In Memoriam

Michael Horowitz – ein Pendler zwischen vielen Talenten

Er war Fotograf, Journalist, Magazingründer, Schriftsteller und selbst eine Figur wie aus einem Joseph Roth-Roman: Mit dem Tod von Michael Horowitz geht auch ein intensives Stück österreichischer Zeitgeschichte und eine Fülle von Anekdoten verloren.

Drucken

Schriftgröße

Über seinem Schreibtisch in der Cottagegasse hängt ein Plexiglas-Rahmen mit einer etwas verbogene Nickelbrille, daneben ein vergilbter Abholschein. Das Begleitschreiben stammt von einem ehemaligen Optikergesellen, der die Brille bei seiner Flucht aus Österreich 1938 hastig eingepackt hatte. Ihr Besitzer hatte sie nach der Reparatur nie abgeholt. Kein Wunder, schließlich hieß er Karl Kraus und war 1936 gestorben. Als der treue profil-Abonnent in Australien Mitte der 1980-er Jahre in einer Magazinausgabe über ein Inserat für Horowitzs Karl-Kraus-Biografie stolperte, bestellte er das Buch, befand es für würdig und schickte die verwaiste Brille nach Wien zu dessen Autor – mit dem Begleitschreiben „Sie gehört nach Wien, bei Ihnen ist sie besser aufgehoben. ”Diese Geschichte passt perfekt zu Michael Horowitz: Sie ist so extravagant wie schräg und tatsächlich auch ein großes Kompliment für die Kraus-Biografie, was dem Horowitz, auch nicht ganz unrecht war. In seinem letzten Buch „Wiener Originale” zitiert er die Fussballtrainer-Legende Ernst Happel: „Des Wort Angst steht net in mein Lexikon.” 

Beim Horowitz könnte man den Begriff Angst mit Bescheidenheit ersetzen, die fand nämlich im Lexikon seines Lebens nie statt, aber wozu denn auch? Vergangenen Freitag starb jener Mann, der so voll des prallen Lebens war, dass man eigentlich alles unter der Unsterblichkeit, völlig irrational-absurd, als Enttäuschung, wenn nicht sogar Verrat empfindet, im 74. Lebensjahr nach kurzer, schwerer Krankheit. Neben seiner nahezu manischen Produktivität als Schriftsteller, Journalist, Fotograf, Verleger und Magazingründer (er hob das Samstagmagazin des „Kurier“ „freizeit” ins Leben und brachte es als Chefredakteur jahrzehntelang zum Blühen) war er das, was der Publizist Anton Kuh einen „Sprechsteller“ nannte. Mit Witz und Pointenlust belebte er jedes noch so langweilige Abendessen, und seine größte Sucht war die Gier nach Begegnungen mit Menschen, egal ob aus dem Souterrain des Lebens oder in der Glamour-Etage. Hauptsache einzigartig.

Nazijäger Simon Wiesenthal

Ein paar Tage vor seinem Tod hatten wir noch telefoniert. Er schwärmte vom Witz des deutschen Satirikers Max Goldt und legte mir das Gulasch aus der „Eisernen Zeit” am Naschmarkt, das wirklich „Weltklasse” (das Optimum im Horowitz-Vokabular)war, ans Herz. Der Torberg-Satz „Essen war seine Lieblingsspeise” musste eigentlich für ihn erfunden worden sein. Am Ende des Gesprächs schilderte er völlig gelassen das Musikprogramm, das er für seine Beerdigung vorgesehen hatte, denn er war sich völlig im Klaren, dass die ihm verbleibende Zeit sehr absehbar war. Seine Frau Angelika, die aus ihm in den letzten 20 Jahren einen soviel zufriedeneren Menschen gemacht hatte, war ihm in dieser Klarheit eine starke Begleiterin. Es soll mit einem Schubert Impromptu beginnnen, weil „du weißt ja, ich bin so Wien.” Was nahezu eine Untertreibung ist. Man kann nicht anders als etwas ordinär anzumerken: Der Horowitz war durch und durch „verbrunzt” in diese Stadt. Und er besaß ein Trüffelhund-Sensorium für ihre verborgenen Schätze. Das Objekt seiner ersten Begierde als Biograf war dann auch Heimito von Doderer, der „dämonische Romancier”, der Wien in all seiner charmanten Verkommenheit beschrieben hatte. 

