Kanalarbeiter in Wien: Auf der Suche nach dem goldenen Ring

Im öffentlichen Raum kaum wahrgenommen, sorgen sie dafür, dass das Wiener Abwasser ungehindert die Stadt verlässt. profil hat Wiener Kanalarbeiter in ihrem Alltag begleitet.

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Hupkonzerte, Beschimpfungen und Lärmbelästigungsklagen stehen für die Wiener Kanalarbeiter auf der Tagesordnung. Denn sie arbeiten oft in den frühen Morgenstunden oder spät nachts. „Den Menschen ist oft nicht klar, dass unter der Straße, im Kanal, Arbeiter am Werk sind. Sie sehen nur den Arbeiter, der oben steht und hinunter schaut“, kommentiert Josef Gottschall aus dem Büro für Öffentlichkeitsarbeit von Wien Kanal.

Gerhard Heczko, Leiter des Personalbüros, (links) und Josef Gottschall, Leiter des Büros für Öffentlichkeitsarbeit bei Wien Kanal.

In Inzersdorf, am Stützpunkt von Wien Kanal, beginnt die Arbeit früh. Um 7:45 Uhr sind einige Fahrzeuge und Arbeiter bereits unterwegs. Zunächst werden die Hygienevorschriften erklärt. Es gibt zwei Garderoben, die durch einen Gang mit Duschen verbunden sind. In der ersten Garderobe entledigt sich jeder Kanalarbeiter zunächst seiner Privatkleidung, um sich in der zweiten Garderobe sein Arbeitsgewand anzuziehen. Dann werden die notwendigen Geräte ausgefasst: Helm, Stirnlampe und geeichetes Gasmessgerät. Nach einer Schicht müssen die Arbeiter zuerst ihre Arbeitsmontur putzen, duschen und dürfen sich erst dann wieder ihr Privatgewand anziehen. Die Hygienevorschriften werden streng eingehalten.

Die erste Station ist der Großmarkt in Inzersdorf. Weil es sich um ein Privatgelände handelt, wurde Wien Kanal explizit angeheuert, um die Abwasserbecken zu reinigen. Das Kanalgitter wird unter großem Kraftaufwand mit einem Krampen geöffnet. Darunter befindet sich eine bizarre Suppe aus Abwasser, Styropor und Laub. „Styropor gehört definitiv nicht in den Kanal. Viele Menschen wissen nicht, was hier hinein darf, und was nicht.“, erklärt ein Kanalarbeiter. Mit einer Art Riesenstaubsauger wird die Brühe abgesaugt. Anschließend werden Gitter und Abwasserbecken gereinigt.

Der zweite Halt ist eine Wohnhausanlage. In den vergangenen Tagen sei es öfter zu Überschwemmungen aus dem Kanal gekommen. Es bedarf einer Grundreinigung. Wieder werden die Kanalgitter, die in regelmäßigen Abständen in der Mitte eines Gehwegs liegen, geöffnet. „Wir achten darauf, dass der Zugang zum Wiener Kanalsystem immer genau in der Mitte der Straße liegt. Sonst müssten die jeweiligen Hausparteien für den Anschluss an den Kanal unterschiedlich viel zahlen. Das wäre ungerecht“, erklärt Gottschall.

Ein mit Hochdruck betriebener Wasserschlauch schießt durch den Kanal und wird anschließend händisch zurückgezogen. Am Grund des letzten Abwasserbeckens funkelt es in der Sonne. Es folgen Diskussionen, ob es sich um einen Ring, oder um den Kronkorken einer Bierflasche handelt. Einer der Kanalarbeiter will es schließlich wissen, und steigt hinab. In geeigneter Montur, mit Helm und Stirnlampe und an einem Seil gesichert, klettert er die schmale Leiter hinunter. Nach wenigen Minuten ist klar: Es handelt sich tatsächlich um einen mit Brillanten besetzten Ring. „Den säubern wir jetzt und bringen ihn zum Fundamt der Stadt Wien. Vielleicht meldet sich jemand“, sagt einer der Kanalarbeiter. Immer wieder würden sie Wertgegenstände im Kanal finden. Ein solcher Fund sei dennoch eine Seltenheit. „Bei uns ist die Lage manchmal angespannt, aber nie ernst“, sagt Gottschall lächelnd.

Mit einem Kleinbus geht es weiter in den zwölften Bezirk. Die Kanalarbeiter haben eine Nebenstraße abgesperrt und reinigen, erneut mit Hochdruck, den Kanal. Hier ist es zum Glück möglich, die Arbeit maschinell zu verrichten. In anderen Bezirken, wie der Inneren Stadt oder Erdberg, müsse man händisch arbeiten. Im ersten Bezirk seien die Gassen größtenteils zu eng für die sperrigen Fahrzeuge. „In Erdberg gab es in einer Straße einige Beschwerden wegen Ruhestörung, weil wir unsere Arbeit in der Nacht verrichtet haben. Daher dürfen wir dort keine großen Fahrzeuge mehr einsetzen“, erklärt Gottschall.

Die händische Arbeit der Kanalarbeiter erfordert einen hohen Kraftaufwand und sehr gute Kondition. Bereits bei der Bewerbung müssen angehende Arbeiter einen Leistungstest bestehen. Dieser wird in Kooperation mit dem Sanatorium Hera durchgeführt. Die Ergebnisse werden vertraulich behandelt. Wien Kanal erhält nur eine Einstufung der Kandidaten, jedoch keine Details. Wichtig sei auch, in persönlichen Gesprächen die Teamfähigkeit der Kanalarbeiter in spe zu ermitteln. „Bei uns gibt es nur Teamplayer. Alles andere wäre gefährlich“, erläutert Gerhard Heczko, Leiter der Personalstabstelle von Wien Kanal.

Die Kandidaten, die das Auswahlverfahren bestehen, hätten die Möglichkeit zu einem „Schnuppertag“, bei dem der Arbeitsalltag der Kanalarbeiter vermittelt werde. „Die Arbeiter, die dann noch überzeugt sind, bleiben bis zur Pension“, sagt Heczko. Frauen gibt es unter den Kanalarbeitern übrigens nicht. Das liege daran, dass nur wenige Frauen den körperlichen Eignungstest bestehen würden. Jene, die den Test positiv absolvieren, ziehen ihre Bewerbung nach dem Probearbeitstag häufig jedoch wieder zurück. Die Ressourcen wären aber vorhanden: So gibt es Umkleiden und Duschen für Männer und Frauen.

Die vierte Station führt mich in den zehnten Bezirk. Dort wird einer der kleinsten Kanäle, 1m05 hoch und 70cm breit, mit einem Roboter durchfahren um mögliche Schäden zu entdecken. Dass diese Arbeit ebenfalls maschinell möglich ist, sei eine große Erleichterung. Denn gerade die manuelle Arbeit im Kanal sei für die Kanalarbeiter eine enorme körperliche Belastung. „Gerade die älteren Arbeiter müssen häufiger in den Krankenstand“, erklärt Heczko. Es handle sich dabei vermehrt um körperliche Abnützungserscheinungen an Beinen, Hüfte und Oberkörper. Auch Krebserkrankungen würden häufig auftreten. Einige Arbeiter seien bereits im Dienst verstorben, andere knapp nach der Pensionierung.

Dennoch fällt die Kanalarbeit nicht in die Regelung des ab Jänner 2016 auch rückwirkend in Kraft getretenen Gesetzes zur Schwerarbeiterpension. Dieses basiert auf einem Gutachten für das, so Johann Wanek von Wien Kanal, "ein völlig realitätsfremdes Tätigkeitsprofil" herangezogen wurde. Der Gutachter habe sich die Tätigkeit der Kanalarbeiter nicht vor Ort angesehen, sondern sich nur an die Vorgabe des Kalorienverbrauchs gehalten. Demnach würden Wiener Kanalarbeiter 150 Kalorien zu wenig verbrauchen, um in die Schwerarbeiterregelung zu fallen.

Den Kalorienverbrauch hätte der Gutachter bei Vorarlberger Klärwärtern gemessen, die für Wiener Verhältnisse nicht repräsentativ sind. Die Gewerkschaft von Wien Kanal steht diesem Ergebnis verärgert gegenüber. Wie es nun weiter geht, ist noch unklar. Es wurde zwar ein neuerlicher Termin zur Evaluierung der Arbeiten im Kanal der Stadt Wien vereinbart, dieser habe aber noch nicht stattgefunden. "Beurteilen kann man das meiner Meinung nach nur, wenn man sich vor Ort über die Arbeitsverhältnisse im Kanal selbst ein Bild macht", erwidert Helmuth Laschke, Vorsitzender der Gewerkschaft von Wien Kanal. Veränderungspotenzial gebe es bei der Gesetzesnovellierung kaum noch. Im Zuge der neuerlichen Evaluierung müssten die Tätigkeiten im Kanal aller Berufsgruppen, auch der Facharbeiter und Werkmeister, begutachtet werden. Ziel sei, jede Form der Kanalarbeit für die Schwerarbeiterregelung anerkennen zu lassen. Im schlimmsten Fall müsste die Gewerkschaft von Wien Kanal die Aufnahme in die Schwerarbeiterregelung bei den Sozialversicherungsträgern einklagen. Die Gewerkschaft sehe den bevorstehenden Verhandlungen positiv entgegen.

Die Fakten

  • Die Wiener Kanalisation ist 2400km lang
  • Um 10km wird das Wiener Kanalsystem pro Jahr erweitert
  • Der kleineste Kanal ist 1m05 hoch und 70cm breit
  • 450 Mitarbeiter gibt es bei Wien Kanal
  • Davon sind nur 230 tatsächlich Kanalarbeiter
  • Die verbleibenden 220 Mitarbeiter sind Chemiker, Schlosser, Ingenieure
  • Das Einstiegsgehalt eines Kanalarbeiters beläuft sich auf etwa 2.200€ brutto
  • In diesem Gehalt sind Zulagen für Schmutz, Gefahr und Erschwernis bereits enthalten
  • Der Beruf des Kanalarbeiters fällt nicht in die Schwerarbeiterpension
  • Pro Tag gibt es in etwa zwei bis drei Bewerbungen für eine Stelle als Kanalarbeiter
  • Davon werden 10 bis 15 Kandidaten zum Hearing eingeladen