Trost Hawaii

Kritik. Clooney brilliert in der Tragikomödie "The Descendants“

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Es gibt selbstverständlich wichtigere Fragen als jene, ob George Clooney für diesen Film einen Oscar gewinnen wird. Eine wäre zum Beispiel, auf welch dubiose Weise die Inselgruppe Hawaii von einer autonomen Republik zum 50. Bundesstaat der USA wurde. Alexander Paynes Film "The Descendants“ wirft sie nun, mit unterschiedlicher Dringlichkeit, auf.

Fast wäre man versucht zu behaupten, er finde beide Antworten in Clooneys Darstellung. Dieser spielt in "The Descendants“ eine jener trüben Figuren, die Payne ("Sideways“, 2004) regelmäßig zu seinen Protagonisten erwählt: Matt King, ein Anwalt von buchhalterischer, also unglamouröser Ausstrahlung, sieht sich mit drei Problemen konfrontiert, die der Film geschickt verzahnt. Seine Frau liegt nach einem Unfall im Koma, aus dem sie nicht mehr erwachen wird. Unverhofft verbindlich muss er nun die Vaterrolle übernehmen. Von seiner loyalen älteren Tochter erfährt er, dass seine Frau einen Liebhaber hatte. Zugleich leitet er eine Stiftung, die ein unberührtes Stück Land verwaltet, das zum Kulturerbe Hawaiis gehört, dessen Verkauf ihn und seine zahlreichen Cousins ungeheuer reich machen könnte. Dieses doppelte Mandat, für Vergangenheit und Zukunft Verantwortung zu tragen, erfüllt der Held dieses Films mit tragikomischer Rechtschaffenheit.

Alexander Paynes Blick auf seine Figuren ist von entlarvender Großzügigkeit; selbst tumbe Charaktere dürfen bei ihm Tiefe gewinnen. Er besitzt ein präzises Gespür für die Grenzen emotionaler Ansprüche (die Begegnung Clooneys mit seinem Nebenbuhler ist ein Meisterstück der Rauminszenierung), filmt Konflikte mit gelassener Empfindsamkeit, der es nicht an Spannung gebricht. Heroisch zögerlich spielt er das Spiel Hollywoods: Gibt es einen zweiten Star wie Clooney, bei dem es uns so sehr schmerzte, wenn er die falsche Entscheidung träfe?

Gerhard Midding