Elena Wolff: „Ich gehe definitiv an Schmerzgrenzen“

Elena Wolff macht spitzfindiges, junges Kabarett und trifft damit die Knackpunkte ihrer Generation. Im Gespräch verrät sie, wie man Machtstrukturen und Privilegien in der Comedy-Szene aufbrechen kann.

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profil: Worum geht’s in deinem aktuellen Programm „Apokalypse Frau“, das du kurz vor dem Lockdown zum ersten Mal im Kabarett Niedermair performt hast?
Elena Wolff: Um den Überlebenskampf einer jungen, weiblich gelesenen Person. Ich versuche das in einen Gesamtkontext zu bringen und bin mir meiner Privilegien bewusst. Ich trete nicht nur nach oben, sondern auch seitwärts. Ich finde wichtig, dass man auch innerhalb der eigenen Kreise erkennt, welche Privilegien man genießt und an welchen strukturellen Problemen man selbst Anteil hat.

profil: Du bist vom Schauspiel zum Kabarett gekommen – wie passierte diese Entwicklung?
Elena Wolff: Am Theater ist man hauptsächlich als Interpret:in gefragt, und nicht als selbst kreativ denkende Person. Ich liebe das Theater sehr, aber es ist mir nicht genug. Die meisten Stadttheater sind immer noch wahnsinnig hierarchisch und chauvinistisch, die Inhalte oft sexistisch und  rassistisch. Damit wollte ich nicht assoziiert werden, und ich habe gemerkt, dass es mich emotional zu viel kostet,solche Texte auf der Bühne wiedergeben zu müssen. Es hat sich viel Schmerz und Wut in mir angestaut, die ein Outlet gebraucht haben.

profil: Du performst ja nicht nur auf Kabarett-Bühnen, sondern auch auf deiner digitalen TikTok-Bühne. In den kurzen Videos schlüpfst du in verschiedenen Charakteren, wie beispielsweise „Influencer-Indira“.
Elena Wolff: Wir sind alle die Summe unserer Eigenschaften und perpetuieren mit unserem Handeln gängige Machtverhältnisse. Meine Figuren haben auch Anteile von mir, da ist keine moralische Überlegenheit ihnen gegenüber. Durch die Überzeichnung findet idealerweise eine Selbstwiedererkennung statt, andererseits aber auch Anklage. Die Videos sollen unterhalten, aber auch darauf hinweisen, wie unsere Welt gerade strukturiert ist und was man verändern könnte.

profil: Du sprichst oft schwierige, harte Themen wie toxische Beziehungen und Depressionen an. Welche Resonanz bekommst du darauf?
Elena Wolff: Ich habe das Gefühl, dass das Ansprechen gerade bei Menschen in meinem Alter oft für Erleichterung sorgt. Wir sind alle desillusioniert aufgewachsen, sind mit klimatischen Veränderungen und anderen instabilisierenden Lebensumständen konfrontiert – und ich glaube, ich fange manche in ihrer Wahrheit und in ihrer Lebensrealität auf. Menschen aus älteren Generationen reagieren da viel verstörter.Meine Themen würden sie nicht mit einer weiblich gelesenen Person auf einer Bühne in Verbindung bringen.

profil: Wie meinst du das?
Elena Wolff: Das ist interessant, es gibt immer noch so eine Diskrepanz zwischen dem was man bei welchem Geschlecht akzeptabel findet und bei welchem nicht. Ich weiß genau, dass wenn ein männlich gelesener Comedian dunkle und provokante Dinge ansprechen will oder sein Programm Christallnacht nennt, dann findet man das halt edgy und cool. Bei mir hat das noch mal einen ganz anderen Schockwert. Auf den leg ich es aber gar nicht an. 

