Schließlich ist Parov Stelar (der Name entstand aus seiner Liebe zur russischen Kunst, vor allem zur Bildsprache des Regisseurs Andrei Tarkowski, aber eigentlich auch deswegen, weil er – schwungvoll ausgesprochen – per se schon ein Klangerlebnis ist) der mit Abstand erfolgreichste lebende Musiker Österreichs. Er wird weltweit als Genre-Architekt und Pionier des Electroswing punziert und gefeiert. Mit seiner Innovation, den harten Techno-Sound der Jahrtausendwende mit Elementen von Jazz und Swing zu verschmelzen, wurde eine neue Musikrichtung geboren. Stelar kann auf über 1000 Live-Shows weltweit und in gefüllten Stadien zurückblicken, hat zehn Amadeus-Awards abgestaubt, spielte als erster Österreicher beim US-Premium-Festival Coachella, Spitzenplätze auch in den dortigen Charts, Schallplatten aus Gold und Platin pflastern die Wände seines Hauses am Linzer Pöstlingberg.
Denn inzwischen hat er seinen Hauptwohnsitz von Mallorca wieder in die Heimat verlegt und zieht dort seinen 13-jährigen Sohn Max großteils allein auf. Sehr intensiv spricht er dabei von seinem Vater Leo als Unterstützung, einem früheren IT-Manager, der eigentlich aus seinem Sohn einen Tennis-Profi machen wollte, doch dabei glücklicherweise scheiterte. Wenn es irgendwie mit der Schule vereinbar ist, kommt der Max auch auf Tournee mit: „Wir philosophieren viel miteinander. Und ich hab ihm schon vor ein paar Jahren gesagt: Erziehen kann ich dich nicht. Aber ich kann dir mein Leben zeigen, und du nimmst dir dann davon, was du magst.“ Aber natürlich pendle er auch immer wieder nach Mallorca: „Es kommt in den Medien gut, wenn man sagt, es hat einen wieder in die Heimat gezogen.“ In seiner fantastisch geschriebenen Autobiografie „Trip“ erzählt Stelar von Schaffenskrisen, schweren Depressionen, Panikattacken, seinen früheren Angstzuständen, die ihn oft tagelang das Zimmer nicht verlassen ließen. Er beschreibt diesen Zustand der Paralyse so: „Die Angst ist wie ein Krake. Sie lernt ständig dazu. Mit ihren Saugnäpfen klammert sie sich an die kleinsten Dinge, bis das Leben erdrückend schwer geworden ist. Die Angst kann sich durch die engsten Ritzen zwängen. Nur hat sie keine acht Arme, sondern unzählige. Mit jedem Tag wachsen ihr mehr. Bis du dich nicht mehr bewegen kannst, ohne mit deiner Angst irgendetwas zu berühren. Also bleibst du still liegen. Und wartest.“ Manchmal kriecht der Krake noch aus einem Eck. Wie zum Beispiel heute in der Früh, als er sich im Bett seines Hotelzimmers wälzte und sich die Frage stellte: „Will ich das alles? Schaffe ich das alles?“ Denn mit dem Launchen von „Artifact“, den Konzerten, einer ORF-Doku und dem Buch ist viel zusammengekommen. Doch „mit einem kalten Bier in der Hand, in Nostalgie versinkend, auf die Goldenen Schallplatten an der Wand zu starren“, sei natürlich auch keine brauchbare Alternative. Heute gibt es zwei eherne Regeln: „Erfolg durch Freude und nicht Freude durch Erfolg.“ Und: „Halte dich nie für unbesiegbar.“ Eine Weisheit, die ihm sein Kampfsporttrainer eingeimpft hat.
Die im Buch dramatisch geschilderten Einbrüche in seiner seelischen Intimsphäre stehen im krassen Gegensatz zu Stelars Erfolgschronik. Allein die Streaming-Zahlen lassen einen die Hacken voll Respekt zusammenschlagen: Auf Spotify wurden Parov-Stelars Songs nahezu 1,3 Milliarden Mal gestreamt, täglich werden seine Kompositionen 348.000 Mal angeklickt. Weltmarken wie BMW oder Paco Rabanne ließen sich von Stelar den stylishen Klangteppich für ihre Werbespots legen.
