 (auf dem Motorrad): „Da entsteht eine Art Glocke, in der nicht mehr die absolute Geschwindigkeit zählt, sondern nur diese ein, zwei km/h Unterschied zu deinem unmittelbaren Gegner.“

Auch heute, befragt zur aktuellen Situation hier in Spielberg, findet der Nachwuchsbetreuer glockenklare Worte: „Mateschitz ist ein Segen für die wirtschaftlich schwache Region. Man sah doch, wie sie gleich wieder darniederlag, sobald es keinen Grand Prix mehr gab. Und als dann noch der erste Anlauf zum Red-Bull-Ring an den Umweltauflagen scheiterte, spürte man förmlich, wie die Region völlig in die Knie ging.“

Wir befinden uns gerade hinter der neuen Hauptanlage über der Boxenstraße mit ihren cool-modernen Restaurants, Lounges, Presseräumen und großzügigen Toilettenanlagen. Überall wird noch gearbeitet an den Vorbereitungen für das große Ereignis, den Grand Prix von Österreich von 19. bis 22. Juni, und jede Menge Rahmenprogramm.

Draußen auf der Strecke drehen gerade Gerhard Berger in seinem Formel-1-Ferrari von 1988 und Sebastian Vettel im aktuellen Red-Bull-Boliden RB5 ihre Runden für den Dokumentationsfilm „Come Back der Formel 1“. Böse kreischen die Motoren, dann, ansatzlos, bricht eine geradezu absurde Stille aus. Die Autos sind in die Box gerollt, weil die beiden ihre Fahrzeuge (also Epochen) tauschen wollen.

Auinger nützt die Pause: „Und jetzt herrscht hier größte Begeisterung. Weil, um die Fehler von damals zu vermeiden, wurden die Menschen von vornherein mit in das Projekt eingebunden. Mateschitz hat ihnen massiv Gelder zur Verfügung gestellt, damit die Gärten, die Häuser und Zäune verschönert werden. Das ist voll aufgegangen.“

Historie und Hysterie: Der Österreichring
Dass die Formel 1 in Österreich so leidenschaftlich verankert ist, hat historische Grundlagen, und diese lassen sich ganz konkret an Personen festmachen, allen voran Martin Pfundner, motorsportbegeisterter Spross einer Glockengießer-Dynastie mit Hang zur Internationalität. Sprachgewandt und ohne Scheu vor dem Ausland verkörperte Martin Pfundner unter seinem legendären Rennleiter-Hut den höchsten Motorsport Österreichs. Passionierter Zigarrenraucher, feines Tuch und feine Klinge. Heute könnten wir solche gravitätischen Persönlichkeiten wieder brauchen.
Martins frühe Heydays als Funktionär und Rennleiter waren die Rennen von Aspern und Zeltweg, Flugplatzrennen also, mit tollem Starterfeld und zahlreich begeistertem Publikum, und schließlich ereignete sich 1964, vor 50 Jahren, der erste österreichische Grand Prix mit hochkarätigem Starterfeld und WM-Status in Zeltweg, den „Sir“ Pfundner maßgeblich verantwortete und leitete. Lorenzo Bandini gewann vor 40.000 Zuschauern auf Ferrari, und der junge Jochen Rindt, Trainingsbester, machte durch ungestümes Talent auf sich aufmerksam. Das Rennen, dramatisiert durch die Auswirkungen der Rumpelpiste auf die grazile Renntechnik der F1-Boliden, zeigte auch, dass es höchste Zeit war für eine neue österreichische Rennstrecke von internationalem Format, was schließlich zum Bau des Österreichrings in Knittelfeld (und des konkurrierenden Salzburgrings) führen sollte. 1970, dank der Unterstützung der steirischen Landesregierung mit 24 Millionen Schilling (Krainer senior war damals Landeshauptmann), wurde 1970 der erste Grand Prix ausgetragen.
„Wo warst du, als Jochen Rindt verunglückte?“, ist seit 5. September 1970 die österreichische Version der Kennedy-Frage.

Der Ring des Nie-Gelungen
Es wurde im Schatten von Rindts Tod immer schwieriger, den Ring zu finanzieren, obwohl der mittlerweile erstarkte Niki Lauda zur neuen Ikone reifte und 1975 (im Jahr seines ersten Weltmeisterschaftstitels) maßgeblich am bisherigen Besucherrekord von 150.000 Zuschauern beteiligt war. Doch langjährige Pachtverträge mit Grundstücksbesitzern und zunehmende Anrainerbeschwerden samt Klagen erwiesen sich als laufende Belastung, und als Mark Donohue und ein Streckenposten bei einem Trainingsunfall zu Tode kamen, wurde auch die dräuende Sicherheitsfrage immer dringlicher. Als auch Niki Lauda (wegen seines Feuerunfalls) aussetzte und das Publikum ausblieb, sank der Erlös. Ab 1983 übernahm Ecclestone mit seiner F1-Unternehmung das Ruder.