Wie Horowitzs Karriere als Schriftsteller begann, war ein Bilderbuch-Beispiel aus dem Lehrbuch für produktive Chuzpe. Als der damalige rasende Fotograf dem „Amalthea”-Verleger Herbert Fleissner Anfang der 1980er Jahre die Idee unterbreitete, ein Doderer-Buch zu machen, winkte der dem damals „nur” als Fotografen bekannten Horowitz nach einer Höflichkeitspause und den Worten „Sie haben doch noch nie ein Buch gemacht” ab. Die Antwort lautete: „Dann wird das eben mein erstes Buch sein.” Am darauf folgenden Tag hatte er einen Vertrag und einen Vorschuss-Scheck von damals unfassbaren 100.000 Schilling in der Tasche, Der Fleissner war von soviel lakonischer Selbstsicherheit einfach nur überrumpelt gewesen.  Es folgten biografische „Verbrunzheits”-Erklärungen an Kraus,  Helmut Qualtinger (den langjährigen Nachbarn der Familie Horowitz im Gemeindebau in der Daringer Gasse, Wien IXX), den genialen Sprachkünstler H.C. Artmann, den Horowitz so der zunehmenden Vergessenheit entrissen hatte, und zuletzt Leonard Bernstein ( neben dem rasenden Prager Reporter Egon Erwin Kisch) der einzige Nicht-Wiener in dieser Reihe. Es war auch wieder so Horowitz, dass bei der Präsentation  dieser Biografie die weltbekannte Sängerin Christa Ludwig (die auch einen Beitrag für das Buch geliefert hatte) freimütig auf dem Podium erzählte, dass „der Lenny” neben seinem Genie auch die Angewohnheit besaß, direkt nach dem sehr häufigen Verzehr von Lachs oder Thunfisch, die ihm lieben Menschen überschwänglich auf den Mund zu küssen. Noch immer konnte sie manchmal  den ekeligen Lenny-Fisch-Geschmack auf ihrer Zunge spüren. 

Das war auch eine der großen Gaben des Michael Horowitz, die ihn nicht nur zu einem Weltklasse-Fotografen machten: Dass sich Legenden, Superpromis und Denkmäler in der von ihm geschaffenen Atmosphäre aus Schmäh, schlawineskem Charme, Berührungsangstfreiheit und Respekt von Fassaden- und Posierzwängen frei machten und sich ihm in nahezu selbstverständlicher Normalität offen legten. Egal ob in Interviews, vor seiner Kamera oder am Wirtshaustisch.

OHLSDORF-MOMENTE

So erstaunlich wie paradox, dass der Horowitz der Genialität seines fotografischen Blicks lange nicht die Bedeutung zumaß, die sie sich eigentlich verdient hätte. Langsam, um die Jahrtausendwende, als Fotogalerien sich für seinen Arbeiten zu interessieren begannen und seine Vintage-Prints bei Auktionen beachtliche Preise erzielten, begann ihm zu dämmern, welchen Schatz er da hortete.   Das „Jüdische Museum” und die „Albertina” widmeten seinem Schaffen als rasender Pressefotograf für den „Spiegel”, das Promimagazin „Hör zu” oder die Boulevardzeitungen „Express” und „Krone”   in den 1970er und 1980er Jahren Einzelausstellungen; „Albertina”-Direktor Klaus Albrecht Schroeder verglich ihn bei der Eröffnungsrede mit der französischen Fotografenlegende Henri Cartier-Bresson.Ikonische Horowitz-Bilder sind jene von dem selbstvergessenen Thomas Bernhard, der in seinem Keller in Ohlsdorf auf einem Rad seine Runden drehte (drei Tage Wartezeit, bis Bernhard die Tür öffnete), der Künstlerin Kiki Kogelnik (der er im Alter von 19 Jahren nach New York folgte), dem nackten Aktionisten Peter Weibel, Hildegard Knef, Lenny Bernstein, Senta Berger, dem jungen Klaus Maria Brandauer, der in einer nahezu leeren Wohnung (für Möbel war das Geld noch nicht da) mit seiner Frau Karin auf dem Bett lungerte. 