War dieser irrwitzige Erfolg, der sich über Jahre zog, nicht ein Zeichen dafür gewesen, dass seine kreative Seele einen großartigen Job machte? Seine Antwort kommt in breitem Oberösterreichisch, was keine Masche ist, um Journalisten Bodenhaftung zu signalisieren, sondern unaufgeregt authentisch wirkt: „Erfolg ist doch das gefährlichste Ding in unserem Kulturbetrieb. Ich war in Geiselhaft des Erfolgs. Der Erfolg legt dir Handschellen an und sperrt dich in eine kleine Kiste ein. Dann flüstert er dir zu: Da bleibst du jetzt! Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich die Verunsicherung ablegen konnte und wieder zu einer Form der Freiheit fand.“ Es folgt ein Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer zum Thema Freiheit, dessen exakter Wortlaut ihm nicht mehr einfällt. Man verspricht, es zu googeln (wird es aber später nicht finden). Er lacht: „Ja, genau, der Schlagerfuzzi aus Linz schmeißt mit Schopenhauer um sich, so ein pseudointellektueller Trottel.“ Füreder/Stelar hat etwas, was in dieser narzisstisch verseuchten Künstlerwelt eine echte Rarität ist: Selbstironie.Er habe immer an einem Imposter-Syndrom gelitten, jenem psychologischen Phänomen, das mit massiven Selbstzweifeln Hand in Hand geht: „Ich dachte mir, als ich das erste Mal Erfolg hatte: Das muss ein Irrtum sein. Und der Irrtum wird beim nächsten Mal auffliegen. Und dann machst du weiter, immer in der Angst, dass der Erfolg irgendwann einmal aufhören könnte. Der Alptraum jedes Künstlers. Du musst dieses Ende mit aller Kraft hinauszögern. Denn Erfolg funktioniert natürlich wie jede Droge. Und wenn es bergab geht, dann ist das wie Liebesentzug. Und Liebesentzug ist das Schlimmste.“ Aber natürlich zieht man aus jedem Scheitern mehr als aus „ausverkauften Hallen“. Letztere machen einen „bequem und natürlich auch ein bisschen ängstlich“, aber ohne eine gewisse Angst im Nacken darf man ohnehin nicht da oben stehen. Denn Angst habe auch etwas mit Respekt vor dem Publikum zu tun, vor dem man ordnungsgemäß „abliefern möchte“.
Wenn Parov Stelar mit seiner Band da oben hinter seiner elektronischen Kommandozentrale, steht, wie letzte Woche im Wiener Konzerthaus, dann wirkt er wie in einem Rauschzustand, weggedriftet, stets im intensiven Blickkontakt mit seinen Musikern, denen er energetische Gesten hinwirft, ein König in einem Paralleluniversum. Das Publikum ist relativ hipsterfrei, wirkt großteils eher wie gediegener Mittelstand, Durchschnittsalter um die 40, und dreht nur ein bisschen durch. Möglicherweise war die Euphorisierungsanfahrt für diese Altersgruppe auch zu lang: Parov Stelar kam mit seiner Truppe erst gegen halb zehn, also zwei Stunden nach der Vorband, auf die Bühne. Die Videos auf einer riesigen Leinwand zeigen Stelars visuelles Können: Da erinnert vieles an Fritz Langs „Metropolis“, an die Schwarz-Weiß-Ästhetik der goldenen Hollywood-Ära, aber auch an Tarkowski und Murnau, bei manchen Songs dagegen an pinke 1980er-
Euphorie. Dass Stelar neben seinen Videos, die er selbst mithilfe „des Werkzeugs“ KI gestaltet („In der Musik würde ich nie KI benutzen“), inzwischen auch ein gefragter Maler ist, kommt als ein Thema, das wieder das Imposter-Syndrom triggert. Als seine Gemälde, die irgendwie zwischen Banksy, Arnulf Rainer, Gottfried Helnwein und einer tiefen Bedrohlichkeit liegen, im Linzer Kunstmuseum Francisco Carolinum gezeigt wurden, „dachte ich mir: Was hat einer wie ich in diesen Mauern verloren, wo aus jeder Ritze die Hochkultur trieft?“
Letzte Frage: Muss man als Künstler leiden, um Herausragendes zu schaffen? „Das ist natürlich ein Klischee. Vielleicht hätte ich ohne meine Zustände schon vier Grammys im Regal stehen.“ Kurze Nachdenkpause: „Leiden ist der Kunst aber wahrscheinlich mehr zu- als abträglich. Also eher ja.“