Wolfram Eilenberger

Philosoph Eilenberger: "Weitgreifende Deutungsmacht"

Der deutsche Starphilosoph über Sokrates, die Kunst des Dialogs, den Typ Hofnarr und das Bedürfnis nach philosophischer Vermittlung.

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INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: In Ihrem Essay "Wattiertes Denken" beklagten Sie vor einigen Wochen den katastrophalen Zustand der akademischen Philosophie. Dazu steht im Widerspruch ein regelrechter Philosophie-Boom: Philosophie-Veranstaltungen werden vom Publikum gestürmt, philosophische Bücher wie "Zeit der Zauberer" erklimmen die Bestsellerlisten. Eilenberger: In der Tat. Das Missverhältnis ist ja so erstaunlich, wie bedauerlich. Meine Diagnose betraf ja ausschließlich die akademische und universitäre Philosophie. Die vergangenen Jahrzehnte sind dort durch Stagnation, Schwäche und Einfallslosigkeit geprägt. Die letzten großen Innovationsschübe liegen mehr als 50 Jahre zurück: Michel Foucault, Jacques Derrida, Niklas Luhmann oder John Rawls. Das ist umso bedauerlicher, als dass wir gerade eine Zeit durchleben, in der große Fragen gestellt werden müssen und das öffentliche Bedürfnis nach Vermittlung durch Philosophie gewaltig ist.

profil: Was sind denn Ihrer Ansicht die Ursachen dieser Stagnation? Eilenberger: Die akademische Philosophie übt sich in Selbstbespiegelung und dem Betreiben einer Fachartikelindustrie, die nur für sich selbst existiert. Im Rennen um die wenigen universitären Stellen macht sich zudem wie in allen Branchen ein harter Karrierismus breit. Der Beruf des Philosophen hat so mit der Berufung des Philosophen rein gar nichts mehr zu tun.

profil: Wie würden Sie denn die Berufung des Philosophen definieren? Eilenberger: Zentral ist, Philosophie nicht als eine Wissenschaft im Sinne der Naturwissenschaften misszuverstehen. Sie ist im Idealfall eine Denkform, der es darum geht, durch offene Klärung zentraler Fragen dem eigenen Leben Halt, Orientierung und Sinn zu geben. Ich selbst sehe mich in einer außerakademischen Vermittlerposition, indem ich, aus der Tradition der Philosophie kommend, meinen Erkenntnisstand auf die Gesellschaft anwende, um Orientierung zu geben. Unter den Philosophen gibt es dann noch die hart anti-akademische Fraktion - ihre Vertreter bewegen sich zwar innerhalb des Systems, aber hassen und verachten es dafür umso mehr. Zu dieser Kategorie zählten Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger oder Paul Feyerabend, um ein jüngeres Beispiel zu nennen.

profil: Was halten Sie von dem philosophischen Medienphänomen Richard David Precht, der wie ein Popstar vom Publikum gefeiert wird und sich kaum zu einem Thema nicht äußert? Eilenberger: Das ist keine Entwicklung, die man solchen Brückenköpfen vorwerfen sollte. Man darf nicht vergessen: Die Philosophie hat kein eigenes Gebiet, deswegen ist ihre Deutungsmacht auch sehr weit greifend. Sofern solche Vermittler rund um ihre Person eine Meinungserzeugungsmaschinerie bauen und zu allem und jedem gekonnt einen Kommentar abgeben, sind sie natürlich medial sehr präsent. Natürlich birgt das auch Gefahren, wie jede Form von Universaldilettanz.

Die Zeiten der Krise, der Desorientierung, in denen der Boden des Daseins in Bewegung ist, sind natürlich immer gut für die Philosophie. Ihre Aufgabe ist es, Orientierung zu geben, ein Wegweiser zu sein.

profil: Wie finden Sie den slowenischen Rock'n'Roll-Philosopher und Poltergeist Slavoj Žižek, der Auditorien füllt, den aber keiner so wirklich versteht. Eilenberger: Das ist der Typ Hofnarr, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, situativ gegen den Strich zu denken, ein Hofnarr im Sinne Shakespeares, der mit seinen Schellen rasselt und provozieren möchte.