KIKI KOGELNIK

Die Gesichter seiner Objekte sind bar jeder Tarnmanöver. Kein Fassadengeturne. Damit Menschen sich in solch intimen Zustände vor einer Kamera bewegen, müssen sie sich sehr beschützt fühlen. Über den Polizeireporter Arthur Fellig, der es unter dem Pseudonym Weegee zu Weltruhm brachte, heißt es in der „Encyclopaedia Judaica”: „Er war der poetischste aller Bluthunde, der Humanismus, Humor und das Gefühl für Entertainement in sich vereinte.” Diese Beschreibung könnte man auch wie maßgemacht über den Horowitz stülpen – allerdings minus dem Blut. Statt durch den gewaltfreundlichen Hinterhof New Yorks zog Horowitz durch ein Nachkriegs-Österreich, das sich nach einer langen Nachtfahrt wieder die Tanzschuhe anzog , sich mit seiner Vergangenheit vor allem nicht belasten wollte und dem gepflegten Eskapismus frönte. Bloß keine Wunden besuchen, nur mehr Wirtschaftswunder und gute Laune zelebrieren. Inmitten dieser fröhlichen Verlogenheit entwickelte der Horowitz seine Wachsamkeit gegen Verdrängung, seinen Hass auf die leiseste Form von Antisemitismus und Rechtslastigkeit, fotografierte mit Leidenschaft den Nazijäger Simon Wiesenthal und jene Künstler:innen, die zur Sprengung „gegen diese Wolke aus Beton” antraten.  Sein Vater Oscar hatte die Nazis nur knapp in der Pariser Emigration und danach in der Fremdenlegion, wo er bei bis zu 50 Grad Hitze Bahngleise in Marokko und Algerien zu verlegen hatte, überlebt. Mit nur 56 Jahren wird der Vater an den gesundheitliche  Spätfolgen dieser Torturen in Wien sterben. Horowitzs Großmutter Deborah sollte es auf den allerletzten Dampfer nach Shanghai schaffen. 

Ein Foto zeigt hunderte Chinesinnen in einer Fabrik vor ihren Nähmaschinen, nur ganz hinten in der letzten Reihe sitzt die „Dora”, erschöpft, aber voller Willen zum Weitermachen: „Sie hatte eine doppelt so lange Nase wie alle anderen. Und war ein Phänomen. Sie hatte später unfassbar viel elegante Liebhaber, in einer ihrer Schublade fanden sich zig Taschentücher mit den unterschiedlichsten Monogrammen.”Tatsächlich verdankte der junge Horowitz, der ab 15 zum Profi wuchs und die Schule bald als Zeitverschwendung hinter sich ließ, seine Karriere als Fotograf und Fotoreporter indirekt einer Pokerpartie. Sein Vater Oscar, ein durchaus talentierter Spieler, hatte beim Zocken im Nachkriegs-Wien eine Leica M2 gewonnen, um die er mit seinem aufmüpfigen Sohn ein ganzes Geschäftsmodell bauen sollte. „Wie bei einem Tischlerbuben, der völlig selbstverständlich das Handwerk des Vaters übernahm” begann ihm bald auch eine Kamera „anzuwachsen”. 

Im Doppelpack tingelten Vater und Sohn damals durch die Zeitungsredaktionen und verkauften von der Hutmodenschau in der Industriellenvereinigung über der Bühnenprobe des Burgtheater bis zu der Leiche Ernst Kirchwegers, einem Opfer rechtsextremer Gewalteskalationen, ein buntes Allerlei. Bald interessierten sich die Redakteure mehr für die Bilder des Sohns, als für jene des Vaters, was die Beziehung der beiden erheblich belastete. Daraufhin zog der Sohn mit 17 allein ins pralle Leben. Und sollte von dort nie wieder zurück kehren. „Lieber Tralala”, schrieb ihm einst der Publizist und die Kritikerlegende Hans Weigel, „du bist mein Lieblingsschüler.” Eine Geschichte, wie aus einem Joseph-Roth-Roman, wie auch der ganze Horowitz, dessen Vorfahren Bandltandler in der heutigen Ukraine waren, zeitlebens ein bisschen wie aus einer Roth-Geschichte gepurzelt wirkt. „Es lebt sich!” pflegte er bei Abendessen, die seinen Qualitätsansprüchen genügten, zu sagen. Seine jüdische Identität wurde ihm mit den Jahren immer wichtiger; aber minus der Religion: „Mich als Atheisten zu bezeichnen, ist eine schamlose Untertreibung.” Tatsächlich gehörte er nur jener Glaubensgemeinschaft an, die eines seiner  Idole, die Hollywood-Regielegende Billy Wilder, mit dem Satz umschrieb: „Be A Mensch!”

Vergangen Freitag starb Michael Horowitz mit 73 Jahren zu Hause in Wien im Kreise seiner Familie.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort