Restaurant Noma in Dänemark

Nachhaltigkeit in der Gastronomie: Für die Fische

Restaurants auf der Höhe der Zeit kochen natürlich bio und regional, tier- und klimafreundlich. Behaupten sie zumindest.

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Von Georges Desrues, Sebastian Hofer und Daniela Riess

Ángel Leon versteht die Welt nicht mehr. Dabei müsste sie ihm doch dankbar sein, nachdem er ihr gerade eine Sorte Reis geschenkt hat, die dazu beitragen wird, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. „Doch die Journalisten interessieren sich mehr für meinen Thunfisch-Schinken als für den Reis“, jammert der Starkoch aus Cadiz, dessen Restaurant Aponiente vom „Guide Michelin“ mit der Höchstnote von drei Sternen bewertet wird.

Der Reis, den Leon kürzlich bei dem Food-Symposium „Madrid Fusion“ vorgestellt hat, soll ein ganz besonderer sein: Er wächst auch unter Wasser und wird von einem Indianerstamm in Mexiko seit Jahrhunderten angebaut. „Außerdem enthält er doppelt so viel Protein wie normaler Reis und könnte somit eine Antwort auf den Proteinmangel in ärmeren Ländern sein“, jubelt Leon (und klammert dabei aus, dass Reis an sich kaum Proteine enthält und das Doppelte von sehr wenig immer noch ziemlich wenig ist). 

In seiner Branche ist der Spanier freilich nicht der Einzige mit großen Ambitionen. Denn für wirklich zeitgemäße Spitzenköche reicht es schon länger nicht mehr, hochklassige Gerichte für eine zahlungskräftige Klientel zuzubereiten (oder für ein werbewirksames Instagram-Posting anzurichten). Sie sind tunlichst angehalten, ihrer Arbeit Bedeutung und Tiefgang zu verleihen, indem sie sich wie Leon dem Hunger der Welt widmen – oder sich Umweltschutz, Abfallvermeidung, Tierwohl und Nachhaltigkeit an die Fahnen heften. Die Menschen wollen nicht mehr nur gut essen. Sie wollen sich dabei auch gut fühlen, durchaus im moralischen Sinn. Nicht immer geht das gut. Manchmal läuft es so schief wie für Ángel Leon. 

Aus seinem wiederentdeckten Superreis formte dieser bei der „Madrid Fusion“ nämlich Fladen, die er üppig mit Scheiben vom Thunfisch-Schinken belegte. Diesen erzeugt er nun aber aus dem Bauchlappen eines 200 Kilogramm schweren Blauflossen-Thunfisches, eine laut mehreren Organisationen (darunter der WWF und Greenpeace) durch Überfischung gefährdete Art. Den imposanten Lappen lässt er bei idealer Temperatur und Luftfeuchtigkeit zwei Monate trocknen, steckt ihn danach in einen Schinkenspanner und säbelt ihn wie einen Jamon iberico in dünne Scheiben. 

Und schon steht die alte, sehr aktuelle Frage im Raum: Wie heißt noch einmal das Gegenteil von gut?

Das Gegenteil von halbherzig ist jedenfalls: konsequent. Der niederösterreichische Koch Josef Floh betreibt in Langenlebarn bei Tulln seit 1994 ein als Gasthaus getarntes Spitzenrestaurant, in dem er ausschließlich Nahrungsmittel zubereitet, deren Produzenten und Produktionsweise er sehr gut kennt, weil sie in der näheren Umgebung zu Hause sind. Nun gut: fast ausschließlich. Josef Floh ist kein Dogmatiker. Weil er weiß, dass bei der Verbesserung der Welt auch ein gewisser Pragmatismus angezeigt sein kann: „Mir ist schon bewusst, dass im Waldviertel kein Pfeffer wächst.“ 

Aber wenn im Gasthaus Floh ein Stör gebraten wird, dann weiß man, dass er aus der Fischzucht Haimel aus Traismauer stammt – und die Spinatvielfalt dazu von Evi Bach aus Wien. Und wenn Josef Floh Lamm auf der Karte hat, dann stammt es vom Auer aus Arbesbach und wird so zubereitet, wie es an diesem Tag halt gerade passt, weil er immer ganze Tiere ankauft und die eben nur einen Rücken haben, dafür aber auch Haxen, Schultern, Herz und Nieren. Im profil stand über Floh einmal zu lesen, dass er „einen Regionalfetischismus weit unterhalb der Aufdringlichkeitsgrenze zelebriert“, und das kann man immer noch so stehen lassen.