1984 der größte Triumph: Niki Lauda gewann seinen Heimat-GP. (Es war der erste Grand Prix des 24-jährigen Gerhard Berger.) Doch 1985 zeigte eine massive Startkarambolage, dass der Ring zu schmal für die mittlerweile 1000 PS starken Boliden geworden war und Auslaufzonen fehlten. Eine weitere Startkarambolage 1987 gab der Strecke den Rest. Stefan Johansson war im Training mit einem Reh kollidiert, und schon öfter hatten sich Kühe auf die Piste verirrt. Der ehemals als schnell und sicher bekannte Österreichring stand vor seinem ersten Ende als Grand-Prix-Strecke, schaffte es mit bodenständigen Veranstaltungen noch bis 1995, als die Strecke nach einem Rennunfall endgültig geschlossen wurde.
Um die Unsinnigkeit weiterer Investitionen zu beweisen, gab die SPÖ eine Studie bei der OGM in Auftrag, die allerdings sozusagen nach vorn losging: Sie wies dem Ö-Ring (und der Region) nach modernem Ausbau ein großes Zukunftspotenzial aus.

Tatsächlich: Nach entsprechenden Umbauten und Kürzung der Streckenführung (4,3 statt 5,8 Kilometer) und Aufwertung der Tribünen wurde 1997 nach neun Jahren Abstinenz wieder ein GP auf der nun A1-Ring genannten Strecke gestartet. Die Besucherzahlen waren für österreichische Verhältnisse gigantisch (227.000 Gäste). 2002 folgte ein sportlicher Tiefpunkt: Ferrari-Pilot Rubens Barrichello musste seinen Teamkollegen Michael Schumacher per Stallorder auf der Zielgeraden vorbeilassen – ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln der Sportlichkeit. Auch 2003 gewann Schumacher. Die Formel 1 zog sich abermals aus Österreich zurück; Ecclestone setzte vermehrt auf attraktivere Übersee-Grands-Prix in Ländern wie Bahrain und China, die 2004 erstmals ausgetragen wurden.

Große Pläne als Anrainer-Schreck
Dietrich Mateschitz erwarb die Strecke, um eine Eventlocation samt Themenpark und Aviatik-Center aufzubauen, was trotz eines zunächst positiven Umweltbescheids an den heftigen Einsprüchen von Anrainern scheiterte. Zu viele alarmierende Details über Motocross-Strecken, Speed-Ovale etc. waren bekannt geworden. Der positive Bescheid wurde unter Druck der Bevölkerung und der Grünen vom Umweltsenat aufgehoben. Mateschitz zog sich zurück, erst Bemühungen durch Landeshauptfrau Klasnic brachten wieder Bewegung in die Sache, als eine Umwidmung zur Teststrecke und Mitfinanziers aus der Industrie ins Spiel gebracht wurden. Langes Hin und Her, sodass auch der ersehnte positive Umweltbescheid von 2007 nichts mehr änderte, weil sich die anfangs interessierten Konzerne wie BMW oder Volkswagen wieder zurückgezogen hatten.

Letzter Anlauf mit Erfolg
Zwar mit staatlicher Förderung, doch großteils privat finanziert, wurde 2008 der Umbau wieder angegangen, was im Mai 2011 schließlich zur Neueröffnung der Strecke als Red Bull Ring führte – diesmal aber dezidiert ohne Formel 1, weil aufgrund eines Abkommens mit den Anrainervertretern nur 25.000 Besucher pro Tag zugelassen wurden, samt weiteren zeitlichen und akustischen Einschränkungen.

Erst eine Umwidmung des kommenden F1-Events nach dem Veranstaltungsgesetz konnte zu einer „einmaligen“ Durchführung des F1-GP verhelfen. Denn: In aller Stille hatten sich Mateschitz und Ecclestone über die Austragung des Österreich-GP geeinigt, die gemeinsame Abmachung soll bis 2020 laufen. Nach Verlautbarung des Deals war die allgemeine Erleichterung und Begeisterung so groß, dass es kein Zurück mehr gab und alle Probleme gelöst schienen.

