Das Stück „Burgtheater“ zeigt eine Schauspielerdynastie, die sich vom NS-Regime für die Unterhaltungs- und Propagandamaschinerie instrumentalisieren lässt. Sie spielen Schorsch, jene Figur, die auf der Biografie Ihres Großvaters Paul Hörbiger basiert. Ist da ein Skandal vorprogrammiert?
Hörbiger
Das wird das Lustige daran sein, dass die, die sich jetzt auf einen Skandal freuen, den sie damals gar nicht mitbekommen haben, sich dann wahrscheinlich darüber aufregen, dass der erwartete Skandal ausbleibt, weil sie nicht den gesamten Text serviert bekommen.
Das hat Elfriede Jelinek, die die Aufführung über 40 Jahre verboten hat, erlaubt?
Hörbiger
Wer Milo Rau kennt, weiß, dass er total aktionistisches Theater macht, da wird nichts brav nach dem Textbuch abgespielt. Da kommen neue Passagen dazu, da ist viel Technik im Spiel. Der Mann hat ja eine Energie, da wird einem ganz schwindlig. Heute Morgen hatte ich sogar schon um halb sechs einen Anruf von Milo, aber vielleicht hat er sich auch nur verdrückt. Oder er wollte mich tatsächlich wachrütteln.
„Heimkehr“ wurde und wird als Unterrichtsmaterial an Universitäten gezeigt, als Lehrbeispiel für einen der perfidesten Propagandafilme. Ihre Tante Elisabeth Orth meinte, dass ihre Mutter Paula Wessely diesen Monolog leider auch noch so gut spielte.
Hörbiger
Ja, da kann ich ihr nur recht geben: sehr gut schrecklicherweise, dieser Haselnussmonolog. Paula Wessely hat einen unglaublich modernen Schauspielstil geprägt. Sie führte eine Natürlichkeit ein, die es vorher weder im Film und schon gar nicht auf der Bühne gab, indem sie so spielte, als ob sie nach dem nächsten Wort suchen würde.
Was ist bitte der Haselnussmonolog?
Hörbiger
Na ja, Paula Wessely sagt in dieser schrecklichen Kerkerszene sinngemäß so etwas wie, dass der Haselnusszweig wieder deutsch werden müsse und es so schön sein werde, wenn auch die Vöglein wieder endlich deutsch singen. Und kurz davor hat sie noch unter Max Reinhardt das Gretchen gespielt. Aber noch grauenhafter als die klar als solche gekennzeichneten und entsprechend durchschaubaren Propagandafilme finde ich fast diese Schmonzetten, wo Walzer- und Weinseligkeit vorgegaukelt wird, während längst das brutale Morden vor sich ging. Mein Großvater Paul Hörbiger hat sicherlich in mindestens 100 solcher Filme mitgewirkt, die während des NS-Regimes als Ablenkungsmanöver und Durchhaltezuckerln dienten. Schließt die Augen: Hier wird getanzt, hier ist alles happy. Das finde ich fast noch gruseliger.
Bei solchen Debatten der Schuldzuweisungen stellt sich oft die Frage: Wie hätte man selbst reagiert?
Hörbiger
Wer weiß, vielleicht wäre ich Hitlers Lieblingsschauspielerin geworden. Ich kann es tatsächlich nicht sagen, wie ich mich verhalten hätte. Wahrscheinlich nicht so toll. Man wollte einfach weiterarbeiten und hat alles andere ausgeblendet.
Hätte Paula Wessely die Teilnahme an „Heimkehr“ ablehnen können, ohne Schaden zu nehmen?
Hörbiger
Ja, hätte sie. Davon bin ich überzeugt. Alle drei, Paula, Attila Hörbiger und mein Großvater Paul standen auf der Liste der „Gottbegnadeten“, das heißt, sie waren sozusagen unantastbar, weil man sie für die Unterhaltungsmaschinerie brauchte. „Heimkehr“ bleibt an ihr kleben. Das hat sie nicht mehr abschütteln können, der Film war einfach zu perfide. Und dieser Monolog ist nicht zu verzeihen. Elfriede Jelinek hat „Heimkehr“ in den frühen 1980er-Jahren im Filmmuseum gesehen und dann im Dunklen begonnen, diese Dialoge mitzuschreiben, um diesen Sprachduktus zu verinnerlichen. So ist das Stück „Burgtheater“ damals entstanden. Diese Sätze – „Ich bin ja nur eine Schauspielerin“ oder „Nur ein Komödiant“ –, die im Stück immer wieder vorkommen, dienten Paula Wessely tatsächlich als Rechtfertigung. Es war auch so unfassbar, dass beide, sowohl sie als auch Attila Hörbiger, nach dem KriegPrelativ rasch wieder auf der Bühne stehen konnten.