Aber (und es gibt bei diesem Thema sehr viele Aber): „Das Thema Regionalität wird von der Politik und vom Lebensmittelhandel inzwischen so sehr missbraucht, dass mir graut“, sagt Floh: „Im Moment scheint zu gelten: Hauptsache regional, und alles andere ist dann schon wurscht.“ Nun kann aber auch das Ei aus der Legebatterie regional sein, wenn man zufällig in der Nähe einer Legebatterie wohnt. „Es sind viele Parameter, die hier mit hineinspielen“, sagt Floh, der für ein gewisses Maß an Hausverstand plädiert. „Auch ein Bio-Siegel allein heißt nicht, dass alles gut ist. Man muss einfach genau hinschauen. Und nicht nur beim Gemüse. Wir drehen eben auch die Essigflasche um und die Nüsse, die anderswo vielleicht aus dem Iran kommen. Wir sind streng, aber nicht pingelig. Klar kann man immer Fehler finden. Aber besser ein kleiner Schritt als gar keiner. Und es ist auch klar, dass noch viele Schritte nötig sein werden.“

In der Spitzengastronomie ist der Drang zur kulinarischen Weltverbesserung jedenfalls voll angekommen. Das liegt nicht zuletzt an den beiden prominentesten Bewertungssystemen der Branche, nämlich dem „Guide Michelin“ sowie der Rangliste der „World’s 50 Best Restaurants“. Bereits vor einigen Jahren führte „Michelin“ einen „grünen Stern“ ein, den er an jene Lokale verleiht, die sich um Ökologie und Umweltschutz besonders verdient machten. Nach welchen Kriterien die Auszeichnung vergeben wird, ist allerdings nicht ganz nachvollziehbar. 

„Die Tester des ‚Michelin‘ bleiben bekanntlich anonym, wenn sie Restaurants besuchen. Und das ist ja auch gut so“, betont Billy Wagner, Betreiber des Nobelhart & Schmutzig in Berlin, das sowohl einen Stern für die Qualität seiner Küche als auch dessen grüne Entsprechung verliehen bekam: „Doch wenn sie anonym bleiben, wie wollen sie dann überprüfen, ob wir nachhaltig arbeiten? Oder vertrauen sie etwa gar auf das, was wir sagen? In dem Fall könnte ja jeder daherkommen und irgendetwas behaupten.“

Genau damit scheint man beim „Michelin“-Konkurrenten, der für ihre Intransparenz ohnehin häufig kritisierten Liste „World’s 50 Best Restaurants“, überhaupt kein Problem zu haben. Deren „Sustainable Restaurant Award“ beruht auf einem Fragebogen, den jeder Gastwirt selbst ausfüllen darf. Aus den Antworten wird eine Punktezahl errechnet. Auf eine Kontrolle vor Ort wird verzichtet. 

Trotz aller Kritik bleibt es freilich zu begrüßen, dass die Stars der Branche mit gutem Beispiel vorangehen – und allen voran Daniel Humm. Im Frühjahr hat der Schweizer angekündigt, in seinem New Yorker Drei-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park ab sofort keine tierischen Produkte mehr zu verarbeiten: „Unsere Art der Tierhaltung, was wir den Ozeanen anrichten, die Mengen, die wir verbrauchen, all das ist nicht nachhaltig. Wenn Eleven Madison Park wirklich unter den besten und innovativsten Restaurants der Welt ist, dann muss man hier einen Schritt weiter gehen.“ Im aktuellen Menü (zehn Gänge, 335 Dollar) des Eleven Madison Park, das 2017 auf der Liste der 50 besten Restaurants ganz oben stand, besteht die Butter aus gemahlenen und fermentierten Sonnenblumenkernen und der Kaviargang aus Tonburi (getrockneten Samen der Sommerzypresse). Über Humms drei Tage lang gegarte und mit fermentiertem Spinat in einer Tonhülle servierten Rüben schrieb der Kritiker der „New York Times“, Pete Wells, in einem charmant gnadenlosen Verriss: „Die Rolle der Ente im heutigen Menü übernimmt eine Rübe, die Dinge tut, die von keinem Wurzelgemüse verlangt werden sollten.“ 

„Dass Humm ein Zeichen gegen die industrielle Tierhaltung setzen möchte, ist durchaus nachvollziehbar“, sagt Max Stiegl, Betreiber des Restaurants Gut Purbach im gleichnamigen burgenländischen Ort: „Aber seine Vorgangsweise erscheint mir geradezu kontraproduktiv. Würden nämlich alle Spitzenrestaurants so handeln und auf Fleisch aus nachhaltiger und artgerechter Tierhaltung verzichten, träfe das ja in erster Linie die verantwortungsvollsten unter den Züchtern. Was im Umkehrschluss gerade die Fleischindustrie begünstigen würde, die den Markt dann für sich allein hätte.“ 

Für Stiegl haben Spitzenköche in Wahrheit einen anderen Auftrag, nämlich alternative Modelle der Lebensmittelproduktion, etwa bei der Tierhaltung, zu unterstützen und ihren Kunden zu vermitteln. Er selbst habe Stammgäste, die ganz auf  Fleisch verzichten – außer, wenn sie bei ihm essen: „Sie sagen mir, dass sie es nur bei mir essen, weil sie da wissen, woher es stammt und wie das Tier aufgezogen und gehalten wurde.“ 

Der Verzicht auf tierische Produkte – noch vor wenigen Jahren ganz allgemein und jüngst, ganz speziell, von dem bayerischen Fußballfunktionär und Wurstfabrikanten Uli Hoeneß als weltfremde Spinnerei abgetan – ist freilich nicht nur in den Hoch-, sondern auch in höchsten Küchen angekommen. 

Soeben wurde die Franz-Fischer-Hütte im Lungauer Zederhaus vom Alpenverein als erste rein vegetarische (und großteils sogar vegane) Berghütte der Alpen ausgelobt. Die Speckjause ist eindeutig von gestern. Und wo Fleischverzicht kein Thema ist, wird eben anderweitig umgedacht: Im Wiener Prater mutierte die traditionsreiche Stelzen- und Bier-Instanz Luftburg unlängst zum größten voll bio-zertifizierten Lokal der Welt. 

Und schon wieder drängt sich das eine oder andere Aber auf. Wobei die Luftburg in Sachen Bio tatsächlich sehr transparent agiert und sich mehrstufig und regelmäßig kontrollieren lässt. Das ist beileibe nicht in jedem vermeintlichen Bio-Restaurant der Fall. „Beim Essen außer Haus ist Bio oder Regionalität noch nicht so verbreitet wie im Lebensmittelhandel. Manche Gäste betrachten ihr Lieblingswirtshaus weniger kritisch als die Produkte im Supermarkt“, meint Lisa Panhuber von Greenpeace Österreich. Jedes Unternehmen könne sich selbst unkontrolliert als „nachhaltig“ bezeichnen. Solches „Greenwashing“ kann laut Panhuber ungute Folgen haben: Menschen könnten den Eindruck bekommen, es gäbe keinen Änderungsbedarf mehr, weil bereits genug für Klima und Umwelt getan werde: „Im schlimmsten Fall werden politische Maßnahmen verzögert.“ Auch die bekannten Gütezeichen tragen nicht automatisch zu mehr Transparenz bei.