profil: Die Zeiten sind düster und rückwärtsgewandt: Rechtspopulismus europaweit, die Salonfähigkeit der AfD in Deutschland, ein unberechenbarer Egomane an der Spitze der USA, nicht abreißende Flüchtlingsströme - die besten Voraussetzungen für eine Hausse der Philosophen? Eilenberger: Die Zeiten der Krise, der Desorientierung, in denen der Boden des Daseins in Bewegung ist, sind natürlich immer gut für die Philosophie. Ihre Aufgabe ist es, Orientierung zu geben, ein Wegweiser zu sein. Der Österreicher Ludwig Wittgenstein sagte, dass das Philosophieren mit einem Zustand des Nicht-Auskennens beginnt. So, als ob man sich in einer verwinkelten Stadt verlaufen hätte. Der Philosoph sollte nun eine Karte erstellen und zeigen, wo man sich befindet und welche Wege einem offen stehen. Besonders in Deutschland und Österreich hat man sich ja die letzten 30,40 Jahre in einer totalen Komfortzone bewegt. Jetzt bricht alles auf. Ich erachte gar nicht so sehr die Sehnsucht der Menschen nach der Vergangenheit als problematisch, sondern vielmehr deren Erwartungen an die Zukunft. Sie erhoffen und versprechen sich zu viel von der Zukunft. Man entwickelt direkt eine Allergie gegen solche, die der Zukunft einfach zu viel zumuten.

profil: Wird die Philosophie wieder zu ihren Ursprüngen zurückkehren? So wie Sokrates einst auf dem Marktplatz die Menschen in Gespräche verwickelte und zu einer Art Problem-Moderator des Volkes wurde? Eilenberger: Sokrates sah sich selbst wie eine Pferdefliege, die nicht weggeht und die Gesellschaft beharrlich mit Fragen quält, für die ihr selbst der Mut fehlt. Insofern sind Philosophen und investigative Journalisten durchaus geistesverwandt. Beide üben sich in der Tugend des Fragens, die Journalisten nach Fakten, die Philosophen nach Begriffen. Und beide besitzen idealerweise die Courage, dabei von den gängigen Pfaden abzuweichen. Diese Form der Denkfreiheit wird einem im akademischen Bereich abtrainiert. Deswegen bin ich dort auch mit 30 weg. Ich habe keinen einzigen Philosophieprofessor in seinen Mitvierzigern erlebt, der, wenn schon nicht glücklich, wenigstens zufrieden wirkte.

profil: Sie leiten die "phil.cologne", ein Festival in Köln, zu dem Zehntausende Zuschauer pilgern. Kann Philosophie auch niederschwellig sein? Eilenberger: Durchaus. Die Philosophen können Menschen an der Hand nehmen und ihnen vorführen, dass ein philosophisches Gespräch kein Hexenwerk ist, sondern für jeden, der sprechen kann und die eigenen Fragen ernst nimmt, machbar.

profil: Hat die Gesellschaft die Nase voll von der flächendeckenden Psychologisierung aller Probleme? Eilenberger: Die Philosophie ist eine gute Gelegenheit, den Narzissmus, der uns alle prägt, abzulegen. Eigene Befindlichkeiten sind ein Beginn des Philosophierens, niemals deren Ende. Es geht um eine Weitung des Ichs. Der Philosoph erklärt: "Ich stehe hier stellvertretend für die Menschheit - was ich hier sage, gilt nicht nur für mich, sondern für alle anderen auch."

Zur Person

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, ist Philosoph, Publizist und Schriftsteller. Er ist Gründungsmitglied des "Philosophie Magazins", dessen Chefredakteur er auch lange Jahre war, und lehrt an Universitäten in Kanada, den USA und in Berlin. Er co-gestaltet das Programm der "phil.cologne", eines alljährlichen Philosophie-Festival in Köln. In seinem im März erschienenen Buch "Zeit der Zauberer" (bei Klett- Cotta) untersucht er die Lebenswelten von vier legendären deutschen Philosophen (Martin Heidegger, Walter Benjamin, Ludwig Wittgenstein und Ernst Cassirer), in denen Eilenberger den Ursprung unseres heutigen Denkens begründet sieht.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort