Juristin: „Betroffene wollen kein Geld, sie wollen, dass es aufhört“
Mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen will die Bundesregierung besser für sexueller Belästigung von Frauen stärken. Die Juristin Yara Hofbauer vertritt Betroffene vor Gericht und berät Unternehmen dabei, wie sie in solchen Fällen reagieren sollten.
Frau Hofbauer, Sie vertreten Betroffene von sexueller Diskriminierung – auch solche, die am Arbeitsplatz belästigt wurden. Was sind denn die häufigsten Fälle, mit denen Ihre Mandantinnen zu Ihnen kommen?
Yara Hofbauer
Die meisten Fälle, die bei mir landen, haben eine physische Komponente. Gerade bei verbalen Belästigungen ist mein Eindruck, dass die Betroffenen eher zurückhaltend sind, juristischen Beistand zu suchen. Außerdem wird in Österreich wahnsinnig viel verglichen. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berät Betroffene kostenfrei und darf sie auch vor der Gleichbehandlungskommission vertreten. Das ist eine Art vorgelagertes Schlichtungsverfahren – und da wird eben viel im Vorfeld geregelt.
Gibt es einen schweren Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Hofbauer
Jetzt gerade behandle ich einen Fall in dem ein Kollege die Mandantin mit bestimmten Informationen unter Druck gesetzt und sie damit zu sexuellen Handlungen gedrängt hat. Auch hier war es typisch österreichisch, würde ich fast sagen. Er ist ohne irgendwas davongekommen und sie steht vor einem Scherbenhaufen, nachdem sie das Verhalten gemeldet hat. Dass Betroffene am Ende den Kürzeren ziehen, ist leider alles andere als selten.
Ist das also ein strukturelles Problem in Österreich?
Hofbauer
Das Problem in Österreich ist, dass es an Transparenz fehlt. Vieles passiert hinter dem Rücken, es hängt stark davon ab, wen man kennt, wo man vernetzt ist und wie viel Macht man hat. Genau das zeigt sich in solchen Fällen. Meldet jemand einen Vorfall, setzt oft eine ganze Maschinerie ein, die versucht, die betroffene Person in die Ecke zu drängen – ihre Glaubwürdigkeit infrage zu stellen, ihr das Leben schwer zu machen. Sie wird ausgegrenzt, von Informationen ausgeschlossen – und oft folgt auf die Belästigung auch Mobbing.
Man kann also sagen, dass sexuelle Belästigung mit Macht zusammenhängt?
Hofbauer
Belästigung geht in der Regel nicht von Personen aus, die wirklich auf Augenhöhe sind. Vielleicht sind sie formal auf derselben Hierarchieebene, aber nicht in derselben Machtposition. Es ist auch eine Machtposition, wenn ich als Mann in einem Team arbeite, das fast nur aus Männern besteht.
Wie zeigt sich diese Dynamik konkret im Umgang mit Beschuldigten?
Hofbauer
Was ich bisher ausnahmslos erlebe, ist, dass die Beschuldigten sich sofort rechtlichen Beistand holen und in die Offensive gehen. Da kommen dann sofort Drohungen mit Verleumdungsklagen und anderen rechtlichen Schritten. Das verunsichert die Betroffenen – und macht auch die Arbeitgeber nervös. Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie erlebt in Situationen, in denen es nur zwei Beteiligte gab, dass der Beschuldigte gesagt hätte: „Es tut mir leid, das war so.“ Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern.
Vertreten Sie auch Beschuldigte, denen Belästigung vorgeworfen wird?
Hofbauer
Ich vertrete keine Beschuldigten und auch keine Unternehmen. Ich berate Firmen nur, wenn sie intern etwas aufarbeiten wollen, ihre Strukturen verbessern möchten oder Schulungen brauchen. Aber in konkreten Fällen stehe ich ausschließlich auf Seiten der Betroffenen.
Jetzt hört man meist nur von weiblichen Opfern und männlichen Tätern. Wie groß ist das Verhältnis von Mann und Frau in der Opfer- und der Tätergruppe?
Hofbauer
Das kann man nicht genau sagen. Viele Menschen verstehen unter sexueller Belästigung nur körperliche Übergriffe. In Wahrheit ist es oft Machtausübung, nicht sexuelles Interesse. Generell ist die Toleranz gegenüber grenzüberschreitendem Verhalten, dass von Frauen ausgeht zudem höher als bei Männern. Wir tun uns allgemein schwer in einer Frau eine Belästigerin zu sehen. Das beeinflusst natürlich auch die Wahrnehmung bei männlichen Opfern. In meinen Fällen waren die Täter aber fast ausschließlich Männer. Das hat mit Machtverhältnissen zu tun. Es gibt mehr Männer mit faktischer Macht – und Belästigung setzt oft genau dort an. Es ist kein geschlechtsabhängiges Verhalten, sondern erlernte Machtausübung. Deshalb glaube ich, dass das Verhalten sozialisiert, nicht biologisch bedingt ist.
