Nachruf

„Das Kind von Buchenwald“: Das gestohlene Leben des Stefan Jerzy Zweig

Stefan Jerzy Zweigs Lebensgeschichte ist so einzigartig, dass sie ihm immer wieder entwendet wurde, weil andere damit ihre eigenen Ziele verfolgten. Bis zum Schluss kämpfte der KZ-Überlebende darum, seine Biografie wieder ganz für sich allein zu haben. Anfang Februar starb er 83-jährig in Wien.

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Wenn Stefan Jerzy Zweig von sich erzählte, stieg oft der Zorn in ihm hoch. Es machte ihm zu schaffen, dass immer, wenn von seinem Leben die Rede war, andere bereits Behauptungen aufgestellt hatten, Interpretationen geliefert, Begebenheiten verfälscht oder erfunden.

Ende der 1950er-Jahre war der KZ-Überlebende zur Romanfigur geworden; später, als junger Mann, zum unfreiwilligen Star in der damaligen DDR. Das Buch und der Film über seine Rettung in Buchenwald – beide unter dem Titel „Nackt unter Wölfen“ – wurden als angebliche Tatsachenberichte gehandelt, obwohl es sich ganz anders zugetragen hatte. Sein Überleben ist Thema von Romanen, historischen Abhandlungen und unzähligen Zeitungsartikeln.

Bis zuletzt hat Stefan Jerzy Zweig darum gekämpft, seine Geschichte, die ihm so oft abhandengekommen war, wieder zu seiner eigenen zu machen. Immerhin ging es doch um sein Leben. Auch wenn sich darin die Schrecken und auch das eine oder andere Wunder des 20. Jahrhunderts widerspiegelten, so war es er allein, der es gelebt hatte. War es denn zu viel verlangt, es ihm zu lassen?

Ich habe Stefan Jerzy Zweig das erste Mal vor rund zwei Jahren getroffen, bis zu seinem Tod im Frühjahr folgten viele weitere Gespräche. Stets hatte er Plastiksäckchen mit Dokumenten dabei, Zeugnisse seines Lebens: ein Foto, das ihn als Vierjährigen nach der Befreiung Buchenwalds zeigt, alte Zeitungsartikel, die seine Rettung durch kommunistische Häftlinge skandalisierten oder seine Rechtsstreitigkeiten beschrieben, Briefe aus aller Welt, ein altes SS-Dokument.

Ich hatte Stefan Jerzy Zweig kontaktiert, weil ich ein Porträt über ihn schreiben wollte. Wir trafen uns regelmäßig in Kaffeehäusern nahe seiner Wohnung im 15. Wiener Gemeindebezirk, Zweig konnte stundenlang reden. Er war aufgebracht, zu Recht, denn der Umgang mit seiner so bewegten und dramatischen Lebensgeschichte machte ihm bis zuletzt schwer zu schaffen. Doch von Anfang an.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.