profil: Du bist beim PCCC*, dem „Politically Correct Comedy Club“ aufgetreten. Wie wichtig ist dir das Prädikat „politisch korrekt“ für deine Arbeit?
Elena Wolff: I
n meinem Programm gehe ich definitv an die Schmerzgrenzen. Meine Definition von politischer Korrektheit ist, mich zu fragen: Wie bewege ich mich innerhalb von Machtstrukturen und auf wessen Kosten gehen meine Witze? Perpetuiere ich negative Stereotype? Sorge ich für weitere Ausgrenzung? Wie inklusiv ist meine Sprache? Das sind die Dinge die ich überprüfe, und die mir persönlich auch sehr wichtig sind. Ich finde das aber spannend, weil das prüft, wie gut man tatsächlich schreiben und wie gut man mit gewissen Einschränkungen umgehen kann. Wenn ich mir vorstelle, einen sexistischen oder rassistischen Witz zu machen, und dann sind da 2000 Leute in der Halle und lachen sich tot - das finde ich beängstigend. Die fühlen sich in dem Moment in ihrem Hass aufgenommen, man dient ihnen als Sprachrohr. Das will ich nicht sein. Ich ziehe da Grenzen.

profil: Welche Grenzen sind das?
Elena Wolff: Ich passe auf, dass ich keine Witze über Opfer von sexueller Gewalt mache, sondern wenn, dann über die Täter. Ich passe auf, dass ich generell keine Witze über die Opfer von Machtstrukturen mache, sondern über jene die diese Machtstrukturen perpetuieren. Dann mache ich natürlich keine antisemitischen, xenophoben oder rassistischen Witze. Die gehen mir auch nicht ab. Wenn, dann mache ich mich lustig über die Menschen, die rassistisch agieren. Nicht die, denen Rassismus begegnet.

profil: Viele würden politisch korrekt und lustig nicht in Verbindung setzen. Wie gehst du mit diesem Vorurteil um?
Elena Wolff: Ich glaube nicht, dass sich politisch inkorrekt und lustig sein gegenseitig bedingt. Es gibt jede Menge fantastische Beispiele hochbegabter Satiriker:innen und Comedians, die sehr gut Werte und Witz miteinander vereinbaren. Dass Sensibilität Humor behindert, ist nur eine Ausrede von Menschen mit mangelndem Talent. Zum Thema Dave Chapelle denke ich mir: Er stellt sich einfach auf die Bühne und sagt, dass trans Frauen keine Frauen sind. Das ist ja nicht mal ein Witz. Das ist einfach seine persönliche politische Agenda die er vertritt, mit der er potentiell realen Schaden anrichten kann. trans Frauen, vor allem trans Frauen of color sind überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewaltverbrechen, trans Jugendliche sind aufgrund ihrer erlebten Diskrimierung überproportional suizidgefährdet. In Anbetracht dieser Tatsachen sind solche Aussagen kein harmloser Spaß.

profil: Beobachtest du in dieser Hinsicht einen Cancel Culture-Mechanismus?
Elena Wolff:
Ich erkenne zwar einige auch für mich besorgniserregende Mechanismen, die jegliche Form von Weiterentwicklung ausschließen, aber ich habe bis jetzt selten gesehen, dass jemand von denen, von denen es behauptet wurde, tatsächlich gecancelt wurde. Viele waren bis jetzt einfach nie mit Konsequenzen für ihr destruktives Handeln konfrontiert. Teils sehe ich aber auch innerhalb der Linken eine gewisse Feindseligkeit, die ich problematisch finde. Sie führt dazu, dass wir uns nicht mehr gegenseitig unterstützen, sondern immer weiter zerfleischen und anhand unserer Differenzen in Grüppchen unterteilen. Es geht dann häufig mehr um intellektuelle Überlegenheit als um ehrliche Aufklärung.

profil: Erlebst du das auch in Bezug auf dich selbst?
Elena Wolff: Letztens meinte jemand zu mir, ich müsste eine Triggerwarnung für Emetophobie einfügen, weil ich ein Würgegeräusch von mir gegeben habe. Ich kann aber unmöglich alle meine Inhalte so gestalten, dass kein Mensch jemals Anstoß daran nimmt. Das ist tatsächlich nicht möglich. Ich habe auch Trauma-Erfahrung, gewissermaßen muss ich mich manchmal einfach damit konfrontieren. Man kann nicht von mir erwarten, dass ich jetzt alle 130 potentiellen Phobien auswendig kenne.

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Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.