Parov Stelar alias Marcus Füreder steht im Mantel und mit Hut am Ende einer Treppe.
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Parov Stelar „Ich war in Geiselhaft des Erfolgs“

Neues Album, neues Buch, neue Bilderwelten als Videoclips, neue TV-Doku: Parov Stelar, „der Schlagerfuzzi aus Linz“, wie er sich selbst nennt, ist mit seinem Electroswing zu einer Weltmarke geworden. Was ihn bis heute misstrauisch macht.

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Nebelschwaden im Kopf, leere Flaschen am Boden, die Schönheit Mallorcas war ohne Bedeutung. Über der halbfertigen Leinwand, die noch kein Bild werden wollte, stand in fetten, schwarzen Buchstaben zu lesen: „Die Kunst hat mir das Leben gerettet. Kann mich aber trotzdem am Arsch lecken.“ Die Hoffnung, dass ein Einbrecher oder ordinärer Vandalist diese Spuren hinterlassen hatte, sollte sich bald zerschlagen. „Kein Eindringling hatte die Dämonen heraufbeschworen, die dieses Haus bewohnten. Das war ganz allein ich selbst gewesen“, schreibt er. Im Interview im Wiener Konzerthaus resümiert er die Situation weitaus bodenständiger: „Na ja, ich war einfach b’soffen. Es gab nach der Scheidung eine Phase, da hätte ich sehr oft besser nicht Auto fahren sollen.“ Der Schmerz musste eben betäubt werden. Wie das oft so ist bei Künstlern. Und Grenzen ausloten. Man kennt das ja. Diese harte Bruchlandung datiert er in seinem kraftvoll ehrlichen Buch „Trip“, in dem sich viele seelische Tiefschläge finden, mit 2020 – der Zeit, als die Ehe des Marcus Füreder mit seiner Linzer Jugendliebe und Mutter des gemeinsamen Sohnes Max in Trümmern lag. Und Parov Stelar sich als Künstler von seiner „kreativen Seele“ abgeschnitten, „disconnected“ fühlte. Die Frage, wo die Grenzen zwischen dem Künstler, der Kunstfigur Parov Stelar, und dem heute 50-jährigen ehemaligen Werbegrafiker Marcus Füreder liegen, der nach dem Schulabbruch als Bierschlauch-Beauftragter jobbte und in einem Charles-Bukowski-Vibe in den Morgenstunden in Bordellen „vor mittelalten Frauen in Leopardentangas“, Schläuche abmontierte und reinigte, ist obsolet. Die Grenzen haben sich längst aufgehoben und verschwimmen ineinander. „Artifact“, das neue Album, das nach dieser Dunkelheit der Post-Scheidungsjahre und einer künstlerischen Blockade (so zumindest liest es sich in „Trip“) wie ein Befreiungsschlag entstand, ist bombastisch, düster, symphonisch, ein eigenes Klanguniversum mit durchaus bedrohlichen Untertönen; vom gefälligen Gute-Laune-Swingmodus der früheren Jahre sind nur mehr Spurenelemente vorhanden. Der Stelar-Hades ist ein so irritierender wie faszinierender Ort, der dann wieder ganz plötzlich von Mainstream-Glätte durchbrochen wird. Manchmal geht es jedoch mit orchestraler Wucht in Richtung Strawinsky und Schönberg wie in der Symphonie „Six Feet Underground“. Der „Schlagerfuzzi aus Linz“, wie er sich im Gespräch scherzhaft zwei Mal selbst bezeichnet, hat mit diesem schwarz-romantischen Opus „endlich wieder“ Zugang zu seiner „kreativen Seele“ gefunden, die ihm, wie er das auf Instagram beschreibt, nach Ende des Schaffensprozesses zugeflüstert hatte: „Es war höchste Zeit, dass du gekommen bist.” Für Außenstehende mag das fast wie Hybris anmuten.

Angelika Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort