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Klaus Kamolz: Matzenbrot

Das letzte Abendmahl (II): ein schnelles Brot zum Abschied.

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Matzenbrot also. Kein letztes Abendmahl ohne Matzenbrot. „Am ersten Tag des Festes der ungesäuerten Brote“ – so beginnt beim Evangelisten Markus die Schilderung des Paschamahls. Aber die Sache mit dem ungesäuerten Brot ist natürlich viel älter. Im Buch Exodus des Alten Testaments wird ein riesiges Brimborium darum gemacht, den Sauerteig rechtzeitig zum Fest aus den Häusern zu schaffen. In Exodus 12,39 erfolgt dann auch die Erklärung: Es war beim Auszug aus Ägypten einfach keine Zeit mehr, den Teig gehen zu lassen, man ging selbst in aller Eile: „Aus dem Teig, den sie aus Ägypten mitgebracht hatten, backten sie ungesäuerte Brotfladen, denn der Teig war nicht durchsäuert, weil sie aus Ägypten verjagt worden waren und nicht einmal Zeit hatten, für Reiseverpflegung zu sorgen.“

In der Theologie wird seit ewigen Zeiten darüber diskutiert, ob und wenn ja, wie viel die Paschafeier mit dem letzten Abendmahl zu tun hat. Jedenfalls führen die christlichen Evangelisten den Abend auf jenes Fest zurück, das die bittere Zeit des Volkes Israel – 430 Jahre übrigens – als Gastarbeiter am Bau und Erntehelfer beendete.

Das rituelle Sedermahl der Juden zum Auftakt des Pessachfestes, das an den Auszug aus Ägypten erinnert, enthält zahlreiche Anspielungen auf diese Zeit: Bitteres, das die bittere Epoche symbolisieren soll, Süßes aus Früchten und Gewürzen, das den Lehm darstellt, mit dem die Israeliten am Nil bauen mussten, Salzwasser als Metapher für die Tränen, Erdfrüchte als Erinnerung an die Feldarbeit, ein Ei für Fruchtbarkeit und Zerbrechlichkeit zugleich, eine Lammkeule als Opfersymbol und ein Glas Wein, das den ganzen Abend unberührt bleibt, falls der Prophet Elija doch noch zum Essen vorbeischaut.

Mich interessiert aber Matze, das Brot. Meine periphere Kenntnis der Speiseregeln Kaschrut ließ mich zunächst vermuten, dass es alles andere als egal ist, welches Mehl man dafür verwendet. Am ehesten wird es ein Mehl sein, dachte ich, das von einem einzigen Weizenkorn abstammt, welches ein Rabbiner im 14. Jahrhundert zum Messias unter den Getreiden erklärt hatte.

Ich fuhr in die Wiener Leopoldstadt … Nein, in dem Fall ist es viel besser, wenn ich sage, ich setzte auf die Mazzesinsel über und suchte den koscheren Supermarkt in der Taborstraße auf. Dort fragte ich einen Verkäufer, der gerade Regale einschlichtete, nach dem richtigen Mehl für Matzenbrot.

Er lächelte milde und sagte: „Ach, die meisten nehmen das da.“ Und er zeigte auf eine Packung glattes Mehl Type 480 einer in Österreich weit und breit vertretenen Mühle.

„Und das geht?“, fragte ich ungläubig.

„Ja, nur eines ist wichtig: Das Brot muss in 18 Minuten fertig sein.“

Logisch, wenn die Zeit zum Aufbruch drängt. Die 18 Minuten haben in dem Fall auch keine religiös-symbolische Bedeutung (also etwa, wie lange Moses brauchte, um das Rote Meer zu teilen); nein, die 18 Minuten sind eine biochemische Annahme: Nach dieser Zeit setzt die Säuerung ein. Gestoppt wird daher von dem Moment, in dem Mehl und Wasser miteinander vermischt werden.

Also dalli, dalli! Das Backrohr muss am Anfang verlässlich auf 220 Grad vorgeheizt sein. In der Küchenmaschine knete ich aus 250 g Mehl, 125 g zimmerwarmem Wasser und 1 TL Salz in 3 bis 4 Minuten einen homogenen, geschmeidigen Teig. Den schneide ich in 8 Stücke, walke sie mit dem Nudelholz zu 2 mm dünnen Fladen aus und schneide diese rechteckig zu. Dann drücke ich mit einem breiten Messerrücken quer und im Abstand von 1 cm Rillen in den Teig und steche zwischen den Rillen je eine Reihe Löcher mit der Gabel. So kommen die Fladen auf Backpapier ins heiße Rohr, aus dem ich sie nach etwa 8 Minuten knusprig und zart gebräunt wieder erlöse.

Nachtrag in eigener Sache:

Was sind schon 18 Minuten gegen sechzehneinhalb Jahre? So lange habe ich hier, Woche für Woche, meine Liebesbeziehung zum Kochen und zu möglichst gutem Essen daheim oder in der Gastronomie öffentlich gemacht. Es hat mir ausnahmslos immer großen Spaß gemacht; im Kosmos Küche kann man sich weder satt schreiben noch satt essen, so vielfältig sind die Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu kombinieren, um Gutes zu erschaffen.

Mit dieser Ausgabe von profil erscheint eatdrink ein letztes Mal, und nachdem die Kolumne doch schon über 16 ist, darf man im Einklang mit den Jugendschutzgesetzen symbolisch ein Glas mit ihr heben. Am besten mit einem Wein aus dem unendlichen Fundus von Adi Schmid, der hier seit mehr als zehn Jahren Empfehlungen abgegeben hat, auf die man sich immer verlassen konnte. Wie viele es waren, habe ich ihn jetzt gefragt. Und mit der gelassenen Souveränität eines Peter Filzmaier antwortete er: 502.

Ich bedanke mich beim Doyen der österreichischen Sommelerie. Und ich bedanke mich bei meiner Leserschaft für Zuspruch und Kritik, fürs altmodische Herausreißen der Seite, um etwas irgendwann nachzukochen, und auch fürs Verschludern der Zettel, gefolgt von der Bitte um erneute Zusendung des Rezepts, für Ergänzungen und Korrekturen, für Anregungen und Bestätigungen. Kurzum: für Ihr echtes Interesse. Und Interesse ist in der Zeit, in der wir leben, etwas besonders Wertvolles.