Das AMA-Gütesiegel zum Beispiel genießt zwar hohes Ansehen, fokussiert aber etwa bei den Basisanforderungen für Schweinefleisch lediglich auf EU-Standards. „Das bedeutet, dass Schweine aus AMA-zertifizierten Ställen nicht besser gehalten werden müssen als etwa in Ungarn oder in Tschechien“, gibt Panhuber zu bedenken: „Dass in Österreich in der Schweinehaltung ein höherer Standard herrscht, ist ein verbreiteter Irrglaube.“ Auch Josef Floh sieht viele Gütesiegel kritisch: „Leider gibt es da einen Wildwuchs. Selbst ich, der in der Materie tief drinnen steckt, kenne mich oft nicht mehr aus. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Viele Unternehmen und Vereine versuchen sich in dem Bereich zu positionieren, jeder gründet ein eigenes Label, die Kontrolle bleibt unklar. Was das AMA-Gütesiegel betrifft, ist aus meiner Sicht in den vergangenen zwei Jahrzehnten leider zu viel passiert, was das Vertrauen beschädigt hat.“

Keinen grünen, sondern den heiß begehrten roten „Michelin-Stern“ erhielt vor wenigen Wochen das Restaurant Agli Amici im hübschen Städtchen Rovinj in Kroatien. Küchenchef ist der Italiener Emanuele Scarello, dessen Stammhaus bei Udine sogar mit zwei „Michelin-Sternen“ aufwarten kann. Hier, auf einer eleganten Terrasse an der istrischen Küste, unter der kleine Fischerboote schaukeln, ist das Menü naturgemäß etwas fischlastiger als in Udine. Unter anderem serviert Scarello hier auch einen Fisch namens Ombrina, auf Deutsch: Bartumber. Der wurde allerdings nicht von besagten Fischerbooten gefangen, sondern stammt aus Aquakultur. „Für uns ist es ganz wichtig, ein Zeichen der Nachhaltigkeit zu setzen“, sagt der Chefkoch selbstzufrieden, „deswegen verzichten wir, wo es möglich ist, auf Wildfang und verarbeiten stattdessen Zuchtfisch.“ 

Das erscheint im Kampf gegen die Überfischung der Meere durchaus sinnvoll. Allerdings birgt die Aufzucht von fleischfressenden Fischen wie der Bartumber auch ein bekanntes Problem, das sich offenbar nicht bis zu Scarrello herumgesprochen hat – und zwar ihre Ernährung. Die basiert nämlich auf dem Fischmehl kleinerer Spezies, welche in der Regel für den menschlichen Verzehr genauso gut geeignet wären, jedoch als weniger „nobel“ gelten, also etwa Sardinen, Sardellen oder Makrelen. Unter Umständen müssen mehrere Kilo dieser Fische verfüttert werden, um ein einziges Kilo Zuchtfisch zu erzeugen. Diesen Schönheitsfehler scheinen auch einige heimische Köche gerne zu übersehen. Dann nämlich, wenn sie im Sinne der Nachhaltigkeit auf Meeresfisch verzichten und – Stichwort: Regionalität – ausschließlich Fisch aus heimischen Süßgewässern servieren. Darunter sind die beliebtesten und in der Spitzengastronomie am häufigsten verarbeiteten – also etwa Forelle, Saibling oder Zander – jedoch allesamt Fleischfresser, die eben auch mit Fischmehl gefüttert werden müssen. 

Der weltweit berühmteste Repräsentant des Trends zum streng lokalen Lebensmittel heißt René Redzepi. Der Betreiber und Chefkoch des Kopenhagener Kultrestaurants Noma (aktuell wieder Nummer eins der „50 Best Restaurants“) gilt gemeinhin als Begründer der sogenannten Nordic Cuisine und als erster Koch im hohen Norden, der auf importierte Delikatessen verzichtete und ausschließlich Zutaten aus Skandinavien verarbeitete. Die Betonung liegt allerdings auf „Skandinavien“. Denn im Noma werden sehr wohl auch Fische und Meeresfrüchte aus dem Norden Norwegens serviert – obgleich dieser geografisch von Kopenhagen deutlich weiter weg liegt als etwa die nördliche Adria von Wien. 

Der Weg zum guten Essen gleicht, um es mit einer berühmten österreichischen Popband zu formulieren, einer Fata Morgana: so nah und doch so weit. Die Verunsicherung ist groß und allgemein. Die ersten Schritte sind jedoch gemacht. Wohl bekomm’s.