Wie genau müssen Opfer ihre Diskriminierungserfahrung nachweisen können, um vor Gericht Erfolg zu haben?
Hofbauer
Für die betroffene Person gilt eine Beweiserleichterung: Sie muss nicht beweisen, sondern nur glaubhaft machen, dass die Belästigung stattgefunden hat. Es muss nachvollziehbar und wahrscheinlich erscheinen, dass es tatsächlich zu der Belästigung gekommen ist.
Und wie genau kann das Opfer das glaubhaft machen?
Hofbauer
Oft steht Aussage gegen Aussage. Deshalb empfehlen wir Betroffenen, früh mit dem Protokollieren zu beginnen: Wer war anwesend? Was hatte die Person an? Wie habe ich mich gefühlt? Je detaillierter, desto besser – das kann später als Beweismittel dienen. In einem Fall geschah etwas auf einem Hotelflur. Wer schnell reagiert, kann Kamerabilder sichern. Auch Fotos von Betriebsfeiern oder Chatverläufe können relevant sein. Manche Betroffene brauchen Zeit, um zu erkennen, was passiert ist. Vielleicht gibt es WhatsApp-Nachrichten an Freundinnen, in denen schon Wochen zuvor etwas angedeutet wurde. Auch diese können als Beweis dienen. Zeugen sind ebenfalls wichtig. Und manchmal hilft ein Blick aufs Verhalten: Eine vorher offene, engagierte Person zieht sich plötzlich zurück, ist häufig krank. Das ist kein Beweis – aber ein Indiz, das zur Beweiskette beitragen kann.
Ist eine Verhandlung für alle Betroffenen der richtige Weg?
Hofbauer
Es kommt darauf an, dass die betroffene Person sich fragt: Was tut mir gut? Manchmal ist der Gerichtsweg nicht der richtige. Ich würde fast sagen: oft ist er es nicht. Das Verfahren dauert ewig, es ist anstrengend – und selten kann man danach einfach zur Normalität zurückkehren. Deshalb ist am Anfang oft nur eine Frage entscheidend: Willst du im Unternehmen bleiben? Wenn ja: Wie erreichen wir das? Und ist es notwendig, juristische Schritte zu gehen? Aus meiner Sicht ist das oft eskalierend – und es ist selten möglich, danach einfach weiterzuarbeiten, als wäre nichts gewesen.
Wenn es dann zu einer Verhandlung kommt: Gibt es dann eine Einsicht der Täter?
Hofbauer
Sobald sie vor Gericht stehen, sind sie plötzlich die gesetzestreuesten, frommsten Lämmchen und super respektvoll. Teilweise sind es wahnsinnig gute Schauspieler. Jeder Mensch ist individuell, aber ein Muster, das ich in vielen Fällen sexualisierter Gewalt sehe: Die Beschuldigten stellen es gerne so dar, als wäre die betroffene Person die nymphomanste Person, die es gibt. – Etwa nach dem Motto: „Sie ist auf mich zugekommen, ich wollte das ja gar nicht.“ Bei jeder zweiten Mandantin hat man das Gefühl, sie wird dargestellt wie eine Pornodarstellerin. Das ist dann immer auch sehr verletzend für die Betroffenen.
Wie hoch ist die Erfolgsquote bei solchen Verhandlungen?
Hofbauer
Was ist ein Erfolg für Sie?
Wenn zumindest ein Schuldeingeständnis kommt.
Hofbauer
Dann ist die Erfolgsquote bei minus 10 Prozent. Ich finde das Ergebnis in solchen Verfahren meistens unbefriedigend. Wenn wir von sexueller Belästigung im Arbeitskontext sprechen, dann gibt es ja keine Strafe im klassischen Sinn, sondern nur Schadenersatz. Und der liegt laut Gesetz bei mindestens tausend Euro – sowohl für die Belästigung selbst als auch für die unterlassene Schutzpflicht durch Arbeitgeber und Arbeitgeberin. Realistisch bleibt man da im unteren Tausenderbereich. Das zieht sich durch das gesamte Antidiskriminierungsrecht. Ich finde es deshalb schwierig, so etwas als „Erfolg“ zu bezeichnen.
Nennen wir es vielleicht nicht Erfolg, doch wie oft gibt es tatsächlich Schadensersatz – und wie oft bleiben Beschuldigte ohne Konsequenzen?
Hofbauer
Die eigentliche Frage ist, glaube ich: Worum geht es den Betroffenen wirklich? Denn in den allermeisten Fällen wollen sie gar kein Geld. Sie wollen einfach, dass es aufhört – und dass sie in Ruhe weiterarbeiten können. Stattdessen sehen sie sich plötzlich einem System gegenüber, das ihnen das Leben schwer macht. Viele sind dann tief enttäuscht und ratlos – und diese paar Tausend Euro Schadenersatz ändern daran gar nichts.
„Nur weil jemand nicht weiß, dass es einen Paragrafen gibt, der das verbietet, heißt das ja nicht, dass das Erlebte keine Wirkung hat.“
Yara Hofbauer über die Dunkelziffer der Opfer von sexueller Belästigung
Viele Betroffene erdulden ihr Leid oft stumm. Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer ein?
Hofbauer
Zur Dunkelziffer zählen nicht nur die, die nichts unternehmen – sondern auch die, die gar nicht wissen, dass das, was sie erlebt haben, überhaupt Belästigung ist. Und nur weil jemand nicht weiß, dass es einen Paragrafen gibt, der das verbietet, heißt das ja nicht, dass das Erlebte keine Wirkung hat. Das Gefühl der Beschämung bleibt – und es schwächt.
Sie haben vorhin schon davon gesprochen, dass man mit Konsequenzen rechnen muss, etwa Kündigungen. Wie real ist diese Angst?
Hofbauer
Die Angst ist real, aber die Konsequenz, dass eine Person gekündigt wird, weil sie eine Belästigung meldet, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot. Darin ist gesetzlich geregelt, dass ich niemanden benachteiligen darf, wenn er eine Diskriminierung meldet oder jemanden unterstützt, der diese meldet. In der Praxis läuft es subtiler, indem Betroffenen das Leben schwer gemacht wird. Ein großes Problem ist auch, wenn es keine standardisierten Abläufe im Unternehmen gibt. Stattdessen versandet alles irgendwo, ohne klares Ende. Dieser Druck führt oft dazu, dass Betroffene aufgeben – nicht, weil sie gekündigt wurden, sondern weil sie gemobbt werden, weil es Lagerbildungen im Team gibt, weil alles unklar bleibt.
Wie reagieren die Unternehmen, wenn es zu einem Fall von sexueller Belästigung kommt?
Hofbauer
Wenn es einen konkreten Fall gibt – dann scheuen meine Auftraggeber und Auftrageberinnen keine Mittel. Was ich allerdings oft sehe: Die Reaktion gegenüber den Belästigern ist sehr milde. Es kommt vor, dass Unternehmen auf mich zukommen und sagen: „Ja, da gibt es einen Vorfall, aber die betroffene Person ist für uns unabdingbar – eine Kündigung ist keine Option.“ So steigen sie dann in den Prozess ein: „Finden Sie eine Lösung, die für alle passt.“ Das mache ich – oder auch nicht, je nachdem, worum es geht.
Welche Konsequenzen sind denn die Regel – und wie häufig werden sie umgesetzt?
Hofbauer
Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein – also das gelindeste Mittel gewählt werden, das wirksam weitere Belästigung verhindert. Eine Entlassung ist selten das gelindeste Mittel. Häufiger sehe ich eine Verwarnung, oft verbunden mit der Verpflichtung zu einer Sensibilisierungsschulung.
Gibt es bestimmte Branchen oder Hierarchien, in denen das Problem besonders häufig auftritt – und seltener verfolgt wird?
Hofbauer
Es zieht sich durch alle Bereiche – auch linke NGOs haben das Thema. Einen klaren roten Faden sehe ich nicht – außer vielleicht: Je männlich dominierter ein Bereich ist, desto höher scheint das Risiko zu sein. Und was man schon sagen kann, ist, dass die Kulturbranche sehr stark betroffen ist – generell, was Grenzverletzungen betrifft. Zusätzlich erhöhen die prekären Arbeitsverhältnisse in dem Bereich das Risiko durch ausgeprägte Abhängigkeiten. Ich glaube, da wird viel auf exzentrische Persönlichkeitsstrukturen geschoben. Das scheint da mehr zu entschuldigen. Und dann gibt es natürlich den Gesundheitsbereich. Da geht es gar nicht immer um Kollegen, sondern oft um Patienten. Besonders bei dementen Personen ist das schwierig.
In einer Arbeitsgruppe zum Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen wird derzeit über „gewaltfreies Arbeiten“ diskutiert – geleitet vom Arbeits- und Wirtschaftsministerium. Zwei Ressorts, die bisher kaum durch Einsatz für Gleichstellung aufgefallen sind. Ist das ein Risiko – oder vielleicht gerade eine Chance?
Hofbauer
Ich bin sehr gespannt, ob da überhaupt irgendetwas herauskommt. Es hat schon Taskforces, nationale Aktionspläne und Fokusgruppen gegeben – und die Ergebnisse waren bisher, ehrlich gesagt, eher enttäuschend. Ich persönlich glaube, es ist völlig egal, wer das leitet.
Wenn Sie drei Vorschläge direkt an die Bundesregierung richten könnten – welche wären das?
Hofbauer
Also ich glaube, am wichtigsten für Betroffene wäre, dass die Gleichbehandlungsanwaltschaft endlich zu Gericht gehen kann. Der zweite Wunsch wäre, dass man Verwaltungsstrafen einführt und die ganze Verantwortung nicht bei Betroffenen lässt. Und der dritte Wunsch wäre, dass man Rechtsschutzversicherungen verpflichtet, immateriellen Schadenersatz bei Diskriminierung zu übernehmen.