Harald Serafin: Zum Tod des Operettenkönigs
Als Kind muss Harald Serafin einmal in einen Gute-Laune-Zaubertopf geplumpst sein. Denn zeitlebens gab es kein Promi-Mitglied innerhalb Seitenblicke-Karawane, das der Presse, aber auch Fans und Faninnen mit einer derartigen strahlenden, durchaus authentisch wirkenden Freundlichkeit begegnet ist. Das dazu gehörige Lebensgefühl umschrieb er so: „Erstens: Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um uns zu verstecken. Und zweitens: alle Menschen brauchen Streicheleinheiten. Und besonders die Medien.” Beim Verteilen der solchen war er absolut verschwenderisch. Harald Serafin gestaltete sich seine eigene Lebens-Operette und seine Ehefrau „Mausi” („Den Namen hab ich von ihrem ersten Mann übernommen”), eigentlich Ingeborg, war ihm dabei eine mild lächelnde Begleiterin. In einem profil-Interview kommentierte sie die „Haraldik”, also die dauergeölte Selbstdarstellungs-Maschinerie ihres Mannes, liebevoll trocken: „Der Harald ist ausschließlich dann still, wenn er die Augen zumacht. Wenn er nicht laut vor sich hin redet, dann singt oder pfeift er. Er ist ständig in sich selbst versunken.”
Operettenreif war auch die erste Begegnung mit seiner „Mausi”: Es war im „Sacher”, und beide warteten auf ein Date, das jeweils nicht eintraf. Dann tat der Serafin, Sohn eines den damals noch zugkräftigen Satz: „No, gnädige Frau, so alleine?” Dieser Frage entsprang der der Sohn Daniel, heute ebenfalls ein bekannter Sänger und Kulturmanager.
Etwas mürrisch konnte Harald Serafin werden, wenn man ihn nicht erkannte. Ein Kellner in einer Ruster-Weinstube, wo man nach einem Interview anlässlich seiner Intendanz bei den Seefestspielen Mörbisch mit Serafin gelandet war, wusste nicht, welch Prominenter da im Gastgarten Platz genommen hatte. Er wurde liebevoll getadelt: „Lieber, das kann doch nicht sein, dass Sie mich nicht kennen. Ich bitt‘ Sie vielmals.” Durch einen Stimmband-Krebs musste Serafin, dessen komisches Talent von Otto Schenk entdeckt worden war, seine Karriere als gefeierter Operettensänger 1989 niederlegen: „Ich konnte ein halbes Jahr lang nicht einmal mehr Guten Morgen sagen. Ich habe viel geweint. Meine Psychiaterin hat mich gerettet. Da habe ich geschrien, gebrüllt, soweit's eben möglich war, und den ganzen Müll rausgelassen.” Er hatte den Danilo in der „Der lustigen Witwe” rund 1700 gesungen, den Eisenstein in der „Fledermaus” über 700 Mal. Doch auch nach diesem Schicksalsschlag erfand er sich neu und übernahm 1992 die Mörbischer Seefestspiele, unter Eingeweihten auch die Gelsenreitschule oder der Autanisten-Treff genannt, und verwandelte die oft belächelte Institution zu einem Ort der Massenanziehungskraft. Diesen Status zu erreichen, war Knochenarbeit. Der Intendant schrieb vor jeder Premiere 600 Einladungen mit der Hand. 20 Jahre lang. In seinem inneren Computer hat er - ein PR-Zaubertrick von Weltgüte - ein Archiv der jeweiligen Zipperleins seiner „Kunden” gespeichert. Damals mitzuerleben beim serafinschen Handyverkehr: „Ja, mein Guter, ich freu mich. Was macht der Rücken/das Knie/die Bandscheibe? Ich hoffe, wir sehen uns.” „Nun ja”, sagt er, „die Leut' haben das gern. Am leichtesten merk ich mir die mit den Prostataleiden.”
Die Frau Pospischil aus dem Seewinkel war dem Serafin, bei aller VIP-Erregtheit, immer heilig. Denn die Frau Pospischil, gleichsam Serafins Synonym für das Durchschnittspublikum aus der Region, macht am Ende der Saison in der Masse den Sommer. Um das bundesdeutsche Pendant der Frau Pospischil zu akquirieren, scheute er sich auch nicht vor Ochsentouren, „wo er auf jede Pimperl-Touristenmesse in Schleswig-Holstein gefahren ist und dort Wien, Wien, nur du allein' g'sungen hat”, so sein Freund, der Schauspieler und Regisseur Heinz Marecek. Vor allem aus Rücksicht auf die Frau Pospischil, aber natürlich auch aus tiefster innerer Überzeugung ließ er kein Regietheater an meiner Operette kratzen.” Deswegen unterhielt sich der Mann, der in seiner früheren Karriere die Häuser „zum Rrrasen” brachte, mit jedem Regisseur einmal über das Konzept und „dass da ja keinem Hauptdarsteller der Schwanz heraushängt, denn das will die Frau Pospischil nicht. Das ist der peinlich, denn 90 Prozent der Menschen sind ja verkappt.”
„Haben Sie's gut im Kasten, mein Lieber”, fragt der Serafin damals in Richtung Objektiv des profil-Fotografen Philipp Horak. Und es stellt sich die rein rhetorische Frage, ob es für den damaligen Intendanten der Mörbischer Seefestspiele eine lebenswerte Welt jenseits der Kameraobjektive gibt. Auf die rein rhetorische Frage schmetterte der Mann, der oft von seinen Intimfreunden mit Walter Matthau verglichen wurde, aber in seiner Bemühung um theatralische Eleganz an eine Raubkopie von Maurice Chevalier gemahnt, schwungvoll die Kampfparolen „Ich bin so dankbar, dass es mich gibt” oder: „Der liebe Herrgott hat mir die Chance gegeben, so zu sein, wie ich bin” in Richtung See. Es hatte ungefähr 35 Grad und Serafin turnte im Kostüm auf einer Schiffskulisse herum.
Die Chance hat Harald Serafin in aller erdenklichen Ausführlichkeit genutzt. Ob als Sänger, Intendant, späterer Schauspieler im komischen Fach (vor allem in der Komödie Sonny Boys) oder als Juror bei „Dancing Stars”, in dem er das Adjektiv „wunderbar” ausufernd einzusetzen wusste. Er starb im Alter von 93 Jahren und hinterlässt neben seiner Ehefrau seine Tochter Martina und seinen Sohn Daniel.