Freilich sind einige Anrainer erbost über die reichlich trickreiche Vorgangsweise. Aber es ist anzunehmen, dass der Nachdruck der Veranstaltung, das Momentum des Ereignisses und der messbare Wirtschaftserfolg für die Region alles vor Begeisterung mit sich reißt. Außerdem kann man nun nicht mehr monieren, dass maßgebliche Förderungen des Landes, also Steuergelder, investiert worden wären.
Man blickt in das Szenario des präsumtiven Erfolges von Wertschöpfung plus Umwegrentabilität. Dr. Marko hat sich sogar zu Zuschauerprognosen von 100.000 Gästen verstiegen.

Dietrich Mateschitz selbst, wie er in einem seltenen Interview mit dem Internetportal „Speedweek“ erklärt, sieht das konservativer: „Mit den Zuschauereinnahmen decke ich bestenfalls meine Organisationskosten, nicht aber die Lizenzgebühr. Die muss ich drauflegen.“ Und diese, vermuten Insider, könnte bis zu 45 Millionen Euro pro Jahr ausmachen – je nach Zugeständnis von Bernie Ecclestone auch deutlich niedriger. Doch egal, wie viel ihn dieser Deal mit der Formel 1 kostet, Mateschitz sei glücklich, dass er seinen Landsleuten wieder die Königsklasse im eigenen Land präsentieren könne.

Mit Konsequenz verfolgte er die Vorstellung, aus dem eher provinziellen, immer etwas düsteren Österreichring eine moderne Rennstrecke internationalen Zuschnitts zu gestalten, wobei ihm offenbar deutlich eine Mehrfachnutzung und Erweiterung des Angebotes über den reinen Rennbetrieb hinaus vor Augen stand. Es benötigte allerdings zwei Anläufe, um über die Hürde eines abschlägigen Umweltbescheids hinwegzukommen.
Und immer noch wollen sich nicht alle Anrainer so umfassend beglückt fühlen. Ein harter Kern von Gegnern der Formel 1, vertreten durch Rechtsanwalt Lorenz Riegler, pocht auf das Recht der Ruhe, vermutet eine verfassungswidrige Vorgangsweise bei der Anwendung des Veranstaltungsgesetzes zugunsten des Grand Prix. Dem hält der Geschäftsführer der Spielberg-Gesellschaft des Landes Steiermark, Bernhard Obermaier, entgegen, dass die neuen Autos der Formel ohnehin leiser seien als die für den Umweltbescheid ursprünglich zugelassenen.
Also alles bestens? Es wird wohl noch einiges nachverhandelt werden müssen, um alle Ansprüche zufriedenzustellen. Denn selbstverständlich, bei aller Euphorie, ist Kritik an Großveranstaltungen immer zulässig, wie man es auch als bedenklich empfinden kann, so viel Macht und deren Ausübung in der Hand eines einzigen Mannes zu wissen, der sich, wie er das bereits einmal bewiesen hat, jederzeit vom Schauplatz Spielberg abwenden kann, wenn sich die Dinge nicht nach seinen Vorstellungen entwickeln. Doch für Unkenrufe ist im Sog der Begeisterung kein Platz, zumal nach dem Sieg von Daniel Ricciardo auf Red Bull beim GP von Montreal die Spannung wieder steigt.

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Für ein kleines Land mit großen Bergen hat Österreich erstaunlich viele und erfolgreiche Rennfahrer hervorgebracht. Insgesamt waren 14 Österreicher in der F1, neun davon leben noch und werden am Rennwochenende in ihren Originalfahrzeugen vor dem Publikum paradieren: Niki Lauda, Gerhard Berger, Helmut Marko (heute Motorsportberater und Mateschitz-Intimus bei Red Bull F1), Karl Wendlinger, Alexander Wurz, Dieter Quester, Hans Binder, Patrick Friesacher und Christian Klien.

Auch Mateschitz selbst, dem ein enormer Erfolg mit dem Erwerb und Voranbringen eines maroden F1-Teams (ehemals Jaguar Racing) gelungen ist, stellt eine unübersehbare Größe im Formel-1-Geschehen dar, mit vier Konstrukteurs- und Fahrer-Weltmeisterschaftstiteln in Folge. Dazu führt er noch das nachwuchsfördernde Zweitteam Toro Rosso (an dem Gerhard Berger bis 2008 mit 50 Prozent beteiligt war).

Und diesmal scheint aber wirklich an alles gedacht worden zu sein: Tausende von Red Bull bezahlte Fahrräder sind in der Region verteilt worden, damit Besucher von Hotels und Gaststätten zur Rennstrecke fahren können. Anschließend sollen die Räder den Gemeinden zum Wohle der Gäste übereignet werden.