Die Leicester-Anhänger können ihr Glück kaum fassen
Der Fußballgottesbeweis

Kabinenpredigt: Der Fußballgottesbeweis

Warum Leicesters unglaublicher Premier League-Triumph tatsächlich das Beste ist, was dem Spiel mit dem runden Leder passieren konnte.

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Ja, es gibt ihn offenbar wirklich, den lieben Fußballgott. Wie sonst ließe sich erklären, was sich heuer – in dieser denkwürdigsten aller Premier League-Saisonen – zugetragen hat? Kurz zur Erinnerung: Leicester City war vor der Saison von allen Experten als klarer Abstiegskandidat gehandelt worden; mit einer Meister-Wahrscheinlichkeit von 1:5000. Das ist in etwa die selbe Quote, die man in englischen Wettbüros dafür bekommt, dass Elvis lebend wieder auftaucht und ein Comeback gibt. Nicht umsonst: Genauso unglauwürdig wie eine etwaige plötzliche Wiederkehr des "Kings“ muten die diversen Geschichten um die definitiv größte Sensation der englischen Fußballgeschichte an.

Vardy wird England – es kann wohl gar nicht anders kommen – höchstwahrscheinlich im Sommer zum EM-Titel schießen.

Da wäre etwa der Hollywood-reife Werdegang des Jamie Vardy, der gerade als Englands Fußballer des Jahres ausgezeichnet wurde. Vardy, ein 87er-Jahrgang, spielte noch vor fünf Jahren in Englands siebthöchster Spielklasse, der Northern Premier League. Nachdem er in eine Schlägerei geraten war, musste er zu dieser Zeit eine elektronische Fußfessel tragen – bei Auswärtsspielen wurde er in der Regel nach einer Stunde ausgewechselt, damit er seine auf bestimmte Zeiträume begrenzte Ausgangssperre einhalten konnte. Zu Beginn der Saison 2011/12 wechselte Vardy zum Fünftligisten Fleetwood Town, ein Jahr später folgte schließlich der Transfer zum damaligen Zweitligisten Leicester City. Mittlerweile ist der 29-Jährige englischer Nationalspieler und wird sein Land – es kann wohl gar nicht anders kommen – höchstwahrscheinlich im Sommer zum EM-Titel schießen.

Vardy ist jedoch nicht der einzige vermeintliche Außenseiter, der im Zuge dieser unglaublichen Geschichte zum Helden wurde. Seine ganz persönliche Erfolgsgeschichte konnte nun auch ÖFB-Teamkapitän Christian Fuchs krönen. Der gebürtige Niederösterreicher mauserte sich im Laufe seiner Karriere vom Mattersburger Geheimtipp zum Leistungsträger bei Schalke 04 und schließlich zum Meister in der finanzkräftigsten Liga der Welt. Kaum ein österreichischer Spieler der letzten Jahrzehnte hat sein Potential derart ausgeschöpft wie der 30-jährige Linksverteidiger.

Manchmal fertigt die Wirklichkeit die Fiktion eben mit einem 5:0 ab.

Meistermacher Claudio Ranieri wäre ein weiteres gutes Beispiel. Der Italiener hatte vor dem jetzigen Coup noch keinen großen Titel geholt. 2014 sorgte er noch als griechischer Teamchef mit einer blamablen 0:1-Heim-Niederlage gegen die Färöer-Inseln für Negativ-Schlagzeilen. Nun durfte sich der 64-Jährige sogar über Lobeshymnen des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi freuen. Dabei sind Ranieris zuweilen unorthodoxe Teambuilding-Methoden ein weiterer wunderbarer Anachronismus im modernen Fußballgeschäft. Im Dezember des Vorjahres sorgten die Leicester-Spieler etwa für Schlagzeilen, als sie – zwischen zwei Premier League-Spielen – nicht ganz nüchtern durch Kopenhagen streiften. In Ninja Turtles-Kostümen! Der Trainer hatte einfach mal spontan drei Tage frei gegeben.

Manchmal fertigt die Wirklichkeit die Fiktion eben mit einem lockeren 5:0 ab. Englands Stürmer-Legende Alan Shearer bringt die allgemeine Stimmungslage auf den Punkt, wenn er sagt: "Was ein Team wie Leicester schaffte, es nicht nur mit den reichen und erfahrenen Giganten aufzunehmen, sondern sie zu schlagen, ist das Beste, das dem Fußball passieren kann.“ Auch der Guardian titelte am Dienstag dieser Woche begeistert "Viva Leicester!“. Man möchte bedingungslos in diesen Chor einstimmen und ein lautes "Viva Fußball!“ hinzufügen.