Gerichtsurteil

So schmeckt's im neuen Plachutta am Neuen Markt

Wiener Schnitzel, Tafelspitz-Carpaccio und zu viele Tische auf zu wenig Raum: Plachuttas Neuer Markt.

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Wien, 20. November 2024, zwölf Uhr mittags: Mario Plachutta nimmt in seinem gerade einmal 30 Minuten alten, am Neuen Markt im 1. Wiener Gemeindebezirk gelegenen Restaurant die Gäste in Empfang – und er muss sich beeilen: Der Laden ist schon gesteckt voll. Erstes Rechercheergebnis: Wenn in Wien ein neuer Plachutta aufsperrt, dann wollen das viele Menschen sehen. Zweitens: Fenstertische sind ein rares Gut, weil Statussymbol. Dort sitzen heute also Menschen, die nicht nur der Chef gut kennt. Es soll ja Leute geben, die brauchen so einen Tisch fürs eigene Ego. Dazu zähle ich mich nur selten. Was ich aber in einem neuen, hochwertig ausgestatten Lokal nie brauche, ist die Kenntnis darüber, was wildfremde Tischnachbarn hobbymäßig so treiben. Aber leider: Bekommt man in „Plachuttas Neuen Markt“ nur einen Tisch in der Raummitte, sitzt man fast Ellenbogen an Ellenbogen – „gesteckt voll“ ist sicher ein Traum für den Wirt, für den Gast in diesem Fall eher ein „Na ja“.

Großgastronom Plachutta lässt am Neuen Markt vieles weg, wofür man sonst gerne zum ihm geht: Der „Dahin laden uns die Großeltern am Sonntag ein“-Vibe inklusive Tischdecken und in großen Kupfertöpfen vorgelegtem, edlem Rindfleisch muss jüngeren Feelings weichen. Ohne Tischdecke, versteht sich. Die Preise sind dafür auch ein bisschen niedriger.

Rindfleisch gibt’s trotzdem: als Vorspeise zum Beispiel in Form eines gekochten, zum Carpaccio geschnittenen Tafelspitz (Bild oben). Dazu Käferbohnen, gehacktes Ei, rote Zwiebel und eine Kernöl-Essig-Marinade. Schnittlauch drüber, angenehm säuerlich das Ganze, ein Rindfleischsalat mit gewissen Vorzügen.

In puncto Relevanz übertrumpft das „Original Wiener Schnitzel“ (Bild oben) am Neuen Markt eindeutig den Tafelspitz. Doch so großartig, wie es auf der Karte angedonnert wird, muss es auch wirklich perfekt sein – und das ist es dann auch. Die Panier schlägt schöne Blasen, das Kalbfleisch ist angenehm dünn plattiert. Der Erdäpfel-Vogerl-Salat mit Kernöl ist ebenfalls schwer in Ordnung.

Unter den „Neuer Markt Specials“ hält der Teller dann nicht ganz, was die Karte verspricht: Die perfekt glasig gebratene Dorade mit Salzzitrone, Tomaten und Pinienreis ist geschmacklich und qualitativ in Ordnung (Bild unten), aber schon arg uninspiriert: Fisch gebraten, Reis gekocht, Pinienkerne geschwenkt und eine Sauce mit Tomaten drüber drapieren – dafür braucht man nicht einmal in das von Seniorchef Ewald Plachutta gemeinsam mit der legendären profil-Gastrokoryphäe Christoph Wagner verfasste Standard-Kochbuch-Meisterwerk „Die gute Küche“ schauen. Und würde man die viel zu kleinen Teller vergrößern, müsste man auch nicht alles aufeinanderstapeln. Immerhin ist man bei Plachuttas konsequent: Der Effizienzgedanke der Tischanordnung findet auf den Tellern seine Fortsetzung.

Der sehr gute Service wirkt derart professionell, als wäre er nicht erst eine halbe Stunde länger hier am Werk, als wir es sind. Zum Dessert rät man zur Panna cotta (Bild unten). Die Küche lässt sich da wieder ein bisschen mehr einfallen: Unten die Panna cotta, dann eine Schicht Waldbeeren und darüber eine abgeflämmte, sehr cremige, baiserartig-zuckrige Masse – auch dank der darübergestreuten Pistazien macht dieses Dessert wirklich Spaß.

Übrig bleibt trotzdem ein etwas zwiespältiger Eindruck. Einerseits will man hier abliefern: Man zimmert ein sehr schönes Lokal in Top-Lage, kocht gut bis sehr gut und verabschiedet sich von der Bürgerlichkeit. Andererseits stellt man einfach zu viele Tische rein, als dass die eigentlich lässige Atmosphäre auf den Gast überspringen könnte. Auch beim Essen könnte man bei dem einen oder anderen Gang ein bisschen mutiger werden. Selbst noch kurz allen Mut zusammennehmen, vorbei am anwesenden Kamerateam und raus in Richtung der im Vergleich zum Lokal Ruhe bringenden Kärntner Straße.

Stimmung: eher was für den unkomplizierten Lunch
Empfehlung: Mit Freund oder Freundin kommen? Ihr Gespräch wird auf jeden Fall mitgehört, also besser nur, wenn Sie nicht nebenbei noch verheiratet sind. 
Preisverhältnis: Vorspeisen 12 bis 17 Euro, Hauptspeisen 16 bis 27 Euro, Desserts 6 bis 9 Euro 

Plachuttas Neuer Markt, Neuer Markt 2, 1010 Wien, plachutta-neuermarkt.at

Stephan   Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.