Ihr Großvater Paul Hörbiger, ein umschwärmter Publikumsliebling seiner Zeit, starb 1981, als Sie zwei Jahre alt waren. In einem früheren profil-Interview bezeichneten Sie ihn als „relativ sauber“, was seine NS-Vergangenheit betrifft. In der Rezeptionsgeschichte wird er auch manchmal als Mitglied des Widerstands bezeichnet.
Hörbiger
Na ja, so weit würde ich jetzt nicht gehen. Er hat, was relativ naiv klingt, gegen Kriegsende einen Scheck für eine junge Widerstandsgruppe unterschrieben, die unter anderem auch Swing-Musik hörte, was damals auch schon unter ein Verbrechen fiel. Da ist einiges zusammengekommen. Er hatte auch, das war noch in Berlin, für zwei jüdische Kollegen versucht zu intervenieren. Dafür wurde er verhaftet, er kam hier in die Justizanstalt, ins Graue Haus, und war schon bereit zum Schädeln.
Was bedeutet das?
Hörbiger
Man hatte meinen Großvater schon für die Enthauptung bereit gemacht. Sie wollten ihn loswerden, weil er eben nicht mehr so gekuscht hat, wie sie wollten. Sein Glück war, dass diese Meldung hier schnell die machte und auch im Radio gebracht wurde. Die Empörung über die Ermordung eines Publikumslieblings wollte man dann doch nicht auf sich nehmen. Das hat ihm das Leben gerettet. Er wurde dann nach Spandau in Berlin überstellt, in das sogenannte Todesgefängnis, wo die Leute in Haft regelrecht verhungerten. Im April 1945 wurde er befreit, völlig abgemagert und vom Typhus gezeichnet.
Wurden die Verstrickungen der Familie in die NS-Unterhaltungsmaschinerie bei Ihnen zu Hause thematisiert?
Hörbiger
Nein, gar nicht. Das Andenken an meinen Großvater wurde immer hochgehalten. Und die NS-Geschichten der Familie unter den Teppich gekehrt. Mein Vater Thommy Hörbiger, der 2011 verstorben ist und zu dem ich ein großes Naheverhältnis hatte, hat tatsächlich nahezu jedes Mal geweint, wenn er den Paul am Sonntagnachmittag in irgendeiner Schmonzette im Fernsehen gesehen hat. Die beiden haben sich auch so ähnlich gesehen.
Sie kamen unter der Intendanz von Matthias Hartmann 2011 ans Burgtheater. Welche Gefühle spielten da mit, in Kenntnis der Historie Ihrer Familie?
Hörbiger
Schreckliche. Ich wäre überall lieber hingegangen als an das Burgtheater, wirklich. Das hatte ja damals auch etwas von einem Schrein. Und diese schaurigen Porträts in den Gängen! Ich hatte solchen Schiss. Und wenn du Hörbiger heißt, werden dann auch noch solche Erwartungen an dich geknüpft. Die Leute hier waren damals fast schockiert, als ich hier ankam, und mussten sich erst langsam an mich gewöhnen. Hier müssen alle kämpfen, aber ich hatte den Eindruck, ich musste noch ein wenig mehr kämpfen als andere.
In Ihrer Dankesrede im Zuge der Elisabeth-Orth-Preisverleihung sagten Sie, dass dieser Preis, der nach ihrer Tante benannt ist, einem Befreiungsschlag gleichkäme.
Hörbiger
Das war er tatsächlich. Sagen wir so: Ich habe diesen Preis trotz meines Namens bekommen. Der Preis war für mich ein Zeichen der Anerkennung.
So lange hat das gedauert, bis Sie dieses Gefühl hatten?
Hörbiger
Ja, es kam sehr spät. Jetzt bin ich 45, und es heißt ja immer, ab 45 wird es für Schauspielerinnen schwierig. Ich fürchte, dass das stimmt. Ich beginne es bereits jetzt zu spüren.