Simplicissimus an der Seine

Kritik. Woody Allens "Midnight in Paris"

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Sein jüngster Film, "Midnight in Paris“, erscheint erneut hingebungsvoll nostalgisch und schamlos touristisch: Owen Wilson fantasiert sich, von der Liebe enttäuscht, im Rahmen einer Paris-Reise als romantischer Enthusiast und schriftstellernder Träumer durch die glamourösen zwanziger Jahre. Er taucht allnächtlich zur Geisterstunde in die Pariser Kunstszene ein, lauscht den Songs Cole Porters, lässt sich vom ruppigen Ernest Hemingway belehren und von Gertrude Stein literarisch beraten. Die Zeitreise des Simplicissimus-Helden erregt hier kein größeres Aufsehen: Im Weltbild der Pariser Surrealisten (Salvador Dalí, Luis Buñuel) gehören Zeitsprünge dieser Art eben zum Standardrepertoire. So avanciert die Mimikry der Star-Darsteller zur eigentlichen Attraktion dieses Films: Adrien Brody hat sichtlich Spaß an seiner Dalí-Persiflage, und Kathy Bates eignet sich die große Frau Stein wie selbstverständlich an. Ach ja: Frankreichs Präsidentengemahlin Carla Bruni hat eine fade Nebenrolle als Fremdenführerin und Rodin-Expertin. Als Lustspiel der romantischen Klischees ist "Midnight in Paris“, Woody Allens späte Variation seines eigenen Traumweltenmärchens "Purple Rose of Cairo“ (1985), ebenso anspruchslos wie überraschungsarm. Der Regisseur und Autor weicht keinen Millimeter von seiner schmalen Grundidee ab: lieb, aber verschenkt.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.